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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Was ist nun als das wahrscheinliche Lebensende Bathursts anzusehen? Hat er selbst Hand an sich gelegt? Oder hat die französische Geheimpolizei ihn beseitigt? Oder ist er durch Raubmord umgekommen? Jede dieser drei Möglichkeiten hat ihre Anhänger gefunden.

Was die erste derselben angeht, so muß man zugeben: Bathurst hat sich in Perleberg und vorher so erregt gezeigt, daß man sich eines plötzlich gefaßten verzweifelten Entschlusses wohl hätte versehen können. Bathursts eigene Familie hat anfangs Selbstmord angenommen. Aber wie ungenügend auch die Untersuchungen in Perleberg vom kriminalpolizeilichen Standpunkte aus gewesen sind, so haben sie wenigstens das mit Sicherheit ergeben, daß ein auf Perleberger Gebiet verübter Selbstmord nicht vorliegen kann; in diesem Fall würde die Leiche eben nicht unentdeckt geblieben sein. Und wie sollte man annehmen, daß Bathurst sich im Augenblicke der Abfahrt in dunkler Novembernacht aus der Stadt entfernt hätte, um sich anderswo zu töten? Die Möglichkeit des Selbstmordes muß als ausgeschlossen gelten.

Die Ueberzeugung, daß Bathurst das Opfer der französischen Polizei geworden sei, ist in den ersten Jahrzehnten nach seinem Verschwinden die herrschende gewesen. Varnhagen hat sie noch dreißig Jahre später vertheidigt, und die englische Zeitschrift „Spectator“ trat noch im Jahre 1862 dafür ein. Hatte Bathurst nicht vorher gesagt, er werde französischen Nachstellungen erliegen? Hatte Napoleon nicht wiederholt Rechte verletzt, welche im Verkehre der Völker heilig gehalten werden? Welchen Werth hatte in seinen Augen ein Menschenleben? Wer sonst als er hatte dazu die Macht, einen Menschen geheimnißvoll verschwinden zu lassen? Was war die Darstellung im „Moniteur“ anders als das versteckte Eingestehen eines Verbrechens und als der Versuch, den Verdacht von sich abzulenken? Was bedeuteten Napoleons Unschuldsbetheuerungen vor Bathursts Gemahlin, da er als Angeklagter in eigener Sache sprach? Ist da nicht zuzugestehen, daß es begreiflich war, wenn man Napoleon und seine Polizei für schuldig hielt? Ihm, dem gefürchteten und gewaltthätigen Zwingherrn, auch diese Unthat zuschieben zu können, war eine Art stiller Genugthuung, und außerdem hatte die Thäterschaft Napoleons und seiner Geheimpolizei einen viel romantischeren Reiz als die Thäterschaft eines Raubmörders. Dennoch halten die Gründe, welche man für diese Möglichkeit angeführt hat und anführen kann, einer ernstlichen Prüfung nicht Stand.

Zunächst folgt aus der allerdings zweifellosen Thatsache, daß Bathurst französische Nachstellungen gefürchtet hat, noch nicht die Thatsächlichkeit der Nachstellungen. Es ist bereits oben erwähnt, daß die Befürchtungen Bathursts sich am natürlichsten erklären, wenn man annimmt, daß sie auf Einflüsterungen und Einschüchterungen beruhten, welche von einem französischen Agenten ausgingen und bei Bathurst auf einen nur zu empfänglichen Boden fielen. Hätte die französische Geheimpolizei Hand an ihn legen wollen, so würde sie geschwiegen und gehandelt haben, und schwerlich würden ihm schon in Wien Winke über ihre Pläne zugegangen sein. Aber wie die Furcht vorhanden sein konnte, ohne daß eine Gefahr bestand, so konnten allerdings auch Gefahren bestehen, gleichviel, ob sie gekannt und gefürchtet wurden oder nicht. Der Charakter des Krankhaften, den die Befürchtungen Bathursts unzweifelhaft annahmen, beweist keineswegs, daß die Befürchtungen selbst grundlos waren. Die Thatsächlichkeit französischer Nachstellungen ist indessen aus anderen Gründen abzulehnen.

