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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

auf die Wunde, die er ihm geschlagen, legen wollen, ihm einen Brocken zugeworfen, um ihm die soeben erlittene Demüthigung ein wenig zu vergüten, das fühlte der Senator recht gut, und seine Dankbarkeit hatte einen bittern Beigeschmack. Recht wohl war ihm ohnehin nie, wenn er diesen Grimm zu sehen bekam, so zuvorkommend er ihn auch stets behandelte.

Die guten, alten Zeiten! Die glücklichen Stunden, wenn die drei fröhlichen, sorglosen Junggesellen zusammensaßen und plauderten von ihrer lustigen Kinder- und Schulzeit, von ihren Eroberungen und Zukunftsplänen! Brühl war allezeit der ehrgeizigste gewesen, der, welcher am höchsten hinaus wollte, – er hätte am liebsten die waghalsigsten Spekulationen unternommen, um nur rasch zu Ansehen und Reichthum zu kommen. Aber Grimm, der vorsichtige „Kopf“, ließ es nicht zu, daß die vorschnelle „Hand“ übereilte Griffe that, er wollte stetig und langsam in die Höhe kommen und versprach es den zwei anderen immer wieder: „Nur Geduld, wir steigen schon empor!“

– – – Wenn nur Gerhard Winzer nicht immer ein so lockerer, leichter Patron gewesen wäre! Er konnte es nicht lassen, ab und zu „ein kleines Börsenmanöverchen“ auf eigene Hand zu machen, oft mit gutem Erfolg, denn er war sehr begabt, oft aber auch mit erheblichem Schaden. weil er eben ein Bruder Leichtfuß war und die Folgen nicht abmaß. Winzer spekulierte nicht aus Ehrgeiz oder Geldgier, beides lag ihm fern, aber er lebte gern gut, der Gedanke. sich diesen oder jenen Genuß versagen zu müssen, konnte ihn ganz elend machen; zudem hielt er es für seine Pflicht, die Firma großartig zu vertreten und die Leute zu dem Glauben zu bringen, es ginge ihr glänzend, was ja ihrem kaufmännischen Ruf nur nützlich sein könne. Der hübsche Gerhard Winzer, der überall gern gesehen wurde, dem niemand lange böse sein konnte, selbst der verständige Grimm nicht, ließ es sich wohl sein auf Erden, was, nach seiner Meinung, jedes Menschen erste Pflicht war. Er hatte Liebesabenteuer an allen Ecken und Enden, er hielt sich ein Pferd, hatte eine elegante Wohnung und liebte es, zuweilen ein kleines Spielchen zu machen, und wenn es auch ein Hazardspielchen war, – lieber Gott, das prickelte ihm so angenehm in den Nerven, und seine Nerven bedurften der Anregung! Aber einmal, da hatte es ein unglückseliges Zusammentreffen gegeben: ein auf eigene Hand von dem unternehmenden Gerhard Winzer geplantes Börsenmanöver, das sehr glänzend hätte ausfallen können, war ins Gegentheil umgeschlagen, die Firma hatte einen gehörigen materiellen Schaden, und, was schlimmer war, ihr Kredit, ihr Ansehen kam ins Wanken. Und dann hatte das nervenanregende Hazardspielchen großartige Verhältnisse angenommen, Winzer hatte böse Verluste gehabt, die er auszugleichen gedachte. Er lief, wie man zu sagen pflegt, seinem Gelde nach, aber es ließ sich von ihm nicht einholen, und es kam, als sich der ganze Verlust übersehen ließ, eine so bedeutende Ziffer heraus, daß selbst der leichtherzige Lebemann erschrak. Er sah nun selbst ein: so durfte es nicht weiter fortgehen, – er riß seine beiden alten Freunde ins Verderben und brachte die Firma um den Kredit. Darum beschloß er, zu gehen, was ihm weiter nicht so besonders schwer fiel, denn sein Heimathsgefühl war nie sehr stark entwickelt gewesen, und für seine Freunde war es besser, er befreite sie von seiner Persönlichkeit. Brühl zumal, der inzwischen eine sehr verwöhnte, anspruchsvolle Dame geheirathet hatte und bereits Vater eines Töchterchens war, fing an, den lustigen Verschwender mit nichts weniger als freundlichen Blicken anzusehen, und das alte, vertrauliche Verhältniß schien bedenklich gelockert. So zogen denn Grimm und Brühl mit Mühe noch eine kleine Summe aus dem so schwer geschädigten Geschäft und gaben von ihren eigenen Mitteln her, was sie entbehren konnten, das heißt, Grimm, der unverheirathet geblieben war und für sich selbst wenig verbrauchte, nahm den Löwenantheil davon auf sich, und mit diesem Gelde versehen, machte sich Winzer auf den Weg nach dem gelobten Lande Amerika.

