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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

auch dann geblieben ist, wenn ihn die echt dichterische Eingebung bei seinem Schaffen im Stich ließ. Ritter- und Räuberstücke bildeten hauptsächlich den Spielplan der Butenopschen Gesellschaft, aus der übrigens u. a. eine Künstlerin wie die Anschütz hervorgegangen ist; „Die Kreuzfahrer“, „Klara von Hoheneichen“, „Die Räuber auf Maria-Kulm“, namentlich aber Schillers „Räuber“ waren die Zugstücke. Doch kümmerte man sich im Ort nicht um die Namen der Verfasser, und daß z. B. der Dichter der von ihm bewunderten „Räuber“ Schiller hieß, erfuhr der Knabe erst später als Gymnasiast in Glogau, wo öfter Theater gespielt wurde.

So unlitterarisch waren jene Anfänge. Was dagegen dem Knaben fest im Gedächtniß blieb, das waren Wahrnehmungen in Betreff der Bühnenleitung. Als Beispiel, das Laube noch im Alter gern erzählte, diene folgender Fall. Ein Stück spielte in Spanien, wo die Franzosen unter Napoleon erobernd eingedrungen waren und von den Spaniern auf Weg und Steg verfolgt wurden. Am Schlusse eines Aktes schoß der französische Offizier sein Pistol auf einen Spanier ab. Das Pistol versagte, und der Vorhang fiel unter großem Gelächter des Publikums. Der kleine Laube kroch eilig unter dem Podium hinauf, um Direktor Butenops Zorn anzusehen gegen den Requisiteur Krebs, den er immer auf dem Striche hatte. Richtig! er hielt ihn bereits am Kragen und schrie immerfort: „Das Publikum muß den Schuß hören, Kanaille! Das Publikum muß den Schuß hören!“ – Pautz! knallte der Schuß. Neues, noch stärkeres Gelächter im Publikum. „Als der nächste Akt kam, entdeckte mein junger Verstand, daß der Direktor recht gehabt: der Schuß hatte Folgen, er mußte also losgegangen sein!“ Solcher Gestalt war der Anfangsunterricht, den damals unbeachtet und unvermuthet Deutschlands erfolgreichster Dramaturg als Bube von zwölf Jahren empfing. Die Besuche der Truppe in Sprottau wiederholten sich in den folgenden Jahren, und wie mit ihrer Kunst, so wurde der anstellige Bursche auch mit den Schauspielern bekannt.

Welche Wirkung dieser Verkehr hatte, haben wir schon erwähnt. „Die ganze Welt war für mich verwandelt und erweitert, unabsehbar erweitert durch diese Schauspielergesellschaft“, heißt es in den „Erinnerungen“. Mit Bezug hierauf ist denn auch beschlossen worden, daß das Denkmal, welches man für Laube in Sprottau errichten will, auf denjenigen Platz zu stehen kommen soll, wo einst jene wandernden Jünger Thaliens ihre Vorstellungen gegeben haben.

Den nächsten großen litterarischen Eindruck bot Glogau. Nicht das dortige Gymnasium, von dem es in Nowacks Schlesischem Schriftstellerlexikon heißt, daß „dort ebenso gewissenhaft lateinische Sprach- wie Betübungen“ gehalten worden seien, denn nicht auf den Geist der lateinischen und griechischen Schriftsteller wurde beim Unterricht eingegangen, auch nicht auf den Geist der klassischen Sprachen. Nur der Lehrer des Deutschen, Magister Röller, stellte an sich und an seine Schüler höhere Ansprüche. Er gab guten stilistischen Unterricht. Deutsche Dichter aber wurden damals in den deutschen Gymnasien noch nicht gelesen. Und doch war es ein deutscher Klassiker, der jenen neuen großen Eindruck auf den eigenartigen Geist des Schülers machte – Friedrich Schiller. In jenen Jahren erschien die erste Cottasche Gesammtausgabe der Werke Schillers zu billigem Preise. Ein Vetter Laubes, der Sohn des Wirths zum „Grünen Löwen“ in Sprottau, „Cousin Fritz“, der bereits in der Glogauer Prima war, schaffte sich die Ausgabe an. „Daß Fritz mir Prachtstellen vorlas und daß er mir sagte: dies ist unser Dichter fürs Leben, das wirkte auf mich, und die Dramen, deren ich in den abgerissensten Exemplaren habhaft werden konnte, die prägten sich ein wie mit glühenden Lettern,“ heißt es in den „Erinnerungen“. Schillerverehrung herrschte auch in der Familie, in die er als Freund des Sohnes vom Hause wie ein Adoptivsohn Aufnahme fand. Sie war wohlhabend und pflegte litterarische Interessen. Die bessere erzählende Litteratur des Tages kam ins Haus, auch das Cottasche Morgenblatt wurde neben Theoder Hells Abendzeitung gehalten. Am runden Tisch der Familie hat der jugendliche Verehrer Schillers sämmtliche Werke – auch die Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs – vom ersten bis zum letzten Bande vorgelesen. Damals spannen sich die geistigen Fäden an, die später in den „Karlsschülern“ zu einem so ansprechenden künstlerischen Gebilde verwoben wurden. Erst nachdem so Schiller Laubes jungen Geist ganz für sich gewonnen hatte, ging dem Gymnasiasten die Schönheit Homers, die Kunst von Vergil und Horaz auf. Dies geschah in Schweidnitz, wohin er noch als Primaner ging, weil ihn – nach Nowack – „die am Glogauer Gymnasium herrschende strenge Klosterzucht und pietistische Richtung zu offener Opposition gereizt hatte.“