Daß an Anwendung offener Gewalt und namentlich gewaltsamer Entführung füglich nicht gedacht werden kann, liegt auf der Hand. Wohl hatte Napoleon den Herzog von Enghien auf badischem Gebiet in Ettenheim aufheben lassen, aber Ettenheim hatte keine Besatzung, und doch wurden außer Gendarmen drei hundert Dragoner für das Unternehmen aufgeboten. Perleberg war preußische Garnisonstadt, und in diesem Theile der Mark stand kein französischer Soldat. Das königlich westfälische Gebiet begann erst jenseit der über zwei Meilen entfernten Elbe. Ein Erscheinen französischer Bewaffneter auf preußischem Gebiet hätte unmöglich verborgen bleiben können. Zu der immerhin abenteuerlichen Annahme, daß Bathurst durch geheime Agenten, zu denen etwa auch sein Sekretär und sein Diener gehört hätten, in Perleberg heimlich ermordet worden sei, würde man sich erst dann drängen lassen dürfen, wenn sie unausweichlich wäre und nicht andere Möglichkeiten näher lägen. Aber gesetzt einmal, geheime Agenten hätten es gewagt und ermöglicht, Bathurst gefangen zu nehmen und zu töten, so würden sie ein Werk, zu dessen Ausführung sie eine anerkennenswerthe Geschicklichkeit aufgeboten hätten, als Stümper beendet haben. Sie durften dann nicht Kleidungsstücke des Ermordeten zum Vorschein kommen lassen. Sie mußten dafür sorgen, daß die Leiche mit einer tödlichen Schußwunde und mit einer Pistole in der Hand, oder mit einer tödlichen Stichwunde und mit einem Dolche in der Hand gefunden wurde, um durch den Schein des Selbstmordes bei einem Manne, der als excentrisch bekannt war, den Verdacht von sich und ihrem Herrn abzuwälzen. Brachten sie den Mord fertig, dann mußten sie auch eine solche Verdeckung desselben fertig bringen, wie man sie einst vielleicht bei Pichegru fertig gebracht hatte, den man erdrosselt fand, als hätte er sich selbst erdrosselt, der aber vermuthlich erdrosselt worden war. Und schließlich bleibt doch noch die Hauptfrage übrig: welchen Zweck soll die Ermordung Bathursts für die französischen Agenten oder für Napoleon gehabt haben?

Als Bathurst zu Anfang des Jahres 1809 nach Wien ging, mochte es für Napoleon von einigem Werthe sein, zu erfahren, welche Anerbietungen und Vorschläge England an Oesterreich zu machen hatte, und wenn er damals den Gesandten hätte seiner Papiere berauben lassen, bei welchem Unternehmen derselbe sich gewehrt und seinen Tod gefunden hätte, so würde dies ein allenfalls verständlicher Vorgang gewesen sein. Aber wozu sollte er ihn jetzt berauben oder töten lassen? Oesterreich war besiegt und für die nächste Folgezeit zu jedem kriegerischen Vorgehen außer stande. Was England etwa mit Oesterreich zu Anfang des Jahres unter Voraussetzungen verabredet hatte, die nicht eingetreten waren, konnte für Napoleon zu Ende des Jahres völlig gleichgültig sein. Daß Bathurst an jenem verhängnißvollen Sonnabend Papiere verbrannt hat, ist kein Beweisgrund dagegen. Er war bekanntermaßen krankhaft erregt, und überdies liebt es kein Privatmann und vollends kein Gesandter, seine Papiere durchsucht zu sehen, wenn er doch einmal fürchtet, in die Hände von Gegnern zu fallen. Die geheimnißvolle Wichtigkeit dieser Papiere ist damit nicht erwiesen. Wer sagen wollte, Napoleon habe vielleicht nach Aufschlüssen über die Haltung des preußischen oder des russischen Hofes forschen wollen, müßte zeigen, daß derselbe irgend welchen Anhalt zu der Voraussetzung hatte, solche bei Bathurst zu finden. Im übrigen war Napoleon, wie wir namentlich aus neueren Veröffentlichungen wissen, während des Feldzuges in Oesterreich und vor dem Verschwinden Bathursts über jene Höfe sehr genau unterrichtet. In den Jahren seines Glückes hatte er keine Veranlassung, Gesandte zu berauben, um zu erfahren, was er wissen wollte; es standen ihm genug anderweitige Mittel und Wege dafür zu Gebote. Die persönliche Feindschaft Napoleons gegen Bathurst war ein Hirngespinst Bathursts. Anwendung von Gewalt gegen einen Gesandten war eine Handlung, die Napoleon, ohne dessen Zustimmung sie nicht erfolgt wäre, nur zugelassen hätte, wenn ihr voraussichtlicher Nutzen zu ihrer zweifellosen Bedenklichkeit in nicht allzu grellem Mißverhältniß stand. Um seinen Zweck zu erreichen, hat er mehr als einmal während seiner politischen Laufbahn verwerfliche Mittel angewendet und geheiligte Schranken mißachtet, aber einer zwecklosen Handlung, auch einer zwecklosen Gewaltthat, war er nicht fähig. Eine Beraubung und Ermordung Bathursts kann von Napoleon nicht angeregt worden sein, aus dem einfachen und zureichenden Grunde, weil sie keinen Sinn und Verstand gehabt hätte.

Da von den drei Möglichkeiten, welche für das Ende Bathursts vorliegen, zwei ausgeschlossen sind, so bleibt also nur die dritte übrig.

Daß ein Raubmord stattgefunden habe, ist die Ueberzeugung, der die neueren Darstellungen des Falles mehr oder minder rückhaltlos Ausdruck geben, so die jüngere der beiden im „Neuen Pitaval“ enthaltenen Darstellungen und die erst im Jahre 1887 erschienene englische. Der Kapitän Klitzing hat von Hause aus an französische Nachstellungen nicht recht zu glauben vermocht, obwohl Bathurst solche gefürchtet hatte, und hat sich in seinem späteren Leben wiederholt dahin ausgesprochen, daß es sich nur um einen in Perleberg verübten Raubmord handeln könne.

Man möchte sagen: „Wenn man Anzeichen für diese Thatsache hatte, warum hat man dann den Raubmord nicht rücksichtslos

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verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1891, Seite 770. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_770.jpg&oldid=- (Version vom 17.6.2023)