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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

mehr tragen, sondern nur noch mit freundlichen Worten zureden sollen.“

Den Justizrath litt es nun kaum mehr, da der Lärm über ihm immer lauter wurde. Jetzt glaubte er sogar mit seinem scharfen Gehör deutlich die dröhnende Stimme seines alten Freundes Vollmer herauszuhören. Da ging er hinaus und schlich trotz seiner juristischen Würde wie ein Dieb leise die Treppe hinauf und hinein in den dunklen Zwischensaal, dessen Thür zum Glück nur angelehnt war.

Hier überzeugte er sich denn freilich, daß der Lärm nur etwa zur Hälfte von den Friedensfreunden geliefert wurde, auf der anderen Seite, in Walhalla, herrschte ebenfalls ein starker „Thurst“ und ein offenbar sehr bewegtes „Thing“. Zur Rechten aber schien gegenwärtig in der That der Thierarzt seine Meinung zu sagen, und zwar recht deutlich. Jetzt riß er die Thür auf und rief noch einmal in den Friedenstempel hinein: „So, meine Herren, und wenn Sie sich ’mal unwohl fühlen sollten, für Patienten bin ich immer zu sprechen, im übrigen können Sie mir gütigst gestohlen werden!“

Dann flog die Thür krachend ins Schloß, und der Thierarzt ließ sich mit einem tiefen Seufzer auf dem nächsten Stuhle nieder, ohne zu ahnen, daß sein Freund Königs aus einer Ecke des dunklen Saales Zeuge seiner kraftvollen Abschiedsworte gewesen war.

Eben wollte der Justizrath den zornentbrannten Friedensfreund anreden, da erhob sich in einer anderen Ecke des Gemaches ein ziemliches Gepolter, mehrere Stühle wurden von einem unvorsichtig vorstürmenden Dritten, der dort wohl bis jetzt still gesessen hatte, übereinander geworfen, und die Stimme des Apothekers Schmitz rief: „Bravo, Vollmer, Heinz, alter Freund, denen hast Du’s ordentlich gegeben! Willst Du nicht auch der Walalla-Brüderschaft da drinnen eine ähnliche Empfehlung übermitteln? Die brauchen’s noch nothwendiger!“

Unterdessen war es dem Sprecher geglückt, mit Aufopferung von zwei weiteren Stühlen Vollmers Standpunkt zu erreichen und seine Hand zu fassen, der Thierarzt aber rief, allen Grolles vergessend:

„Was, alte Seele, bist Du denn auch vernünftig geworden und hast denen da drinnen Valet gesagt?“

„Ach,“ meinte Herr Schmitz, „soll ich etwa morgen mit einem nachgemachten Wolfsfell vom Kürschner Leber als Mantel und einem Eichenkranz auf meiner Glatze draußen nach dem Tannenbusch ziehen, wie sie’s vorhaben?! Nein, was zu toll ist, ist zu toll.“

„Hm,“ machte der Thierarzt nachdenklich, „weißt Du, eigentlich etwas Männliches, ein ordentlicher Kern steckt doch von Haus aus in der Walhallageschichte. Ich habe darüber neuerdings manchmal nachgedacht.“

„Was,“ eiferte der Apotheker, „ordentlicher Kern? Unsinn war’s! Nein, da wär’s doch noch gescheiter, wenn es eben nur möglich wär’, die Menschen friedlicher zu machen.“

„Kinder,“ ließ sich jetzt der Justizrath vernehmen, „nun thut mir den einzigen Gefallen und begeistert Euch nicht noch weiter, sonst geht mir schließlich der eine nach links und der andere nach rechts ab und die Geschichte ist wieder wie vorher, nur umgekehrt! Und nun kommt“ – dabei suchte und fand er nach einiger Mühe auch die Hände der Ueberraschten – „laßt mich Euch und mir herzlich zu dieser Wiederversöhnung gratulieren und auch Euren Familien!“

„Herrgott ja, meine Familie!“ seufzte Herr Schmitz. „Wie bring’ ich’s denen aber bei? Ich bin um meine ganze Geltung daheim – weißt Du, meine Frau –“

„Ach ja,“ seufzte der Thierarzt nun gleichfalls, „und erst die meine! Mensch, Königs, da mußt Du Rath schaffen!“

„Nun gut,“ entschied der Justizrath lachend, „wir wollen sehen, was sich machen läßt. Und nun Kinder, hört meinen Vorschlag: da Ihr Euch beide so ein klein wenig vor dem Heimweg zu fürchten scheint, zieht mit mir auf mein Malepartus, da wollen wir uns bei einem guten Tropfen zusammensetzen, um Raths zu pflegen und wieder wie früher ‚froher Jugendzeit angefrischt zu gedenken‘!“

Das wurde mit Dank und Freude angenommen. Unter dem Schutze der Dunkelheit und des Regens gelangten die drei Freunde unerkannt zu der gemüthlichen Behausung des Justizraths, und nachdem dieser auf seinem Amtszimmer noch einen „kurzen, unaufschiebbaren Brief“ erledigt und durch seinen gescheiten Schreiberjungen fortgesandt, erschien er wieder mit einigen vielversprechenden Flaschen und dem trefflichsten Rauchzeug. Da verbrachten denn die Wiedervereinten einen ganz andern Abend, als die Walhalla und der Friedensbund zu bieten vermochten. Einen befriedigenden Ausweg aber, wie die große Wendung den Familien sogleich ohne Schädigung der hausväterlichen Autorität oder – Eitelkeit beizubringen sei, fand auch der alte Jurist anscheinend nicht. Endlich beschloß man auf seinen Antrag, am morgigen Nachmittag wieder selbdritt zu berathschlagen, und zwar im Gartenhause des „Königsbundes“ da draußen, wo man just an diesem Tage, einst dem herkömmlichen Termin des ersten Frühlingsfestes jener entschwundenen Gesellschaft, einer freundlichen Eingebung wohl gewärtig sein durfte.

Dort fanden sich denn zeitig am folgenden Sonntag Nachmittag die Freunde ein. Bis vor die Stadt waren sie auf verschiedenen Wegen geschlichen; draußen wandelten sie gemeinsam und freuten sich herzlich der erwachenden Frühlingspracht, des vielstimmigen Vögelgezwitschers und der ersten Obstblüthen. Als sie nun aber, von dem klug lächelnden Wirthe begrüßt, die alte Stätte ihrer Freuden betreten hatten und im sogenannten „Königszimmer“, neben dem Familiensaale, vor dem Bilde des hochseligen Stifters standen, da gingen den beiden Versöhnten die Herzen und schier die Augen über. – „Sieh’,“ sagte Herr Vollmer, hier war’s, wo wir damals vor achtundzwanzig Jahren unsere Verlobung feierten, auf einen Tag."

„Ich weiß,“ erwiderte der Apotheker, „’s war just ein Tag wie heute, – Frühlingssonnenschein nach Regen und Sturm.“

„Es war ein schöner Tag,“ murmelte der Thierarzt. „Und alles freute sich mit und stieß an, hier und nebenan im Saale und dahinter im Erkerzimmer. Wo sind sie nun, die da mit uns sich freuten? Nun liegt das alles hier öde und still, bis es von neuen, fremden Leuten belebt wird.“

„Vielleicht doch nicht ganz öde,“ meinte der Justizrath, „mich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 765. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_765.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2023)