Seite:Die Gartenlaube (1891) 712.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

und weißen Jabots Ideale im Busen trugen. Er, wie er da war, trug andere Dinge als Ideale in seinem Busen! Andree hatte ihm ein paar hundert Mark geborgt, das war alles! Hätte er sie nicht besessen, hätte er sie ihm nicht leihen können! Daß er dies that, war ja gut, aber Hilt würde auch Geld hergeben, wenn er es einmal daliegen hätte – es verbot sich bei ihm nur von selbst! –

„Ja – also, wie legen Sie sich das zurecht: ein Mensch, der soweit einen ganz rechtschaffenen Eindruck macht, betheuert in starken Ausdrücken, sogar auf Ehre und Gewissen, eine junge Dame, die eine berühmte Schönheit ist, nie zuvor in seinem Leben gesehen zu haben, die Schönheit bestätigt das, und dabei hat besagter Mensch von besagter Schönheit eine sprechend ähnliche Büste in seinem Gasthofzimmer aufgestellt, woselbst sie ein glaubwürdiger Augenzeuge erblickt hat!“

Es blieb ein Weilchen still in dem aus etwa sieben bis acht Herren bestehenden Kreise, alle hatten die Köpfe vorgeneigt, als lauschten sie noch, ein paar starrten tiefsinnig in ihr Glas, wie wenn sie von dort her die Lösung dieser merkwürdigen Begebenheit erwarteten, einer schüttelte ungläubig den Kopf – auf einmal sprachen sie alle durcheinander.

„Das kingt doch wie’n Märchen!“ – „Ja, ich bitte Sie, wo soll er denn das Ding her haben?“ – „Er bildhauert am Ende meuchlings selber.“ – „Der Kerl verdient auch, ausgehauen zu werden, was kann der von diesem Besitzthum für ’nen perfiden Gebrauch machen!“ – „Der glaubwürdige Augenzeuge wird sich geirrt haben!“ – „Unsinn! Das ist gänzlich ausgeschlossen! ’s giebt keine zwei Stella Brühls!“ – „Ob die schöne Stella das weiß?“ – „Eigentlich müßte sie’s erfahren, sie oder der Herr Papa, die Geschichte kann unangenehme Folgen haben!“ – „Erlauben Sie mal, so eine Büste –“

Hilt schnitt mit der Hand, wie wenn sie ein Messer wäre, mehrmals durch die Luft, um sich Ruhe zu verschaffen. Anfangs erfolglos. Jeder wollte seine Meinung abgeben, die weinerhitzten Gemüther waren in Aufruhr. Nur Kuno von Tillenbach, der bloß halb begriffen hatte, um was es sich handelte, starrte aus seinen wässerigen Augen von einem der Redenden zum andern, bis ihm sein Nebenmann derb aufs Knie schlug, daß er entsetzt zusammenfuhr: „Kuno,“ (sie nannten ihn alle bei seinem Taufnamen, auch die, welche ihn nur wenig kannten) „so sagen Sie doch auch ein Wort! So’n Kapitalmensch wie Sie muß doch eine schwerwiegende Meinung besitzen!“

Kuno grinste verlegen, die andern lachten, gingen aber sogleich wieder auf den Vorfall über: „Erfahren muß sie es!“ – „Nein, das hat keinen Sinn!“ – „Jawohl!“ – „Wer wird hingehen und es der Familie erzählen? Etwa Sie, Barckwitz?“ – „So laßt doch Hilt reden!“

„Ja, ich hätte noch einiges zu sagen!“ Der kleine Maler hob seine schrille Stimme im Eifer mehr und mehr. „Die Glaubwürdigkeit des Augenzeugen also unterliegt keinem Zweifel. Das betreffende Subjekt hat Augen wie ein Falke und hat mit eben diesen Augen die schöne Stella hundertmal gesehen. Verwechslung unmöglich! Leskow hat recht: es giebt keine zweite Stella Brühl! Ob sie es erfahren muß oder nicht, das kann man später entscheiden, zuerst handelt sich’s, meine ich, darum, Andree zur Verantwortung zu ziehen, und wer soll nun das übernehmen?“

„Immer wer fragt!“ gab Barckwitz kaltblütig zur Antwort und zog sich eine Weinflasche heran, um die Etikette genau zu prüfen. „Sie haben ja die ganze Geschichte eingerührt, Hilt, Sie kennen den glaubwürdigen Zeugen, also müssen Sie auch den Missethäter greifen!“

Hilt sah etwas verdutzt und unbehaglich aus.

„Das kann ich nicht!“ entgegnete er rasch. „Andree ist ja mein Freund!“

Dieses verspätete und jedenfalls unerwartete Bekenntniß rief allgemeine Heiterkeit hervor. Leskow klopfte Hilt auf die Schulter mit den Worten: „Bravo, Sie gefallen mir! Das nenne ich nobel!“ und die übrigen Herren äußerten sich ähnlich. Die Entscheidung sollte aber nicht von ihnen ausgehen.

Niemand von der kleinen stürmisch rathschlagenden Gesellschaft hatte darauf acht gegeben, daß ein schlanker feingebauter Herr


Hunnen vor dem Feind. 0 Nach dem Gemälde von V. Checa.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 712. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_712.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2023)