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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

„Oho, das geht auf mich!“ rief Normann entrüstet. „Ich bin in Ihren Augen wohl ein herzloses Ungeheuer?“

Doras Blick streifte einen Augenblick lang sein Gesicht, dann entgegnete sie mit unverhohlenem Spott:

„Wenn Sie sich selbst so nennen – ich hätte es zarter ausgedrückt.“

Der Professor war wüthend über diese Antwort. Er vermißte wieder einmal gänzlich die Ehrfurcht, die man seinen Jahren und seiner wissenschaftlichen Bedeutung schuldig war. Diese Dora Herwig mißfiel ihm überhaupt gründlich. Man sah es, daß sie das einzige Kind eines überzärtlichen Vaters war, verzogen und verwöhnt in jeder Hinsicht. Dieses naseweise zwanzigjährige Ding hatte nicht die mindeste Hochachtung vor dem Herrn Professor, sondern verkehrte mit ihm völlig auf dem Fuße der Gleichheit, widersprach ihm bei jeder Gelegenheit und nahm sich bisweilen sogar heraus, ihn zurechtzuweisen. Und man konnte nicht einmal grob gegen sie sein, wenigstens nicht in genügendem Maße, weil sie die Tochter eines Kollegen war, den man schätzte und auf den man doch einige Rücksicht nehmen mußte. Normann hatte sich noch niemals so geärgert wie während dieses Aufenthaltes in Schlehdorf, wo er ganz ungestört seinen Studien zu leben gedacht hatte und wo ihm nun dieser Störenfried mit den braunen Augen und dem hellen Lachen die ganze Stimmung verdarb. Wie oft hatte er sich schon vorgenommen, lieber den Kollegen und die naturwissenschaftlichen Gespräche fahren zu lassen als sich Tag für Tag so weiter zu schleppen; aber sobald Herwig mit seiner Tochter eine Bergwanderung unternahm, war er immer wieder da und ärgerte sich immer wieder von neuem.

Der arme Friedel litt natürlich am meisten unter dieser üblen Laune seines Herrn und Gebieters, und er mußte auch jetzt als Blitzableiter dienen bei dem Gewitter, welches die letzte Aeußerung der jungen Dame heraufbeschworen hatte.

Der Knabe hatte nur etwa zehn Minuten lang ausgeruht und sich dann wieder auf den Weg gemacht. Man sah es von oben, wie er hastete, um die Vorausgegangenen zu erreichen. Jetzt schlug er plötzlich einen schmalen, aber sehr steilen Felspfad ein, der eine große Biegung des eigentlichen Weges abschnitt. Das erregte nun aber erst recht den Zorn des Professors.

„Was fällt denn dem Jungen ein, da hinaufzuklettern!“ wetterte er. „Das soll er doch den Ziegen und den Hirtenbuben überlassen. Friedel! Er hört nicht! Nun meinetwegen, wenn Du’s nicht besser haben willst –“

„Friedel, nicht da hinauf!“ rief auch Dora und winkte abwehrend, aber der Knabe mißverstand entweder den Zuruf, oder er scheute den noch gefährlicheren Rückweg, denn es war in der That eine bloße Felsrinne, in der er schon ziemlich weit an der jähen Wand emporgestiegen war. Genug, er klomm weiter aufwärts.

„Er klettert bei alledem gar nicht so übel,“ meinte Normann, der stehen geblieben war. „Und schwindelfrei scheint er auch zu sein. Es ist immerhin ein tollkühnes Stück, den Steig da zu versuchen, ich hätte es ihm kaum zugetraut, dem Duckmäuser.“

„Friedel ist kein Duckmäuser,“ sagte Dora ruhig. „Er ist nur verschüchtert, ein armes, kränkliches Kind, das verkommen wird in dem elenden Leben bei den harten Pflegeeltern. Ich ließe das sicher nicht zu, wenn ich ihn nur bei uns in Heidelberg hätte.“

„Da würden Sie der Menschheit einen rechten Dienst erweisen, wenn Sie ihr ein solches Trauerpflänzchen erhielten,“ versetzte der Professor, ohne den Vorwurf zu bemerken, der in den letzten Worten lag.

„Aber Herr Professor!“ Der Ausruf klang voller Entrüstung, doch Normann fuhr gleichmüthig fort:

„Nun ja, ist es etwa ein Glück für die Menschheit, wenn einem Jammerwesen, das nicht für das Leben taugt, dies Leben noch so und so lange gefristet wird? Sehen Sie sich den Jungen doch nur an! Der ist ein Schwindsuchtskandidat. Der wird nie die Arme ordentlich zur Arbeit rühren können, worauf er doch angewiesen ist. Das schleppt sich elend durch das armselige Dasein, ist sich und anderen eine Last und verkommt schließlich doch. Da ist es doch wahrhaftig besser, daß es je eher je lieber zu Grunde geht! – Ja, mein Fräulein, Sie brauchen mich gar nicht so entrüstet anzusehen, es ist mein voller Ernst. Sie stehen natürlich auf dem Standpunkte der sogenannten Menschenliebe, das ist recht hübsch, recht bequem, aber leider meistentheils recht unvernünftig. Es giebt noch einen höheren Standpunkt, der sich nicht mit schönen Empfindungen und Redensarten abgiebt, sondern vernünftige Schlüsse zieht. Er ist freilich nichts für Frauen, die werden sich nie dazu erheben –“

