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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Alle Gutachten fielen daher, wie vorauszusehen, ungünstig aus, zumal dasjenige der Pariser Universität. Es hieß darin, daß jene Erscheinungen, und Offenbarungen entweder Lügen seien oder Werke des Teufels; Johanna habe Gott und die Heiligen gelästert, sei abgefallen von dem alleinseligmachenden Glauben, habe sich mit bösen Geistern eingelassen, habe zum Götzendienste verführt und zum Blutvergießen aufgefordert. Wenn sie sich weigere, ihren Irrwahn zu widerrufen und sich dem Urtheil der Kirche zu unterwerfen, so sei sie durch die weltliche Gerechtigkeit dem Flammentod zu überliefern.

Das war es, was Cauchon haben wollte. Die Jungfrau sollte die Wahrheit ihrer Erscheinungen und Offenbarungen abschwören. Damit fiel im französischen Volke die Anhänglichkeit an den König Karl, die englische Gewalt stand glänzend gerechtfertigt da und gewann neuen Boden.

Cauchon hat zunächst versucht, die Jungfrau durch Ueberredung zur Abschwörung ihrer Angaben zu bringen. Das gelang ihm nicht. Sie blieb standhaft dabei, daß die Erscheinungen ihr von Gott gesandt worden seien. Bei einem zweiten Versuche ließ er ihr die Folter ankündigen, sie blieb unerschüttert. Er legte ihr seine Aufforderung zum drittenmal in Anwesenheit einer großen Zahl Geistlicher im Saale des herzoglichen Schlosses vor, und als sie sich wieder weigerte, drohte er ihr mit dem Scheiterhaufen. „Und wenn ich mitten im Feuer stünde,“ antwortete sie, „so wollte ich nicht von der Wahrheit meiner Sendung lassen.“

Cauchon griff nun zu dem letzten bereitgehaltenen Mittel. Für den 24. Mai wurde Johanna zu dem öffentlichen Schlußverfahren auf den Kirchhof St. Ouen geladen. Zwei weithin sichtbare Gerüste erhoben sich dort, das eine für Cauchon und die Richter, das andere für Johanna und ihren aufgezwungenen Beirath, einen Geistlichen Namens Loyseleur, der schon während des Prozesses einmal die Niederträchtigkeit gehabt hatte, sich unter der Maske eines Landsmannes in das Vertrauen der Gefangenen eindrängen zu wollen. Er hatte ihr im Auftrage des Gerichtes versprochen, wenn sie abschwöre, solle sie in kirchliche milde Haft kommen und, woran ihr unendlich viel lag, hinfort nicht mehr von Männern, sondern von Frauen bewacht werden.

Als die Jungfrau, mit ihrem Kriegerrock angethan, in einem vierspännigen Wagen auf dem Schauplatze angelangt war, bestieg sie alsbald das Gerüst. Dann erhob sich der Doktor der Theologie Erard, ein großes Kirchenlicht und berühmt als Redner. Er wollte die Jungfrau zum Widerruf bereden. Als er in seiner Predigt darauf zu sprechen kam, wie sehr doch König Karl und ganz Frankreich dadurch erniedrigt seien, daß sie sich von diesem Blendwerk der Hölle hätten bethören lassen, da brach Johanna in flammendem Zorn heraus: „Bei meiner Treu’, Herr, ich erlaube mir mit aller Ehrfurcht Euch zu sagen und auf Gefahr meines Lebens zu beschwören, daß er der edelste Christ ist unter allen Christen. Sprecht nicht von dem Könige, sondern sprecht von mir!“ Als Erard geendet hatte, erwiderte sie mit bestimmten Worten: „Was meine Unterwerfung unter die Kirche angeht, so möge man alle meine Thaten, die ich vollbracht, und meine Reden nach Rom an den heiligen Vater, den Papst, schicken. Auf ihn und auf Gott zuerst berufe ich mich. Meine Thaten und Worte,“ fügte sie hinzu, „lege ich keinem Menschen zur Last, weder meinem König, noch einem andern; ist ein Fehl daran, so fällt er auf mich und auf niemand sonst!“ Ein nervöses Zittern ging dabei über ihren abgehärmten und von all der Körper- und Seelenqual hinfälligen Leib.

Nun schritt Cauchon zum Aeußersten. Er entfaltete das Verdammungsurtheil und begann, es mit lauter Stimme vorzulesen. Zwischen den einzelnen Sätzen und an bedeutenden Stellen hielt er inne, um ihr Zeit zum Bedenken zu lassen. In diesen Pausen redeten Loyseleur und die anderen auf sie ein: „Johanna, ergieb Dich, rette Dich vor den Flammen!“ Als Cauchon an die Stelle kam: „Ketzerin und Ausgeschlossene von der Kirche,“ schrie Johanna, die Hände zum Himmel erhebend: „Heiliger Erzengel Michael, rathe mir, was ich thun soll!“ Aber kein Erzengel erschien. Sie sah, wie die rothgekleideten Henkersknechte auf angeschirrtem Wagen mit Stricken und Feuerbränden bereit standen, sie zum Scheiterhaufen zu führen. Da, in diesem Augenblicke des heftigsten Seelenkampfes, brach ihre Kraft zusammen, und mit wirren Blicken rief sie aus: „Ich will thun, was Ihr wollt.“ Lächelnd, als ob sie im Geiste nicht gegenwärtig wäre, hörte sie die ihr vorgelesene Abschwörungsformel an und setzte das Zeichen des Kreuzes darunter. Cauchon war auf diesen Verlauf der Dinge vorbereitet. Er zog das Endurtheil hervor und las es mit vernehmlicher Stimme. Es enthielt Gnade, insofern es vom Feuertode befreite. „Aber,“ so ging es weiter, „weil Du gegen Gott und die heilige Kirche freventlich gesündigt hast, so verurtheilen wir Dich schließlich, um eine heilsame Buße durchzumachen, zu immerwährendem Gefängniß beim Brote der Schmerzen und dem Wasser der Trübsal, auf daß Du da Deine Sünden beweinest und in Zukunft nicht wieder in dieselben verfallest. Vorbehältlich unserer Gnade und Milde.“

