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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Kunstwerk, das ich hierher nach Hamburg mitgebracht habe und das ein unberufener Zeuge in meinem Zimmer entdeckt haben muß, ist eine Porträtbüste in Marmor, eine sprechend ähnliche Porträtbüste von Ihnen, mein gnädiges Fräulein!“

Stella stützte sich mit beiden Händen auf die Seitenlehnen ihres Sessels, und so hob sie sich, wie mit einer Kraftanstrengung, langsam empor. Auch Andree war aufgestanden – die nächsten Fragen mußten die Entscheidung bringen. Er sah, er wußte, was sie ihn zunachst fragen wollte, und er kam ihr zuvor.

„Nicht ich bin es gewesen, der diese Büste angefertigt hat. Ich habe gestern den Herren gesagt, daß ich nie in meinem Leben einen Meißel angerührt habe, und ich bin bereit, das mit einem Eid zu bekräftigen!“

Sie machte eine leicht abwehrende Bewegung.

„Also?“

„Also war es selbstverständlich ein anderer, der dieses Kunstwerk hergestellt hat, jemand, der jeden Zug Ihres Antlitzes genau kannte – jemand, der Ihnen sehr nahe gestanden hat.“

Sie sahen einander in die Augen und sie wußten, daß sie sich verstanden. Andree erschrak, als er den letzten Satz ausgesprochen hatte, über sein Wort, „jemand, der Ihnen nahe gestanden hat“. Konnte sie begriffen haben, warum er die Vergangenheit betonte?

Sie senkte ihr Köpfchen wie eine Blume, über die ein kalter Wind hinfährt – eine Bewegung, die ihn tief rührte. Er konnte freilich nicht wissen, daß es Schuldbewußtsein war, was dies schöne Haupt beugte, denn Stella, die seine Betonung der vergangenen Zeit nur zu gut bemerkt hatte, konnte nicht anders denken, als Andree habe Kenntniß davon, daß sie ihr Verlöbniß mit Werner Troost gelöst habe.

Es blieb eine kleine Weile still in dem hohen sonnendurchflutheten Zimmer, man vernahm deutlich das Vorfahren eines Wagens auf der kiesbestreuten Auffahrt und hörte eine laute Stimme – die des Herrn Senators – dem Kutscher Weisungen ertheilen.

Endlich blickte sie wieder zu ihm auf, hilflose Verwirrung in den Zügen; dieser Ausdruck machte ihn sehr unsicher. War sie im klaren oder war sie noch ganz ahnungslos?

„Darf ich den Namen desjenigen aussprechen, der sein bestes Können, seine ganze Seele in dieses Werk gelegt hat?“ fragte Andree zuletzt, seine tiefe Stimme vorsichtig dämpfend.

Sie schüttelte den Kopf. „Ich weiß seinen Namen.“ Dann, mit einem tiefen Aufathmen: „Er ist Ihr Freund?“

„Mein bester Freund!“ Andree sprach tonlos, nein, sie ahnte noch nichts.

„Und er hat Ihnen diese Marmorbüste gegeben?“

„Ja!“

„Wann hat er das gethan?“

„Zu Ende März. Am fünfundzwanzigsten März!“

Ein leises Aufseufzen kam zitternd von ihren Lippen – am Anfang des April erst hatte sie jenen Brief geschrieben, Werner hatte also damals noch keine Ahnung von ihrer Umwandlung haben können. Wie aber war es zugegangen, daß er sich von seiner Schöpfung, die sein bestes Können darthat, in die er seine ganze Seele gelegt hatte – sie glaubte das aufs Wort! – freiwillig hatte trennen können? Wollte er sie ihr durch seinen Freund senden, um ihr zu beweisen, welche Stufe sein Schaffen schon erreicht habe? Vielleicht! Aber inzwischen – ihr Brief! Er mußte ja ihren Brief erhalten haben!

„Sie sind ganz rathlos … Sie können sich den Zusammenhang nicht erklären … ich sehe!“ Andree drückte sie sanft in den Sessel zurück, er selbst blieb stehen. Er suchte nach Worten, es fiel ihm dies und das ein, er verwarf es wieder. Welch eine Aufgabe! Es mußte keine Notiz von dem Unglücksfall in die deutschen Zeitungen gekommen sein, und wenn auch – Namen waren wohl nicht genannt, und sie hatte vielleicht nicht einmal den Namen des Palazzo gewußt, den er mit seinen Werken schmücken sollte. Und dann – dies junge verwöhnte Geschöpf nahm gewiß nie eine Zeitung in die Hand, es hatte anderes zu thun, als trockene Berichte zu lesen.

„Die Büste … wie mein Freund Werner Troost dazu kam, sie mir zu geben – nehmen Sie an, er sei heftig erkrankt, er habe gefürchtet, zu sterben, es sei – es sei – eine Art Vermächtniß gewesen –“ Andree hielt inne, weil ihm die Stimme versagte.

„Heftig erkrankt – und Sie hätten Ihren besten Freund verlassen?“ Sie sah ihn ungläubig an.