Zuvor gaben ihm seine beiden Freunde noch ein kleines, hübsches Abschiedsessen in einem Weinkeller. Winzer war dabei bald lustig, bald sentimental; jetzt hatte er „große Rosinen“ im Kopf, sah sich als Krösus in Philadelphia herumstolzieren und die alte Hamburger Dürftigkeit mitleidig belächeln, – zehn Minuten später erblickte er sich im Geist als Drehorgelspieler, Zeitungsverkäufer oder Straßenfeger in einem schäbigen Habit, einen einzigen Cent in der Tasche, – und dazwischen leerte er sein Glas Röderer und knetete Brotkügelchen und baute eine Pyramide aus Austernschalen und griff sich plötzlich in die Brusttasche und zog ein zusammengefaltetes Papier heraus und drückte es Brühl in die Hand mit dem Rufe: „Da ist es! Da nimm es!“ Und auf die verwunderte Frage: „Was denn?“ hieß es in gerührt weinseligem Ton weiter: „Mein Lotterielos, Kinder! Ein ganzes! Redlich und ehrlich von meinem kleinen Privatgewinn bei den Dettebürger Hütten-Aktien erworben. Ich hab’s auf die Firma anschreiben lassen, der Esel von einem Kollekteur brauchte es ja nicht zu wissen, daß ich es auf meine eigene Kappe nahm. Nimm es hin, Brühl, edle Biederseele, und wenn es das große Los gewinnt, dann, Kinder, meldet es mir per Draht, und es soll mir lieb sein, die Kunde zu vernehmen. Ist’s aber, was leider viel wahrscheinlicher ist, eine verfluchte Niete, dann zündet Euch jeder mit der Hälfte dieses Loses eine Friedenscigarette an und raucht dieselbe zu meinem Andenken! – Geschrieben wird nicht eher, als bis ich zu vermelden habe: es geht mir gut! Und damit soll’s geschieden sein!“ – –

Brühl sah ihn deutlich im Geist vor sich, den fidelen Gerhard Winzer, wie er in dem grellen Lampenlicht vor ihm stand, den Kopf etwas geneigt, den Hut unternehmend schief gerückt, die schimmernden Augen halb zugedrückt. Er hatte die beiden Freunde abwechselnd an sein Herz gedrückt und hatte ein wenig geschluchzt und dazwischen gelacht und gesagt. „Kinder, es ist der Sekt!“ und hatte sie beschworen, nicht aufs Schiff zu kommen, denn ein Abschied zu Wasser sei das Scheußlichste, was er kenne, – dann war er gegangen.

Gegangen auf Nimmerwiederkehr! Denn sie hatten nichts mehr von Gerhard Winzer gehört, kein Laut, keine Kunde war mehr zu ihnen gedrungen. Sie hatten in den ersten Wochen nach seiner Abreise jeden Tag mit nervöser Geschwindigkeit die eingegangenen Postsachen durchblättert, umsonst, kein Lebenszeichen von Gerhard Winzer!

Kurze Zeit nach Winzers Abfahrt ging es aber den bei den zurückgebliebenen Freunden selbst schlecht, – so schlecht, daß sie wirklich kaum mehr an den Deserteur dachten, und wenn sie es thaten, immer in einem halb neidischen Gefühl: „Der ist doch gut dran! Der hat sich beizeiten aus dem Staube gemacht, und da drüben kennt ihn kein Mensch, während hier die Leute bald mit Fingern auf uns zeigen werden!“

– – – Sie hatten spekuliert, sie hatten es müssen, um sich einigermaßen in die Höhe zu arbeiten, sich von dem schweren Schlage, den die Firma erlitten hatte, zu erholen, – selbst der vorsichtige Grimm hatte das für nothwendig gehalten. Nun traf es sich unglücklich, daß ein großes überseeisches Haus, mit dem sie sich weit eingelassen hatten, ganz unerwartet seine Zahlungen einstellte und sie jetzt „fest saßen“, – zum Verzweifeln fest!

Namentlich Brühl verlor vollständig den Kopf, und man konnte ihm das nicht so ganz verargen. Grimm stand allein, er konnte schlimmstenfalls, wenn die Firma nicht mehr zu halten war, auch „hinüber“ gehen nach Amerika oder nach den Kolonien oder auch in eine andere Handelsstadt übersiedeln. Brühl aber hatte eine Familie gegründet, er brauchte viel, er war ein Hamburger Kind, eine stadtbekannte Persönlichkeit, er hatte einen großen Umgangskreis, machte ein feines Haus und war überdies, von seiner Gattin darin redlich bestärkt, eitel und ehrsüchtig, er wollte glänzen, eine Rolle spielen, nicht aber ins Dunkel zurücktreten oder gar aus seiner geliebten Vaterstadt verschwinden. Bernhard Grimm hatte Mühe, den Fassungslosen zu beruhigen und ihn von ganz gefährlichen Ideen abzubringen. Brühl sprach von Selbstmord, von Pistolenkugeln und anscheinendem Verunglücken bei einer Segelpartie, – er gestand seinem Freunde, daß seine Frau völlig ahnungslos sei, daß er nicht den Muth gefunden habe, ihr auch nur ein Wort von der so nahe bevorstehenden Katastrophe zu sagen, daß sie, ihrer etwas angegriffenen Gesundheit halber, eine kostspielige Reise mit Kind, Wärterin und Jungfer nach dem Süden unternommen, daß sie ihn zu einem Hauskauf gedrängt habe, da es sie geniere und demüthige, zur Miethe zu wohnen, und daß er diesen Kauf eigentlich schon abgeschlossen habe, im festen Vertrauen, ihre Spekulation werde sich glänzend bewähren. Grimm war entrüstet über so viel Unvernunft und Schwäche, allein seine Entrüstung machte die Thatsachen nicht ungeschehen. Das Schwert hing drohend über ihren Häuptern, jeden Augenblick konnte es herabstürzen. – –

(Fortsetzung folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 762. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_762.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2023)