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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

sehen, es wußte eigentlich niemand so recht, wie er stand. Ihm war dies sehr angenehm; wenn er es nur selbst wußte! Sein Ruf, sein Kredit wuchs von Jahr zu Jahr, gewiegte Kaufleute kamen zu ihm mit Vorschlägen, mit ihnen gemeinsam Geschäfte zu machen – er nahm hier an und lehnte dort ab, wie er es für angezeigt fand. Zuweilen suchte ihn dieser und jener „Geschäftsfreund“ auszuforschen, was es denn eigentlich damals zwischen ihm und seinem langjährigen Compagnon Brühl gegeben habe. Darauf pflegte Grimm jedesmal mit einem eigenthümlichen Lächeln zu antworten: „Eine Meinungsverschiedenheit! Wir fanden denn doch, daß wir nicht in allen Stücken zueinander paßten!“ – Immer dasselbe, und weiter kein einziges Wort! Brühl sagte etwas Aehnliches, aber ein Unterschied war doch vorhanden: Brühl sah jedesmal unglücklich und verlegen aus, und Grimm nicht.

Der eine der ehemaligen Freunde war Senator geworden, führte ein großartiges Leben und galt bei allen denen, die nicht in seinen Geschäftsbetrieb hineinsehen konnten, als ein schwer reicher Mann, der die Ehre und das Ansehen, in welchem er stand, vollauf verdiente. Der andere hatte nicht den geringsten Titel, führte ein zurückgezogenes Stillleben bei Blumen, Bildern und Katzen und galt bei denen, die in Hamburg die „Welt“ bildeten, für gar nichts. Brühl hatte eine berühmt schöne Tochter, die sein Haus zum Brennpunkt für zahlreiche Leute machte – Grimm hatte nichts weiter, als ein paar hübsche Bilder und seinen Hafis, und die gaben keinen Brennpunkt ab. Er war damit auch ganz zufrieden und wollte es nicht anders haben.

Doch! Er wollte jetzt eine Pflegetochter haben!

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Bei diesem Endziel im Laufe seines Gedankenganges angekommen, seufzte Brühl tief auf. Es war ihm schlecht zu Muthe, und wenn er daran dachte, daß er jetzt „seinen Damen“ die Eröffnung in betreff Gerdas zu machen und ihnen zu sagen habe, daß sie diesmal unbedingt nachgeben müßten, dann wurde ihm noch bänger. Wie ein schwer geschlagener Mann erhob er sich, um sich in den Garten hinabzubegeben. Zuvor aber ging er doch zum Telephon und gab seinem ersten Buchhalter den Befehl, die Wildensteiner Prioritäts-Obligationen loszuschlagen und für die ganze Summe Kornhöfer Industrie-Aktien zu nehmen, und zwar so schleunig als möglich!




16.

In dem schönen Hause, das Fürst Riantzew für die Dauer seines Hamburger Aufenthalts gemiethet hatte, herrschte seit zwei Tagen eine beklommene Stimmung. Und zwar ging die Schwüle, die sich darin verbreitete, diesmal nicht, wie sonst stets, von der Fürstin aus – diese war guter Dinge, fand Hamburg „nicht so übel“ und hatte sich mit dem Gedanken, noch ein paar Wochen hier bleiben zu müssen, so ziemlich ausgesöhnt! – sondern von dem Hausherrn. Der Fürst ging umher wie ein brüllender Löwe, und selbst die kleine Mascha, sein Liebling, die sich als Rekonvaleszentin noch etwas besonderes herausnehmen durfte, mußte sich barsch abweisen lassen und kam mit feuchten Augen und einem weinerlich verzogenen Mäulchen aus seinem Arbeitszimmer: „Papa böse – Mascha weinen!“

Daß es eine Scene zwischen dem Fürsten und seinem prinzlichen Bruder gegeben hatte, wußte das ganze Hauspersonal, aber die Ursache blieb ihm unbekannt. Man hatte nicht lauschen können, des Fürsten Arbeitskabinett, wo sich der Streit abgespielt hatte, lag zu unbequem dazu. „Gewiß eine Liebesgeschichte, mein schönes Kind!“ versicherte der Kammerdiener der niedlichen georgischen Zofe und schien nicht übel Lust zu haben, seinerseits gleichfalls eine Liebesgeschichte in Scene zu setzen.

Es war ganz einfach gewesen: der Fürst hatte seinem Herrn Bruder gesagt, wann und wo und in welcher Lage er ihn erblickt, und hatte ihm seinen Wunsch ausgesprochen, er, der Prinz, möge je eher je lieber aus Hamburg verschwinden. Und der prinzliche Bruder hatte sich kurz und rund geweigert.

Anfangs hatte der Fürst dies für Scherz genommen, allein die „kleine Durchlaucht“ war weit davon entfernt, zu scherzen. Als der ältere Bruder entrüstet fragte, was das eigentlich bedeuten solle, entgegnete der jüngere gelassen, das bedeute seine bevorstehende Verlobung mit Fräulein Stella Brühl.