„Ich konnte ihm nicht helfen mit all meiner Freundschaft – er brauchte mich nicht mehr –“

Jetzt kam Verständniß in die schönen rathlosen Augen, aber sie füllten sich nicht mit Thränen, nur der Athem kam und ging beschleunigter.

„Tot?“ hauchte sie endlich leise, und Andree neigte stumm das Haupt; er wagte es nicht, sie anzusehen, er wagte nicht, zu sprechen.

Stella Brühl versuchte währenddessen, sich zu sammeln, aber es gelang ihr schwer; sie hatte nur eine Empfindung: „Das ist eine Lösung – Du hast Dir eine Lösung gewünscht: da hast Du sie! Du wolltest frei sein, und nun bist Du frei!“ Sie wollte sich bemühen, an etwas anderes zu denken, nach der Ursache seines Todes, nach der Dauer seiner Krankheit zu fragen, aber sie mußte wider ihren Willen auf die Stimme lauschen, die unaufhörlich in ihr sagte: „Du wolltest frei sein, und nun bist Du frei!“ Sie konnte sich das zahllose Male wiederholen, denn Andree blieb unbeweglich und sprach nicht. Endlich that er es doch.

„Bei dem Bau der Casa Bortenyi – Sie wissen ohne Zweifel, daß er die Skulpturen dort übernommen hatte“ – Stella entsann sich nicht, aber sie nickte mechanisch – „bei dem Bau der Casa Bortenyi also in der Via Sardegna geschah ein Unglück: man hatte den Palazzo zu rasch und leicht gebaut, die Grundmauern, zu flüchtig angelegt, konnten die gewaltigen Lasten, die man ihnen zu tragen gab, nicht aushalten, der Palazzo stürzte zusammen.“

Eine Pause; das schöne Menschenbild vor ihm hörte unbeweglich zu.

„Unter denen, die man aus den Trümmern hervorzog“, sprach der Maler mit mühsam errungener Fassung weiter, „war auch er, noch lebend, äußerlich fast unversehrt, aber mit schweren inneren Verletzungen. Ich bin zu ihm geeilt, als ich das erste Wort von seinem Unglück hörte, und ich bin bei ihm geblieben, bis er starb. Der Tod trat rasch ein. Er hat nicht viel gelitten. Ehe er die Besinnung verlor, hat er mich in sein Verhältniß zu Ihnen eingeweiht, – damals das erste Wort, so befreundet wir waren! – und hat mir die Büste übergeben, damit ich Sie Ihnen bringe. Außer mir ahnt kein Mensch etwas von Ihrem Verlöbniß, und ich weiß ein Geheimniß zu bewahren. Am fünfundzwanzigsten März ist er gestorben, und drei Tage später haben wir ihn auf dem Friedhof der Protestanten in Rom, am Fuß der Pyramide des Cestius, beerdigt. Ich bin dann nur noch wenige Tage in Rom geblieben und danach, mit einem kurzen Aufenthalt in einer und der andern deutschen Stadt, hierher gereist. – – Wollen Sie dem Prinzen Riantzew in wenigen Zeilen sagen, daß ich Ihnen die Marmorbüste, die man bei mir gesehen hat, im Auftrag eines inzwischen verstorbenen Freundes, eines sehr begabten Bildhauers, überbringen sollte, daß diese Büste noch heute in den Besitz der rechtmäßigen Eigenthümerin übergehen soll, daß ich Sie selbst aber zuvor sprechen und mir Ihr Einverständniß mit meinem Vorgehen sichern mußte. Wer mich fragt, soll von mir erfahren, daß diese Porträtbüste von Ihnen, mein Fräulein, selbst gewünscht, hier in Hamburg entworfen und später in Rom ausgeführt worden ist. Wollen Sie auch Ihre Eltern von dieser Auffassung verständigen?“

Andree versuchte, frei aufzuathmen, wie jemand, der eine schwere Aufgabe hinter sich hat, aber er konnte nur tief seufzen. Seine Hände bebten und es fror ihn innerlich, trotz des warmen Sonnenscheins. Er hatte mit eintöniger Stimme gesprochen, unverwandt auf einen Punkt neben dem Fenster starrend, als lese er von da die Erzählung herunter, er hatte die Thatsachen trocken aneinandergereiht, ohne auf Einzelheiten einzugehen, ohne ein einziges Mal sein persönliches Empfinden zu berühren. Ihm war, als spreche ein zweiter Mensch aus ihm heraus, der mit seinem eigentlichen Ich gar nichts zu schaffen habe, und immer wieder mußte er denken: „Wie muß es ihr ums Herz sein! Sie wird es Dich entgelten lassen, daß Du es gerade warst, der ihr diese Unglücksbotschaft bringen mußte! Sie wird Dich nicht mehr wiedersehen wollen – wiedersehen können!“ Und bei diesem Gedanken erfüllte ihn ein solcher Schmerz, daß es ihm vor den Augen dunkelte, daß es ihm war, als drohe ihm jemand die Sonne fortzunehmen. –

Er wartete darauf, daß sie endlich etwas sage, und wenn

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 728. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_728.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2023)