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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Nr. 41.   1891.
Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

In Wochen-Nummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pf.   In Halbheften: jährlich 28 Halbhefte à 25 Pf.   In Heften: jährlich 14 Hefte à 50 Pf.



Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

Ein Götzenbild.

Roman von Marie Bernhard.

(5. Fortsetzung.)

Waldemar Andree war im ganzen kein Mann der Gesellschaft und hatte in Rom sehr selten im Salon verkehrt – nur hier und da im engeren Familienkreise. Aber eine Persönlichkeit wie die seine, fest in sich beruhend und, obgleich ohne jede Ueberhebung, dennoch von einem gewissen Selbstbewußtsein erfüllt, das dem begabten Künstler wohl anstand, konnte sich auch in der glanzvollen Atmosphäre eines reichen Hamburger Patrizierhauses nicht linkisch oder beklommen benehmen. Seine tiefliegenden Augen hatten bisher mit klugem, kühlem Blick die prachtvollen Räume, die auf- und abwogende Menge, die kostbaren Toiletten gemustert; es gefiel ihm ganz wohl, hier zu sein; Licht und Glanz und Farbenpracht umschmeichelten ihm angenehm den angeborenen und tief entwickelten Kunstsinn Mit sicherem Anstand verneigte er sich vor der Dame des Hauses, ihre verbindliche Begrüßung mit höflichen Worten erwidernd, und auch der Prinz aus der Moldau schüchterte ihn keineswegs ein.

Aber als er nun Stella Brühl so nahe vor sich hatte, da überkam ihn ein eigenthümliches Gefühl … „Ich habe Angst vor ihr!“ hatte ihm Hilt gesagt. „Sie ist zum Fürchten schön.“ Nun, Angst war es nicht gerade, was Andree jetzt so seltsam bewegte! Aber Stella war heute und hier soviel schöner noch als vor einigen Tagen, da er sie auf der Straße gesehen – schön wie eines Künstlers Traum, wie die Verkörperung alles dessen, was seine fruchtbare Phantasie, wenn sie ihren höchsten Schwung nahm, ihm vorgezaubert hatte – und all seine künstlerische Begeisterung drängte sich ihm wieder mit Macht zum Herzen. Und dazu kam noch das Bewußtsein, daß es ihm, gerade ihm vorbehalten sei, diesem herrlichen Geschöpf einen großen Schmerz zuzufügen – sie würde doch einen großen Schmerz empfinden? Kein Zweifel daran! Ihn durchzuckte eine sonderbare Eifersucht auf diesen Toten, der sein liebster Freund gewesen war und dem dies junge Wesen sich in Liebe hingegeben hatte, zugleich aber rührte ihn ein tiefes Mitleid, wenn er an Werner Troost dachte, wie er so still unter den Cypressen schlief, fern von seiner deutschen Heimath, fern von ihr, die er über alles geliebt!

Und all diese Empfindungen, ineinanderströmend und halb verworren, wie sie waren, ließen einen Ausdruck auf seinem Gesicht erscheinen, der Stella Brühl befremdete, als sie jetzt zu ihm emporsah. Das war nicht nur die Bewunderung, die sie in dem Antlitz

Brotneid.
Nach einem Gemälde von P. van Engelen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 689. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_689.jpg&oldid=- (Version vom 11.10.2023)