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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

dünkt, ich höre Stimmen hier nebenan,“ und damit hatte er auch schon die Thür zu dem Saale geöffnet.

Da bot sich ein gar freundliches Bild dar. Um den ländlich reich besetzten Kaffeetisch saßen sie alle beisammen: Frau Vollmer und Frau Schmitz mit ihren Töchtern und Söhnen, strahlend in Glück und fröhlicher Spannung; auch die beiden Freier fehlten nicht.

„Das nenn’ ich eine Ueberraschung!“ rief der lustige Justizrath. „Was sagt ihr dazu, Freunde?“

Der Thierarzt drückte ihm lächelnd die Hand: „Mir scheint, das ist schon mehr eine Ueberlistung! Was soll man dazu sagen, Konrad?“

Aber ehe der Apotheker, an den die letzten Worte gerichtet waren, noch antworten konnte, fühlte er sich schon von den Armen seiner Tochter Gretchen umschlungen und hörte ihre lieben, schmeichelnden Worte, und nun drängten sie sich alle heran, wetteifernd in fröhlichen, liebevollen Begrüßungen, fern von jeder kränkenden oder leichtfertigen Berührung der überwundenen Kümmerniß. Sie war abgethan und vergessen wie ein schwerer Traum.

Das Brautpaar hatte sich von selbst zusammengefunden, es stand inmitten der Eltern, die in seinem lieblichen Anblick sich nun ganz wieder zur alten Gemeinschaft herzinniger Freundschaft vereinten. Da schlug der Justizrath mit dem Löffel an die Tasse und rief: „Nun aber, Kinder, hinüber ins alte, trauliche Erkerzimmer, dort wartet unser ein anderer, würdigerer Trank als des Königswirths Mokka! Es hat Uns nämlich nach Unserer erprobten juristischen Weisheit gefallen, in Voraussicht dieser allgemeinen Zusammenfindung alldorten durch den besagten Königswirth aufstellen zu lassen das edle Getränk, so da heißet die erste Maibowle!“ Und sie zogen paarweise mit Lachen und Scherzen, unter vielfältigen Lobsprüchen auf den weisen Juristen, hinüber in das trauliche Gemach, wo auf dem Tische der köstliche Trank schon bereit stand. Da füllten die Mädchen Glas um Glas, und dann hob der Justizrath an:

„Liebe Frauen und Freunde, laßt mich noch ein kurzes Wort reden, ehe wir uns in diesem ersten Weihetrunk des Frühlings einander Glück und Frieden zutrinken! Wir haben ihn hier oft und gerne gebraut und gekostet, in unserem alten ‚Königsbund‘. Nun ist der ‚Königsbund‘ aufgelöst, er ist tot, sagen die Leute. Aber das ist ja gar nicht wahr. Der Königsbund lebt und webt, er blüht und gedeiht, hier und nicht bloß hier, überall im deutschen Lande. Ueberall, wo sich kluge ehrenfeste Hausväter und freundliche, vorsorgliche Mütter, starke Söhne und blühende Töchter zusammenschließen in dem wundersamen Zauberring der Eltern- und Kindesliebe; wo sich Familie und Familie zusammenfinden in herzlichem, innigem, fröhlichem Vereine und auch einem alten Junggesellen und Onkel ein liebes Plätzchen offen halten, – da blüht und gedeiht er fort und fort. Das deutsche Haus, die deutsche Familie in Zucht und Fröhlichkeit, das ist unser wahrer Königsbund. Ihm lasset uns dieses erste Glas vom heimischen Frühlingstranke weihen!“

Und sie ließen die Gläser zusammenklingen und blickten einander an, die Alten mit erneuter, herzlicher Freundschaft, in inniger Liebe Braut und Bräutigam, und die Freier nebst ihren Auserkorenen mit Blicken verstohlener seliger Hoffnung, die auch von den Eltern bemerkt und freundlich getheilt ward.

Unterdessen zog draußen auf der Landstraße, die zum Tannenwald führte, eine wunderlich vermummte Schar einher. Das waren die „Walhallagenossen“. Sie hatten ihre nagelneuen Wolfsfelle umgehängt, trugen Kränze auf den Köpfen, und etliche schwangen große Trinkhörner in den Händen. Es war aber schon recht warm, und so mußten sie unter dem ungewohnten Oberkleid viel Schweiß vergießen, zumal auch mancher von ihnen schwer an der eigenen Leibeslast zu tragen hatte. Dabei war ihnen im Grunde gar nicht wohl zu Muthe, da sie sich in der harmlosen Frühlingsnatur doch eigentlich recht stilwidrig vorkamen. Weil sie sich nun sehr unbehaglich fühlten und sich selber fast lächerlich zu finden begannen, so lärmten und sangen sie über die Maßen laut. Sogar die kecke Amsel, die am Wege auf einer wilden Kastanie saß, entsetzte sich über das Getöse. Mit einem kurzen, melodischen Gelächter strich sie ab und flog hinüber zum Garten. Da setzte sie sich in den Aprikosenbaum vor dem Erkerzimmer und sang dem neuen Königsbunde ihr schönstes Lied.




Das Verschwinden des Lord Bathurst in Perleberg im Jahre 1809.

Von Eduard Schulte.
II.

Am 16. Dezember fanden zwei Perleberger Frauen, welche in einem etwa eine Viertelstunde von jenem Parchimer Thor entfernten Wäldchen Holz suchten, ein Paar Beinkleider. Sie wurden als diejenigen erkannt, welche Bathurst zuletzt angehabt hatte. Sie waren umgewendet und zeigten trotz sichtlich an ihnen vorgenommener Reinigungsversuche Spuren davon, daß der, welcher sie getragen, auf der Erde gelegen hatte. In einer Tasche, welche die damals übliche Uhrtasche gewesen zu sein scheint, fand man einen Brief Bathursts an seine Gattin, worin er angab, er fürchte, nicht wieder in die Heimath zurückkehren zu können; wenn er umkomme, so werde der Graf von Entraignes der Urheber seines Todes sein. Dieser Graf lebte damals in London und galt als Agent nicht Napoleons, sondern des Grafen von Provence, des französischen Prinzen und Prätendenten, der später als Ludwig XVIII. den Thron bestieg. Entraignes ist auf mehr oder minder unaufgeklärte Weise in mehrere politische Händel verwickelt gewesen. Es läßt sich nicht angeben, was den englischen Diplomaten veranlaßt haben kann, in ihm seinen Feind zu sehen. Dagegen hat Entraignes der Gattin Bathursts erzählt, ihr Gatte sei von Napoleons Polizei nach Magdeburg geführt und dort getötet worden. Haben Agenten Napoleons den Gesandten eingeschüchtert, so könnten sie geflissentlich den geheimen Agenten der royalistischen Gegenpartei als den gefährlichen Mann bezeichnet haben, während Entraignes wiederum die Agenten Napoleons als gefährliche Leute bezeichnete. Ein Skelett sollte auch später in Magdeburg gefunden worden sein, und zwar aufrecht im Grabe stehend und mit gebundenen Händen, aber diese Schauergeschichte gehört in das Reich der Fabel.

Die beiden Perleberger Finderinnen wurden mit einigen Thalern belohnt. Der Fund schien unwiderleglich zu beweisen, daß die Leiche Bathursts vom Perleberger Gebiet nicht entfernt worden war. Die Beinkleider zeigten zwei vermuthlich von hindurchgeschossenen Kugeln herrührende Löcher, doch ohne Blutspuren, so daß es den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 766. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_766.jpg&oldid=- (Version vom 1.11.2023)