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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

betrauten und in der Schriftkunde sehr erfahrenen Beamten leicht entdeckt wird.

Scheinbar sehr umständlich und doch ungemein einfach ist auch die Einrichtung, daß binnen zwei Stunden sämmtliche Berliner Gasthöfe und Pensionate von der Polizei durchsucht werden können, um zu erforschen, ob ein von auswärts nach Berlin geflüchteter Verbrecher sich in einem derselben verborgen hält. Berlin ist in dreißig Bezirke eingetheilt; die Gasthäuser und Fremdenwohnungen jedes Bezirks sind auf je einem Blatt verzeichnet. Soll nun eine derartige „Razzia“ stattfinden, so werden dreißig Kriminalbeamte abgesandt, von denen jeder die auf seinem Blatt verzeichneten Häuser zu durchsuchen hat; nach zwei Stunden kann jeder an den Chef berichten, ob die Untersuchung von Erfolg begleitet war oder nicht.

Mörder.

So groß auch diese Hilfsmittel der Kriminalpolizei sind, so reichen sie doch nicht aus, um den Kampf mit dem Berliner Verbrecherthum siegreich durchzuführen – es gehören auch noch dazu lebende Unterstützungstruppen, und dies sind die sogenannten „Vigilanten“ oder „Fünfgroschenjungen“; den letzteren Namen führen sie noch von jenen Zeiten her, wo sie für jeden ihrer Dienste fünf Silbergroschen erhalten haben sollen. Die Vigilanten sind meist aus den Verbrecherkreisen hervorgegangen oder halten mit diesen doch so enge Fühlung, daß man sie zu ihnen rechnen kann; sie bekommen auf diese Weise manche Kunde von einem beabsichtigten Streich und theilen ihre Beobachtungen der Polizei rechtzeitig mit, sodaß diese ihre Maßregeln zu treffen vermag. Sind die Verbrecher erst dahintergekommen, daß einer der Ihrigen den Angeber spielt, so ist dieser auf alle Zeiten verfehmt; oder aber er wird zum unabsichtlichen Werkzeug seiner früheren Genossen, indem sie ihm absichtlich falsche Nachrichten zutragen und auf solche Weise die Polizei täuschen. Zuweilen steht auch der Vigilant gleichzeitig in den Diensten der Polizei und der Verbrecher, das heißt, er dient der Partei, welche ihn am besten bezahlt, und läßt sich insbesondere von seiten der Verbrecher sein Schweigen theuer bezahlen. Fast immer hat man es hier mit unlauteren, wenig verläßlichen Charakteren zu thun, aber die Kriminalpolizei kann der Vigilanten nicht entbehren und muß ihre Zuträgereien beachten.

Bauernfänger.

Vor allem gilt jedoch auch bei der Kriminalpolizei wieder das Wort: „Hilf Dir selbst!“ und die Kriminalbeamten sind in den meisten Fällen einzig auf ihre eigene Thätigkeit angewiesen; Willenskraft, Findigkeit, gewandtes Wesen, Verstellungskunst, körperliche Stärke – das sind etwa die Eigenschaften, über die ein tüchtiger Kriminalbeamter verfügen muß, wenn er Hervorragendes leisten will. Ihre Pflichten sind die schwersten, die man sich denken kann, ihre Entschlüsse können Menschenleben retten, können aber auch ganze Familien in Unglück und Elend stürzen. Oft in persönlicher Gefahr, im Kampfe mit dem Abschaum der Menschheit, müssen sie stets Ruhe und Klugheit bewahren, eingedenk ihrer großen Verantwortlichkeit. An ihren Scharfsinn werden die weitesten Ansprüche gestellt: heute auf der Spur eines durchgegangenen Kassierers, steht der Beamte in der Tracht eines Packträgers auf einem der Bahnhöfe, anscheinend den soeben eingetroffenen Reisenden keinerlei Beachtung schenkend und doch jeden aufs genaueste beobachtend; morgen finden wir ihn in eleganter Kleidung unter den „Linden“, wo er den naiven Fremden spielt, um diesen oder jenen Gauner anzulocken; an einem der nächsten Tage folgt er, als Arbeiter verkeidet, einem verdächtigen Verbrecher auf Schritt und Tritt durch Berlin, gesellt sich in Kneipen unauffällig zu ihm und beobachtet dort seinen Verkehr. Oder er läßt sich in eine Wohnung einschließen, in welche Diebe einzubrechen beabsichtigen, und überrascht die Herren, wenn sie in emsiger Thätigkeit sind. –

Kriminalbeamte, als Packträger verkleidet.

Kriminalbeamte und Verbrecher stehen – Ausnahmen sind selbstverständlich auch vorhanden – durchaus nicht auf so gespanntem Fuße, wie man annehmen sollte. Der Verbrecher sieht natürlich in dem Kriminalisten seinen Feind, aber wie er von der Wahrheit seines Grundsatzes: „Eigenthum ist Diebstahl“ überzeugt ist, so ist er es auch davon, daß es eben der Beruf des Kriminalisten ist, ihn, den Verbrecher, zu verfolgen und möglichst unschädlich zu machen; das ist dessen Amt und dafür wird er bezahlt; man kann ihm also die Sache nicht gar so übelnehmen! Ja, man ist versucht, zu sagen, es bestehe zuweilen zwischen diesen sich so schroff gegenüberstehenden Parteien eine Art gegenseitiger Achtung vor der List und Mühe, mit der man einander habhaft zu werden, beziehungsweise einander zu entgehen sucht, und es ist nichts Seltenes, daß man aus dem Munde eines Verbrechers das Lob eines besonders tüchtigen Kriminalbeamten vernimmt. Es kommen daher auch nur wenig blutige Kämpfe zwischen Kriminalbeamten und Verbrechern vor, und es kann sogar sein, daß Vertreter beider Gattungen einträchtig bei einem Glase Bier sitzen und von ihren Erlebnissen berichten, wenn so ein Spitzbube gerade seine letzte Strafe verbüßt und eine neue noch nicht verwirkt hat.

Die Hauptmasse der Kriminalbeamten bilden die Kriminalschutzmänner. Sie sind aus der uniformierten Schutzmannschaft hervorgegangen, aus der sie zunächst versuchsweise auf sechs Monate entnommen und der Kriminalpolizei zugetheilt werden; bewähren sie sich, so treten sie endgültig in deren Dienst ein und hängen die Schutzmannsuniform für immer an den Nagel, da sie in ihrer neuen Eigenschaft nur Civil tragen. Ihr Erkennungszeichen ist eine thalergroße Medaille aus Metall, welche auf der einen Seite den Adler über der Stadt Berlin, auf der anderen die Worte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 707. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_707.jpg&oldid=- (Version vom 24.9.2023)