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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

betrachtete, in dem allmählich eine Besorgniß, ein ungläubiger Schrecken aufzudämmern begann. Und wie jeder von ihnen sich hütete, die beklommene Stille mit einem Laut, mit einem Wort zu unterbrechen – – –

Bis Brühl plötzlich auf den Freund zustürzte und ihn bat, ihn beschwor, zu schweigen, mit beredten Worten, wie sie ihm sonst nie im Leben zu Gebot standen, ihm vorstellte, wie kein Mensch auf Erden den wahren Zusammenhang ahne, und wie Winzer immer leichtsinnig gewesen sei und der Firma geschadet habe, und welche Opfer man um seinetwillen habe bringen müssen, – und wie man doch nicht wisse, wo der leichtsinnige Mensch stecke und ob er überhaupt noch am Leben sei, – und wie er, Brühl – dies Geld, die Hilfe in der größten Noth, ja nur als Darlehn ansehe, nun und nimmer als Eigenthum, – wie er es Winzer zurückzahlen wolle bei Heller und Pfennig, in wenigen Jahren, – sicher, – das sei ja jetzt, da die Firma einen neuen Aufschwung nehmen werde, gar keine Frage, – und so weiter ins Unendliche hinein, – mit Schwüren, Thränen, Betheuerungen, Beweisen und Auseinandersetzungen.

Aber Bernhard Grimm blieb stumm, immer stumm unter diesem stürmischen Ausbruch, und als er endlich, endlich sprach, da war es seine fest abgegebene Meinung: man müsse in allen größeren Zeitungen Englands und Amerikas Aufrufe an Gerhard Winzer erlassen, die ihn aufforderten, sich zu melden, und ihm zugleich sagten, weshalb er sich melden solle. Diese Aufrufe müßten in regelmäßigen Zwischenräumen, die noch näher festzusetzen seien, wiederholt werden, und erst wenn nach Recht und Gesetz Gerhard Winzer als verschollen betrachtet werden dürfe, habe man nachzudenken, was mit dem Gelde anzufangen sei, und sich nach Verwandten des Verlorenen umzusehen, die das nächste Recht darauf hätten. Denn das Geld sei sein – Gerhard Winzers – Privateigenthum, und sie wüßten es beide, daß er das Los nur aus Bequemlichkeit auf die Firma hatte schreiben lassen, – thatsächlich habe er es mit seinem eigenen Gelde bezahlt.

Umsonst, daß Brühl dagegen einwarf, das Geld, das die Firma ihm zur Uebersiedlung gegeben, betrage mehr als das Vierfache des Werthes, den das Los als solches gehabt habe. Das sei Wortstreit und Spiegelfechterei, entgegnete Grimm unerschüttert – sie hätten Winzer dies kleine Kapital ohne Vorbehalt gegeben. Wer könne wissen, wie es Winzer inzwischen ergangen, wie rasch die an sich schon geringfügige Summe zu Ende gewesen sei; – wer könne wissen, ob dieser Gewinn, der ihm und ihm allein rechtmäßig bei Heller und Pfennig zukomme, ihn nicht vor Untergang und Verderben rette?

Darauf hatte Brühl sich seinem Freunde zu Füßen geworfen und seine Kniee umfaßt: er solle Erbarmen haben mit ihm, er sei ein verlorener Mann, und er flehe nicht für sich allein – sein geliebtes Weib, sein süßes Kind müßten mit ihm zu Grunde gehen, wenn er diese Hilfe nicht für sich benutzen könne. Gerhard Winzer sei ein einzelner Mensch und sehr begabt – wenn er ernstlich wolle, könne es ihm nicht fehlen, er werde immer und überall durchs Leben kommen. Für Gerhard würde dieser Lotteriegewinn, an den er sicher nie mehr denke, auf den er in keinem Fall rechne, nichts weiter bedeuten als einen unverhofften Glückszufall – für ihn – Brühl – bedeute er kaufmännische Ehre, Familienglück, die ganze Existenz … alles!! Und als Grimm gesagt hatte, eine kaufmännische Ehre, die sich auf einer wissentlichen Unterschlagung, ein Familienglück, das sich auf einem Betrug aufbaue, sei keine Ehre und kein Glück mehr zu nennen, … da griff Brühl zu seinem letzten, verzweifelten Mittel, zur Pistole, und schwur, sich zu töten, falls der andere ihm das Mittel zu seiner Rettung verweigere. Grimm sah, daß es ihm heiliger Ernst war mit dieser Drohung, und der Gedanke, ein Menschenleben, das Leben seines alten Kindheitsgespielen und Jugendfreundes, der überdies Gatte und Familienvater war, auf dem Gewissen zu haben, ließ ihn schwanken und zaudern. Und als Brühl ihm von neuem schwur, er nehme alle und jede Verantwortung einzig auf sich und er werde Gerhard Winzer seine Schuld abtragen, so wahr er hoffe, selig zu werden, – da wandte Grimm sich mit einem schweren, schmerzlichen Seufzer ab, nahm dem Genossen die Pistole aus der Hand und ging aus dem Zimmer, langsam und schwerfällig wie ein Mann, der eine drückende Last zu schleppen hat.

