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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Wanderern ein Linnen oder gar ein Todtenhemd überwirft, das am Körper haftet und nicht wieder wegzubringen ist. Der Sage nach muß derjenige nach drei Tagen sterben, dem die weiße Frau das Linnen überwarf.

Reutte und Schloß Ehrenberg.

Manche Sage umrankt auch wie Epheu die etwa eine Stunde von Reutte entfernte, auf steilem Felsen thronende Burg Ehrenberg, eine Halbruine aus den Zeiten des Ostgothenkönigs Theodorich, in deren Thorbogen man rothen Salurner schenkt. Die stolzen Höhen des Algäus mit dem Säuling zeigen sich von dieser Stelle in voller Erhabenheit. Schloß Ehrenberg beherbergt in der Sage schwarze Jungfrauen, die nächtlicherweile von ihrer Höhle Seile spinnen zum Schloßthurm und ihre Wäsche daranhängen, eine Sage, die sich im Algäu oft vorfindet. Auch vom „Klaushund“ ist zu erzählen, der ein Menschenantlitz habe. In dem schwarzen Pudel wohne die Seele eines Verräthers, der zur Zeit des Schwedenkrieges den Engpaß, die „Ehrenberger Klause“, den Feinden verrathen und dadurch ein entsetzliches Blutbad veranlaßt habe. Zur Strafe sei der Vaterlandsverräther in den schwarzen Klaushund verwandelt worden, der in gewissen Nächten von der Klause bis nach Arlberg und zurück laufen müsse. Auffallenderweise trifft man in der Gegend von Reutte auch das Andenken an Julius Cäsar, der bei Füßen zu Pferd über den Lechschlund gesprengt sein soll, in Wahrheit aber nie in dieser Gegend gewesen sein kann. Ein Gedicht unbekannten Ursprungs erzählt, daß der Sprung über den Felsendurchbruch des Lech vom hl. Magnus vollführt worden und im Felsgrund sein Tritt zu sehen sei. Auf dem Säuling soll Julius Cäsar ein Wildbad besucht haben. So die Sage; in der Geschichte der mittelalterlichen Religionskriege aber hat die „Ehrenberger Klause“ mehr als einmal eine bedeutungsvolle Rolle gespielt.

Ein prächtiger Marktflecken in herrlicher Lage ist Reutte am Lech; im Norden ragt der Säuling empor, östlich der Zwiesel- und Tauernberg, südöstlich der Thaneller mit schneeerfüllten Wänden, südlich der Schloßkopf mit Ehrenberg, die Lechthaler Berge, die Gachsspitze und die Aschauer Alpe. Reutte führt drei Tannen in roth und weißem Felde im Wappen. Da, wo jetzt der schöne Markt liegt, von almenbesäeten Bergen umrahmt, da stand einst dichter Urwald, und darinnen lebten Heiden. Ein von Gott gesandter Mann bekehrte diese zum Christenthum und lehrte sie den Wald „auszureuten“, den Boden bebauen, Hütten errichten, und der Ort ward „Reutte“ genannt zur Erinnerung an die Ausreutung. Nur drei Tannen ließ man stehen als Denkmal des einstigen Urwalds und erneuerte sie immer wieder durch die Jahrhunderte. So deutet die Legende das Wappenbild.

Wer im Sommer in die Thalebene von Reutte kommt, wird entzückt dieses schöne Landschaftsbild preisen und nicht minder den Ort selbst, wo der Wanderer gut aufgehoben ist. Pflegte doch Kaiser Ferdinand von Oesterreich, zum steten Aerger seines Hofkochs, zu sagen: „Wenn ich was Gut’s essen will, muß ich halt nach Reutte.“




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Der Hausarzt.

Eine Plauderei von N. Guth.

Wenn ich vom Hausarzt ein wenig plaudern möchte, so denke ich dabei nicht an einen vornehmen Sanitäts- oder Medizinalrath, der, geschmückt mit Cylinder und Ordensband, in hocheleganter Kutsche bei einigen auserlesenen Patienten vorfährt und, eine Autorität in seinem Fache, fürstliche Honorare einstreicht – nein, ich denke dabei an den weniger anspruchsvollen Doktor der Medizin, der schlicht und einfach zu Fuß seine Krankenbesuche macht, dem man gar oft in seine Sache hineinredet, und dem man schließlich, wenn eben seine Mittel anfangen, ihre Wirkung zu zeigen, einen berühmten Kollegen zur Seite stellt, „weil es zu lange dauert“, weil man die langsam fortschreitende Besserung nicht gleich mit den Händen greifen konnte. Geht dann alles so gut, wie er erwartet hat, dann nimmt man ihm den Ruhm und die Ehre am Gelingen der Kur ohne jede Beileidsbezeigung einfach weg, um sie unter weithinschallenden Lobeserhebungen dem zuletzt zu Rathe Gezogenen zuzuschieben. Läuft das Ding dagegen trotz der „Autorität“ schief ab, so ist natürlich der Hausarzt schuld. Man bedauert, den Berühmten nicht früher gerufen zu haben, sondern erst, als es zu spät war. Der Hausarzt aber hat den „Karren verfahren“! Dies und das hätte er verhüten sollen – das und jenes voraussehen müssen! Er hätte früher erklären sollen, daß man noch einen andern holen möge. Vier Augen sehen doch bekanntlich mehr als zwei!

„Wir haben uns an den Professor X. gewandt, und da ist es auch gleich besser geworden! Es hat sofort angeschlagen!“ heißt es dann im ersteren Falle.

„Der Professor hat gesagt, das sei eben das Schlimme, daß man ihn immer erst rufe, wenn es zu spät sei. Er könne hier auch nichts anderes mehr thun als das Todesurtheil unterschreiben,“ so wird im ungünstigen Fall gesprochen.

Der Hausarzt zuckt die Achseln und schluckt seine Pille. Er vertheidigt sich schon lange nicht mehr. Wozu auch? Das würde ihm doch nichts nützen. Ist er alt, dann macht er ein resigniertes Gesicht, ist er jung, dann schaut er ingrimmig drein. Ist er alt, dann führt er vertrauten Freunden gegenüber das alte Wort vom Fechten gegen Windmühlen an, ist er jung, dann stellt er vielleicht dreimal die Behauptung auf: „Eben als meine Mittel anfingen zu wirken, haben sie den andern geholt. Der hat nun den Ruhm und ich das Nachsehen!“ Aber er thut das höchstens dreimal. Er begegnet doch nur einem ungläubigen Lächeln.

Mit anerkennenswerther Selbstverleugnung beginnt der Hausarzt wenige Wochen später eine Kur an einem anderen Gliede der Familie. Wird der Kranke gesund, ehe man sich bemüßigt fühlt, einen zweiten Arzt zu Rathe zu ziehen, dann fragt man: „Sie haben ja diesmal den Professor nicht kommen lassen?“ „Nein!“ ist die Antwort, „es war nichts! Nicht gefährlich!“ – –

Hat ein Schneider eine Hose zugeschnitten, so weiß er ganz genau, daß sie so oder so sitzen muß, wenn sie zusammengenäht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 733. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_733.jpg&oldid=- (Version vom 26.10.2023)