Auf dies hin verlor der Fürst zuerst die Sprache – dann fand er sie wieder und zwar mehrere Sprachen auf einmal. In einem Gemisch von Rumänisch und Französisch, ab und zu von einem kräftigen englischen Fluch unterbrochen – die englische Sprache ist reich an Kraftausdrücken! – hielt er dem jungen Mann das Unmögliche eines solchen Schrittes vor. Der Prinz erwiderte in einem ganz tadellosen Französisch, es sei nichts in dieser Welt unmöglich, was man ernstlich wolle, und er wolle dies sehr ernstlich. Der Fürst schrie ihm zu, er werde seine Hand von ihm abziehen – der Prinz entgegnete mit unerschütterter Ruhe, das werde ihm sehr leid thun, indessen Herr Senator Brühl sei überaus reich, wie ihm jedermann sagen könne, und werde entschieden nicht die Hand von seiner Tochter abziehen, wenn sie einen Prinzen heirathe – im Gegentheil! Der Fürst drohte, der Bruder werde sich durch die bürgerliche Gattin die ganze Laufbahn verscherzen – der Prinz erwiderte, dies fürchte er durchaus nicht, und nannte eine Reihe vornehmer Standesherren, die das gleiche gethan hätten, was er vorhabe, und doch, dank ihrem alten Namen und ihren hohen Verbindungen, die ganze Stufenleiter bis zum Gesandten- oder Botschafterposten durchgemacht hätten. – Der Fürst zählte die ganze lange Stammtafel Derer von Riantzew her, die auch nicht durch einen einzigen bürgerlichen Namen entstellt werde, und fragte seinen Bruder, ob er es über sich gewinne, dieser erlesenen Gesellschaft die Schande anzuthun und eine Hamburger Kaufmannstochter in dieselbe einzuführen. Der Prinz antwortete, eine Schande könne er nicht darin sehen, dem alten Stamm ein frisches Reis aufzupfropfen, und die fürstlichen Ahnen würden an soviel Schönheit und Jugend sicher ihre Freude haben. Die Zeiten seien eben andere geworden, die alten, abgebrauchten Begriffe müßten verschwinden, und er, der Fürst selbst, habe ja so oft gesagt, man müsse mit überlebten Vorurtheilen aufräumen und das Panier der neuen, aufgeklärten Zeit schwingen. Auf die unwirsch hingeworfene Bemerkung des durchlauchtigen Bruders, er habe das nicht persönlich gemeint und jedenfalls nicht seinen einzigen Bruder zum Bannerträger der Aufklärung ausersehen, meinte dieser, das habe er nicht wissen können, da diese Auslassungen ihm gerade an seine Adresse gerichtet erschienen wären.

Die ältere Durchlaucht batte ihre Haltung vollständig verloren, die jüngere die ihre ganz und gar bewahrt, die ältere lief aufgeregt im Zimmer auf und ab, die jüngere saß seelenruhig auf einem kleinen Brokatdivan. Das Ende vom Ganzen war, daß sich der Fürst aufs Kapitulieren legte und, statt mit Drohungen, mit Bitten kam. Aber das half alles nichts. Die kleine Durchlaucht erklärte, so lange in Hamburg zu bleiben, bis Stella Brühl ihr Jawort gegeben habe – und dann natürlich erst recht nicht abzureisen. Als der Fürst höhnisch fragte, wann denn die Werbung vor sich gehen werde, entgegnete der Prinz gefaßt, das wisse er noch nicht, vielleicht werde sich dies auf dem Gartenfest entscheiden, das Senator Brühl demnächst zu geben gedenke. –

Dies berühmte Gartenfest sehnte nicht nur Prinz Riantzew mit Ungeduld herbei – andern Leuten ging es ebenso. Waldemar Andree hatte eine von Frau Senator Brühl selbst geschriebene höfliche Einladung erhalten mit dem Zusatz, sie hoffe, daß dann auch die Angelegenheit mit dem Porträt ihrer Tochter eine endgültige Regelung finden werde.

Wieder in großer Gesellschaft! Wieder nicht mit ihr allein! hatte er geseufzt und das duftende Briefchen unmuthig beiseite geworfen. Aber gleichviel, gleichviel! Er würde sie doch sehen! Er würde sie sprechen! – –

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Selbstverständlich gab es am fünfundzwanzigsten Mai herrliches Wetter, nachdem dasselbe Tage hindurch unbeständig, kühl und trübe gewesen war. Aber heut lachte alles – Himmel und Sonne und Maiengrün um die Wette, und Stella Brühl schlug auch zwei lachende Augen auf. Natürlich! Heut gab sie ihr Sommerfest, heut mußte das Wetter wunderschön sein!

Sie sah ganz und gar nicht nach einer betrübten Braut aus, die den heimlich Geliebten betrauert. Im Grunde genommen dachte sie eigentlich fast nie mehr an Werner Troost, nur der Brief, den sie ihm zuletzt geschrieben und in welchem sie ihm sein Wort zurückgegeben hatte, beunruhigte sie noch zuweilen. Wo war der Brief nur geblieben? Verloren konnte er nicht gut sein, sie hatte diese Briefe stets auf der Post einschreiben lassen und an Werners Wirthin, Signora Marchini, adressiert, – innen lag dann der Brief an den jungen Bildhauer. Warum die Wirthin ihr nicht den

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verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1891, Seite 775. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_775.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2023)