Und dann nahm das Haus Brühl, wie es vorauszusehen gewesen war, seinen Aufschwung – aber doch nicht so rasch und glänzend, wie man allgemein vermuthet hatte. Denn, was freilich kein einziger vorausgesehen hatte, Bernhard Grimm, der „Kopf“, die Seele des Geschäftes, trat zurück, und es gab fortan keine Firma „Brühl und Grimm“ mehr, sondern nur ein „Haus Brühl“!

Die Börsianer fragten sich voll Verwunderung, was da wohl geschehen sein müsse, um die beiden von einander zu trennen. Grimm fing auf eigene Hand an, Geschäfte abzuschließen, fürs erste in kleinem Maßstabe, immer aber gewinnbringend und sicher. Von Brühls Unternehmungen, welcher Art sie immer sein mochten, hielt er sich gänzlich fern, – selbst seinen Rath, seine Meinung versagte er ihm. Es konnte nicht ausbleiben, daß dies ein gewisses Aufsehen erregte und daß die Menschen hin und her riethen, wo wohl der Grund zu suchen sei. Dem wahren Sachverhalt kam aber keine einzige der zahlreichen Vermuthungen nahe.

Und die Jahre kamen und gingen. Mit boshaftem Lächeln ließ Fortuna, die launische Göttin, die Glückswage des Brühlschen Hauses auf und ab schwanken. Hausse und Baisse! Heute obenauf – morgen in Angst und Sorge, so war es ein beständiges Schwanken und Schweben. Denn man mußte hohe und immer höhere Einsätze wagen, um die beständig steigenden Ansprüche des Hauses zu befriedigen. Die Prokuristen und Buchhalter schüttelten den Kopf, am meisten aber that dies der Kassierer, der die kaum eingelaufenen Summen meistens auch sofort wieder ausfolgen mußte. Wo in aller Welt brachte denn der Prinzipal das viele Geld hin? Und auf was für gewagte Geschichten ließ er sich oft ein – Geschichten, von denen er offenbar nichts verstand und die nur dank dem freundlichen Zufall noch glatt abliefen! Man hatte ja einen bedeutenden Umsatz, und es war durchaus kein einseitiges Geschäft – aber wenn jemand in Speditionen, in Eisenbahnen, in Grundbesitz, in überseeischem Handel und auf dem Geldmarkt zu gleicher Zeit arbeiten wollte … dann, ja dann gehörte denn doch ein anderer Kopf dazu, als Herr Brühl ihn besaß. Grimm hätte es vielleicht fertig gebracht – Brühl aber konnte längst den Umfang seines Geschäfts nicht mehr übersehen, das Steuer war ihm aus der Hand geglitten, und er ließ sein Schiff treiben, wie es Wind und Wellen gefiel. Seinen Untergebenen schwindelte es oft, wenn er sich wieder in ein neues Unternehmen einließ – aber es lief noch immer gnädig genug ab. Zuweilen war wirklich ein großer Gewinn zu verzeichnen – und ging es nicht so gut, so kam man meistens doch nur mit einem blauen Auge davon.

Eine sehr große Summe aus dem Geschäft herauszuziehen, daran war nicht zu denken – das wußte Herr Grimm ganz genau, trotzdem er sich anscheinend gar nicht um die Brühlschen Angelegenheiten bekümmerte. Dennoch hielt er es für seine Pflicht, von Zeit zu Zeit seinen ehemaligen Freund und Compagnon an sein damals so bereitwillig geleistetes, mit hundert Eiden beschworenes Versprechen zu erinnern. Und jedesmal, wenn Brühl ihn mit gesenktem Blick und stockender Stimme versicherte, es sei ihm ganz unmöglich, jetzt sein Wort einzulösen, wenn er nicht sich und die Seinigen ruinieren wolle – jedesmal ging Grimm mit herber zusammengepreßten Lippen und verächtlicher flammenden Augen stumm von ihm fort.

Allerdings – die Entschuldigung, die Brühl jedesmal bereit hatte, mußte man einigermaßen gelten lassen: Gerhard Winzer war und blieb verschollen. Grimm hatte auf eigene Hand die geplanten Aufrufe in den bedeutendsten englischen und amerikanischen Zeitungen erlassen, freilich mit dem schwer wiegenden Unterschiede, daß eine andere Veranlassung genannt wurde; es hieß nicht, der Gesuchte habe eine Masse Geld gewonnen, sondern seine Freunde wünschten seinen Aufenthalt zu erfahren, um ihm wichtige Mittheilungen machen zu können. Meldete sich der Verlorengegangene daraufhin, so wollte Grimm mit ihm zusammen aufs neue eine Firma gründen und mit seinem ganzen Kapital und Ansehen für dieselbe einstehen, und Gerhard Winzer sollte es gut dabei haben. Aber die Jahre vergingen, die Aufrufe wurden wiederholt, und er meldete sich nicht! –

Bernhard Grimm betrieb inzwischen sein Geschäft für sich, und es war durchaus nichts Aufregendes dabei, weder ungeheure Gewinne noch namhafte Verluste. Langsam und stetig arbeitete er sich in die Höhe, er ließ sich wenig in die Karten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 774. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_774.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2023)