Ein Sturm der Entrüstung erhob sich in der Menge der umstehenden Engländer, der Entrüstung, daß Cauchon sie nicht dem Feuertode preisgegeben hatte. Die Leute ahnten nicht, daß er zunächst die Jungfrau ja nur ihres Nimbus vor der Welt berauben, sie zur Abtrünnigen stempeln wollte. Was kümmerte es ihn, nachdem er diesen Zweck erreicht hatte, daß die englischen Soldaten murrten, ja mit Steinen nach ihm warfen. Der schlaue Priester wußte ganz genau, daß er sich so am meisten Anspruch auf den Dank der englischen Regierung verdiente. Dem Grafen Warwick aber erwiderte er auf seine Vorstellungen: „Seid unbesorgt, wir werden sie schon wieder kriegen!“

Als die widerwärtige und empörende Scene vorüber war, trat Loyseleur auf Johanna zu und wünschte ihr Glück: „Johanna, Ihr habt einen guten Tag gehabt und Eure Seele gerettet!“ „Nun denn,“ entgegnete sie, „Ihr Leute der Kirche, so führet mich in Eure Gefängnisse, damit ich nicht ferner in den Händen der Engländer sei.“ Sie beanspruchte damit nur die Einlösung des ihr gegebenen Versprechens; und an dem Wechsel des Gefängnisses lag ihr am meisten, denn sie hatte unter den Rohheiten der englischen Wächter entsetzlich gelitten. Cauchon jedoch, von neuem wortbrüchig, befahl den Dienern: „Führt sie aufs Schloß, woher sie gckommen!“

Man brachte sie in das frühere Gefängniß zurück, und die Behandlung, früher noch etwas gemäßigt durch den Wunsch, Johanna vorläufig noch am Leben zu erhalten, wurde unmenschlich. Sie legte gutwillig, wie sie in der Abschwörung versprochen hatte, ihr männliches Kriegsgewand ab und zog Frauenkleider an. Allein man begnügte sich nicht damit; es wurden ihr die langen Haare abgeschnitten, bei Nacht fesselte man sie dergestalt mit Ketten, daß sie sich nicht rühren konnte. Das alles und so vieles andere geschah nur, um ihr den Tod wünschenswerther zu machen als solch ein Leben, um sie zum Rückfalle zu treiben.

In der Seele Johannas hat es in diesen Tagen nicht weniger finster ausgesehen wie in ihrem dunklen Gefängniß. Sie machte sich die bittersten Vorwürfe über ihre Abschwörung; ihre Heiligen erschienen ihr und machten ihr den Widerruf zur Pflicht.

Es ist sehr wahrscheinlich, daß die rohen Wächter im Einverständniß mit Cauchon die Jungfrau gezwungen haben, eine ritterliche Männerkleidung, die man absichtlich in ihrem Zimmer liegen ließ, anzuziehen. Und als das geschehen war, wurde alsbald Cauchon die Nachricht gebracht. Was er gewollt, war erreicht; sie war eine Rückfällige geworden, keine weltliche oder geistliche Macht konnte sie jetzt noch retten. Sie wurde im Kerker befragt, und als sie nun ihre Abschwörung, weil von der Furcht vor dem Feuer erpreßt, ausdrücklich zurücknahm, da wurde sie nach kurzer Erledigung der Förmlichkeiten als rückfällige Ketzerin dem Arme der weltlichen Gerechtigkeit übergeben, mit der herkömmlichen Bitte, milde zu verfahren. Das war nur eine gewöhnliche Form der Heuchelei; nach der mittelalterlichen Anschauung mußte jede weltliche Macht den rückfälligen Ketzer unweigerlich verbrennen, wenn sie nicht selbst in den Verdacht der Ketzerei kommen wollte.

Am 30. Mai 1431 sollte die Hinrichtung Johannas vor sich gehen. Ein guter, ihr aufrichtig ergebener Geistlicher, Ladvenu, reichte ihr das Abendmahl; er erzählte selbst: „Sie nahm es unter einem Strom von Thränen mit einer Demuth und Andacht, die ich nicht zu schildern vermag.“ Als er ihr angekündigt hatte, daß und wie sie sterben solle, hatte sie laut aufgeschrieen und gejammert, daß ihr junges Leben nun so vernichtet werden sollte. Dann aber hatte sie sich rasch gefaßt.

Gegen neun Uhr morgens legte sie ihr Kriegsgewand ab und ein Frauenkleid an. Auf das Haupt setzte man ihr eine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 718. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_718.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2023)