Ostern 1826 brach er, das Ränzel und – die Guitarre auf dem Rücken, nach Halle auf. Eigentlich hatte der Junge den Beruf seines Vaters ergreifen sollen, allein wie so viele Dichter war auch Laube, wenigstens in jener Frühzeit, „im Kopfrechnen schwach“ und daher dem mathematischen Theil des Bauwesens nicht zugethan. So wurde der Plan, ihn für das Baufach zu bilden, aufgegeben und beschlossen, ihn studieren zu lassen. Was? Das war in jener Zeit eigentlich keine Frage bei armen Burschen aus kleinen Städten, die sich schon als Gymnasiasten im Stundengeben geübt hatten. Die wurden alle Theologen. „Dies war das wohlfeilste Studium und brachte zuerst eine Anstellung, wenn auch zunächst nur die eines Hauslehrers.“ In Halle zog ihn zwar zunächst der protestantische Rationalismus Wegscheiders an, aber der Einfluß von dessen kritisch zersetzender Auslegung der christlichen Ueberlieferung entfremdete ihn erst recht dem theologischen Berufe, und das Hingabebedürfniß seines Gemüths fand seine Befriedigung in dem Schwärmen und Treiben der Burschenschaft, deren Grundsätze und Interessen er bald, wo es galt, mit dem Rappier in der Faust gar schneidig zu verfechten wußte. „Der Fechtboden und die Herbergen in und um diese Stadt sahen ihn häufiger als die Hörsäle,“ vermerkt der kleine Lebensabriß bei Nowack. Ueber der Burschenschaft und ihren Angelegenheiten traten seine bisherigen Neigungen in den Hintergrund. Als er dann das lustige Halle, den Schauplatz manch siegreicher Paukerei, manch fröhlicher Studentenfahrt, auch eines feierlichen Aufzugs, dessen Ausgang ihm auf seinem Abgangszeugniß den Vermerk „der Burschenschaft verdächtig“ eintrug, mit Breslau vertauscht hatte, studierte er zwar fleißiger als bisher die theologischen Wissenschaften, namentlich Kirchengeschichte, hielt auch Probepredigten und bereitete eine Abhandlung „über die Erbsünde“ vor, aber die Angelegenheiten der Burschenschaft beschäftigten ihn auch jetzt in erster Linie, – bis eine Aufführung von Kleists „Käthchen von Heilbronn“ die ins Stocken gerathenen litterarischen Triebe auf einmal wieder in Aufruhr brachte und jetzt mit Entschiedenheit zur Bethätigung drängte. Bis dahin hatte er als Student – „schon aus Geldmangel“ – das Theater links liegen lassen; nach jenem ersten Wiedereintritt in seinen Zauberkreis wurde er ein eifriger Theaterbesucher.

Man kann sagen, das holde Käthchen von Heilbronn, das auf der Bühne sich so brav als Retterin bewährt, habe auch Laube gerettet, gerettet für die Dichtung, für das deutsche Theater. Es stand damals gerade recht bedenklich mit ihm. Als „gute Klinge“ von Halle her geschätzt und gefürchtet, war er beim Ausbau der neuen burschenschaftlichen Verbindung in Breslau, dem blauen Haus“, und im Kampf mit den herrschenden Landsmannschaftern in ein wildes „Landsknechtsleben“ gerathen, wie er es selbst nennt. Die Duelle wurden leidenschaftlich geführt, hatten oft gefährlichen Ausgang; schlug Laube selber nicht, so mußte er doch sekundieren. Einmal war schon alles zur Flucht vorbereitet wegen der Folgen eines dieser wüsten Zweikämpfe. Es war eine Art Kriegsleben, dessen spannende poetische Erregung ihn berauschte. Auch sonst war das Leben wild; auch im Spiel war der „Landsknecht“ die Parole und oft jagte erst die aufgehende Sonne die lärmenden Bursche draußen in Marienau von den Tischen. Das Geld zu solchem Treiben erwarb sich der wildgewordene Heinz durch Ertheilen von Fechtunterricht. Denn in der Führung der studentischen Waffe war er damals zu solcher Meisterschaft gelangt, daß er einen sehr guten Fechtmeister abgab. Als nun ein reisender französischer Fechtmeister eine Herausforderung an die Studentenschaft Breslaus zum öffentlichen Zweikampf – „au grand assaut d’armes“ – ergehen ließ, da trat Heinrich Laube als ihr Vertreter auf und führte den Franzmann zweimal mit klatschenden Hieben unter dem Jubel des versammelten Publikums ab. Die Folge war, daß ihm in aller Form die gerade freigewordene Stelle eines Universitätsfechtmeisters angeboten wurde. Er lehnte ab. Unklar fühlte er: zu was besserem sei er geboren. Und innerlich befriedigt von dem Sieg eines höheren Strebens über die Lust an Fechtkünsten und über die ihm gebotene lockende Versorgung, stand er an einem der nächsten Tage beim Erblicken des Theaterzettels still, las ihn und meinte dann: „Ins Theater könntest

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 679. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_679.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)