„Nein, das werden sie nie – Gott sei Dank!“ fiel Dora ihm in das Wort. Ihr Antlitz war purpurroth und die sonst so lachenden Augen flammten in leidenschaftlicher Erregung. „Gott sei Dank!“ wiederholte sie noch heftiger. „Denn eine Frau, die ein armes, verlassenes Menschenkind, dem sie vielleicht noch helfen könnte, ruhig vor ihren Augen verkommen sieht, weil sie vernünftige Schlüsse zieht und auf einem höheren Standpunkte steht als auf dem der ‚sogenannten Menschenliebe‘, die verdiente – einen Mann wie Sie, Herr Professor!“

Professor Normann war anfangs ganz starr vor Ueberraschung bei diesem Ausfall. Er war es bisher nur gewohnt, Grobheiten auszutheilen, und nun mußte er auch einmal eine echte, unverfälschte Grobheit in Empfang nehmen und noch dazu aus dem rosigen Munde eines jungen Mädchens. Das nöthigte ihm bei alledem eine gewisse Hochachtung ab, so unangenehm es ihn traf. Und dabei sah das Mädchen so bildhübsch aus mit dem heißgerötheten Gesicht und den blitzenden Augen – es war, um aus der Haut zu fahren!

„Das ist also das Schlimmste, was Sie einer Frau wünschen können, – mich zum Mann?“ brach er endlich los. „Recht schmeichelhaft für mich, aber seien Sie nur unbesorgt, mein Fräulein, das Unglück passiert keiner Ihres Geschlechtes. Halten Sie mich nur für ein Ungeheuer, ich sage Ihnen noch einmal, ich halte gar nichts von der sogenannten Menschenliebe, ganz und gar nichts! Wie die Welt und das Leben nun einmal beschaffen sind, können wir nur gesunde, kraftvolle Menschen brauchen, keine Schwächlinge, die man mühsam aufpäppelt und die dann doch nichts leisten können. Was nicht lebenskräftig ist, dem ist auch besser, nicht zu leben! Das lehrt uns die Natur, die Wissenschaft, die Vernunft, das sehen wir überhaupt –“

Er hielt inne, denn ein schwacher Angstruf, dem ein lauter Aufschrei Doras folgte, unterbrach die Auseinandersetzung. Friedel hatte bereits den größten Theil des gefährlichen Weges zurückgelegt und setzte eben den Fuß auf einen Stein, als dieser plötzlich unter seinen Tritten wich, – der Knabe strauchelte, fiel und glitt dann unaufhaltsam abwärts. Wohl klammerte er sich im Sturze noch an ein Felsengesträuch, das die schmächtige Gestalt allein vielleicht festgehalten und getragen hätte, aber die schwere Tasche hatte bei dem jähen Falle die rettenden Zweige geknickt und zog ihn unaufhaltsam abwärts. Nur einen Augenblick lang hing er dort an der Wand, dann verlor er den Halt und verschwand in der Tiefe.

(Fortsetzung folgt.)


Blätter und Blüthen.

Die Wahehe. Der Weg von der Küste Ostafrikas nach dem Njassasee führt anfangs durch eine weite, heiße und fieberschwangere Ebene; dann gelangt der Reisende in eine Hügellandschaft, die immer höher emporsteigt; während er weiter wandert, kann er von erhöhten Punkten ein weites Panorama überschauen. Hinter ihm liegt die langweilige Ebene mit gelben und dunkelgrünen Farben, welche das Dickicht und den Wald kennzeichnen; rechts und links von ihm zeigt sich ein wogendes Meer von Gipfeln und vor ihm thürmen sich gewaltige Berge empor. Bald darauf umfängt ihn eine wilde Bergscenerie; der Karawanenpfad klimmt steil bergan, er führt durch prachtvolle Waldungen oder über kahle Höhenzüge. Hier grüßen den Europäer Pflanzen, wie er sie in seiner Heimath zu schauen gewohnt ist, und auf den Höhen weht bereits ein kühler Luftzug, der mitunter zu einem Sturmwind anwächst und in welchem die leichtbekeideten Träger von der Küste fröstelnd zusammenschauern. Nach einem schwierigen tagelangen Marsch durch dieses Gebirge betritt der Reisende die Hochebene Centralafrikas in einer Höhe von 1500 bis 1600 Metern über dem Meeresspiegel.

Ein trostloses Land! Wellenförmige mit gelbem Gras und niedrigem Buschwerk bewachsene Hügel durchziehen die Landschaft; das Wild ist selten und es fehlt hier der Löwe und der Leopard, da sie keine genügende Nahrung finden. Nur ab und zu erblickt man eine weidende Herde, von schlank gebauten, fast nackt einhergehenden Eingeborenen gehütet. Auch die Vogelwelt ist spärlich vertreten: einige Krähen auf den Felsen oder häßliche abschreckende Geier, welche auf

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 786. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_786.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)