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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Seufzer auf die Erde und machte sich an das Suchen der Steine.

In dieser Weise ging das Spiel fort; Podagratzl hatte immer die Ideen, Podenzl führte sie aus und hielt stets noch an der ersten fest, wenn Podagratzl längst an der vierten war.

In ihrer Unschuld ahnten sie nicht, welch’ schweres Verhängniß sich unterdessen über ihren jungen Häuptern zusammenzog.

Drinnen bei der Bäuerin saß die Nachbarin, trank eine Schale Kaffee um die andere und hörte dafür mit unermüdlicher Geduld die jammervollen Auseinandersetzungen der Bäuerin mit an, die einen völlig abgegriffenen Kalender vor sich liegen hatte, den ihre großen derben Hände krampfhaft umfaßt hielten, während ihr rundes gesundheitstrotzendes Gesicht in Thränen schwamm.

„Da schaut her,“ meinte sie, auf ihren Kalender weisend, so hat sich noch keiner da drin verstudiert wie ich, aber ’s hilft nix, ich kann halt die Namen nit finden, ich kann die Schreibnamen vom Podagratzl und Podenzl nit rausfinden. Und jetzt ist Ostern vorbei, und ich hab’ den dritten Zettel kriegt, daß die Kinder in die Schul’ müssen, und wie soll ich sie denn in die Schul’ schicken, wenn ich ihre Namen nit weiß und nit aufschreiben kann? So eine Schande darf ich doch auf die Eltern von meinen Kindern nit laden! ’S ist halt damals gar so drunter und drüber ’gangen bei der Sach, denn man verschreckt doch, wenn auf einmal zwei Kinder kommen statt einem. Hernach bei der Taufe, wie’s so geht, ist der Mann vorher im Wirthshaus drunten einkehrt, und mir war’s heiß vom Weg, da hab’ ich halt auch ein paar Schluck ’trunken, und wie wir vor dem Pfarrer stehen, hat er’s grad’ so eilig, weil noch eine Leich’ war, und wie’s heißt: ‚wie sollen die Kinder heißen?‘ bringt der Mann nix raus, und ich war so verschrocken, daß ich halt auch nix ’rausbring’ – da hat der Herr Pfarrer gesagt: ‚Nehmen wir denn zwei Kalenderheilige,‘ und nimmt so zwei kuriose Namen und wir können’s halt nur halb verstehen. Und nun will’s Unglück, daß der Mann mit dem Taufschein’ noch einmal ins Wirthshaus geht, und wie er heimkommt, hat er bei Gott den Hut mitsammt dem Taufschein verloren, und jetzt sitz’ ich da mit dem Kreuz und fang’ ich dem Mann davon an, gleich sagt er, ich verleid ihm 's daheim sein, und rennt mir ins Wirthshaus – o Ihr armen Tröpfle!“ schluchzte sie beim Anblick ihrer Kinder auf, die eben mit allen Zeichen innerer Aufgebrachtheit über die Schwelle stürzten und nach der Mutter schrieen. Die Thränen auf dem kugelrunden Gesicht der Bäuerin machten sie verstummen; Podagratzl sprang der Mutter auf die Kniee, Podenzl schmiegte sich an ihren Arm, und beide heulten mit der Mutter um die Wette.

Die Nachbarin ließ sich in ihrem Kaffeegenuß nicht stören, aber sie gab zu: „Ja, es ist schon ein Kreuz, ein schweres, wenn man seinen eignen ehrlichen Namen nit einmal weiß.“

„Und wie mich das Denken angreift,“ schluchzte die Bäuerin, „das glaubt kein Mensch; o wenn mir doch jemand sagen könnt, was ich thun soll!“

„Wartet nur“, tröstete die Nachbarin, „’s wird mir schon was einfallen, wenn ich den Kaffee noch eine Weil’ riech’ –“

Die Bäuerin fiel über die Kanne her und beeilte sich, die leere Tasse des Besuchs von neuem zu füllen.

„Ich hoff’, er ist gut,“ meinte sie.

„Hm, die Milch könnt’ besser sein,“ lautete die Antwort, „und der Kaffee ist noch schlechter.“

„Mutter,“ fiel Podagratzl der Nachbarin in die Rede, „warum weinen mir denn, Mutter?“

„Hör’ einer das unvernünftig’ Kind,“ seufzte die Bäuerin, „weil ich Eure Namen nit weiß, von was reden mir denn sonst!“

„Aber der Vadder weiß sie,“ behauptete Podagratzl.

„Der weiß sie auch nit, dummes Kind, einfältiges, sonst wär uns ja geholfen.“

„Aber der Herr Pfarrer,“ beharrte Podagratzl, „der weiß alles.“

„Jesus Maria,“ polterte die Bäuerin, „was ich mit dem Kind aussteh’! Ich werd’ zum Herr Pfarrer laufen und ihm sagen, ich wisse die Namen von meinen Kindern nit – ja,“ seufzte sie auf, „wenn ich ins Kirchenbuch schauen dürft’, da steht’s drinnen, wie jedes getauft ist.“

„Mutter,“ fiel ihr Podagratzl ins Wort, „so hol’s Kirchenbuch!“

„Um Gotteswillen, was ist das nit, jetzt mußt halt Schläge haben, Kind, denn für gottlose Reden kann’s nix andres geben!“

Und die Bäuerin führte ihr Vorhaben aus, indeß die Nachbarin ein wenig den Hals reckte, um in die große Kaffeekanne schauen zu können; da sie dieselbe leer fand, erhob sie sich zum Gehen.

„Ja, und einen Rath wißt Ihr nit?“ fragte die Bäuerin.

„Ich will in Gottesnamen morgen wiederkommen,“ lautete die Antwort: „wo ein Unglück ist, da kehr’ ich allweil gern ein, ’s ist noch ’s Unterhaltlichst’ auf der Welt, wo man sonst so wenig hat. Aber der Kaffee dürft’ ein bißle stärker sein; behüt’ Gott beinand’!“

Und die Nachbarin schritt davon.

„Mutter. geh’, wein’ nit!“ bat’s Podenzl.

„Gelt Mutter, lach wieder!“ schmeichelte Podagratzl, der noch die Thränen von den Schlägen über die Wangen liefen.

Die Bäuerin fuhr sich mit dem Rücken der Hand übers Gesicht. „Ich muß jetzt aufs Feld, dem Vadder helfen, spielt und seid brav bis zum Abend!“ Mit diesen Worten nahm sie ihr Kopftuch, schnitt jedem der Kinder ein Stück Brot vom Laib und schritt dann über die Wiese, hinter der die Sonne sich schon in die gelben Kornähren senkte, die Bäuerin in ihrem rothen Kopftuch mit einem goldenen Lichtmeer übergießend.

Die Kinder schauten ihr lange nach, die Augen mit den Händchen beschattend; plötzlich sagte Podagratzl:

„Du, mir holen der Mutter ’s Kirchenbuch, dann weint sie nimmer.“

Podenzl war so erstaunt über die Größe dieses Vorhabens, daß sie eine volle Minute brauchte, bis sie imstande war, die neue Idee in sich aufzunehmen. Dann nickte sie: „Ja, daß sie nimmer weint,“ nahm die Schwester bei der Hand, und unverzüglich machten sie sich auf den Weg.

Da Podenzl mit ihren drallen Beinchen etwas schwer auftrat, Podagratzl aber mit ihren flüchtigen bloßen Füßchen kaum

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 696. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_696.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)