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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Aas lauern, sind die einzigen Vögel, welche sich zeigen; sehr selten werden andere sichtbar.

So ist die Heimath der Wahehe beschaffen, jenes wilden Stammes, welcher unserer ostafrikanischen Schutztruppe eine so schmerzliche Niederlage bereitet hat. Ein Krieger- und Hirtenvolk, fühlen sie sich hinter den steilen Bergen sicher und stürzen von Zeit zu Zeit, Raubvögeln gleich, von ihrem hohen Horste in die benachbarten Thäler von Usagara, um zu morden und zu plündern.

In Friedenszeiten bieten die Wahehe einen anmuthigen Anblick; gruppenweise wandern sie einher, lange Stäbe in der Hand, ihre schlanke wohlgebildete Gestalt in ein großes weißes oder blaues baumwollenes Gewand gekleidet, welches, nachlässig übergeworfen, im Winde flattert. Aber im allgemeinen legen sie keinen großen Werth auf die Kleidung; wer sich auf dem Marsche befindet, trägt nicht einen Fetzen an sich – und dies in einem Lande, in welchem wie gesagt der Neger von der Küste empfindlich friert und selbst um die Mittagszeit sich am Lagerfeuer zu wärmen sucht. Feuerwaffen sind bei den Wahehe noch nicht viel üblich. Sie tragen im Kriege einen länglich runden Schild von Leder, etwa einen Meter lang und in der Mitte 1/4 Meter breit. Ihre Angriffswaffe besteht vor allem in einem kurzen Stoßspeer; außerdem führen sie noch eine Anzahl Wurfspieße und ein Mittelding zwischen Sichel und Axt bei sich.

Der englische Reisende Thomson, der ihr Land besucht und durchquert hatte, berichtete seiner Zeit: „Die Wahehe besitzen eine große Ausdauer, sowohl Hunger wie Beschwerden zu ertragen. Wenn es die Umstände erfordern, so reisen sie mehrere Tag lang im Trabe, ohne Nahrung zu sich zu nehmen, und sind daher imstande, plötzlich und unerwartet über den Feind herzufallen.“

In Anbetracht dieser Eigenschaften und ihrer Raublust sind die Wahehe unerwünschte Bewohner Deutsch-Ostafrikas, um so mehr, als sie von Süden her die wichtige Straße von Mpwapwa nach Tabora ernstlich bedrohen. Sie sind aber nur ein Glied in der langen Kette feindlicher Elemente, welche den Weg von der Küste nach den großen centralafrikanischen Seen unsicher machen.

Vom Norden dringen die Hirten- und Kriegervölker hamitischer Abkunft, die Galla und die Massai, vor; und Krieger- und Hirtenvölker drohen auch vom Süden her. Hier sei von den letzteren die Rede.

Aus den Gebieten am Njassasee war vor noch nicht langer Zeit ein Sulustamm nach dem Norden aufgebrochen; militärisch organisiert, tapfer und verwegen, wurden diese Nomaden zum Schrecken der Gebiete, die sie heimsuchten. Sie selbst nannten sich „Maviti“, das heißt „Leute des Krieges“, und zwar mit vollem Recht; denn neben der Viehzucht bildete der Krieg, die Plünderung ihrer Nachbarn ihre wichtigste Lebensaufgabe. Sie führten dieselbe mit einem solchen Nachdruck aus, daß schon die Kunde von ihrem Erscheinen die Bevölkerung in die Flucht trieb. Die Maviti hielten ursprünglich auf der Hochebene westlich vom Njassasee das ackerbauende Volk der Manganja in Unterwürfigkeit, aber ihre Horden haben sich über weitere Gebiete ausgedehnt. An verschiedenen Punkten Ostafrikas sind ihnen die Forschungsreisenden begegnet. Sie werden verschieden genannt: „Wahindsche“, „Wahehe“, „Watuta“, „Wangoni“, aber im Grunde sind sie voneinander wenig oder gar nicht verschieden. Sie selbst, wie die Wahehe, nennen sich noch vielfach „Leute des Krieges“. Während nun die Wahehe die Hochebene näher der Küste besetzt halten und Usagara bedrohen, treibt im Mondlande der Stamm der Watuta oder Wangoni sein Unwesen. Gerade mit diesen Vettern der Wahehe hat die Expedition Emins kämpfen müssen – und leider, wie wir wissen, nicht immer mit entscheidendem Erfolg.

Die Kämpfe der Offiziere Emins und der Untergang der Expedition v. Zelewskis sind trotz der weiten gegenseitigen Entfernung der beiden Schauplätze doch von einem und demselben Standpunkte aus zu beurtheilen. Nicht die Station Mpwapwa, sondern die ganze Karawanenstraße bis über Tabora hinaus wird von diesen Räubern beunruhigt, die nicht nur von den Deutschen, sondern auch von den Arabern, sowie von den friedlicheren, ackerbautreibenden Stämmen als Feinde angesehen werden. Das Zurückdämmen dieser Völkerfluth ist eine der großen Kulturaufgaben, welche Deutschland in Ostafrika zu lösen hat.


Zacharias Werny, der letzte Lützower.
Nach einer Photographie des Instituts Fath in Halberstadt.


Die Hafendammpromenade in Nizza. (Zu dem Bilde S. 773.) Am Anfange dieses Jahres wurde auf einem Ausläufer der berühmten Promenade des Anglais in Nizza ein herrlicher Bau der Benutzung des Publikums übergeben, ein Bau, der in seiner Erscheinung einen eigenartigen Reiz besitzt und über dessen Geschichte im folgenden etwas mitgetheilt werden soll.

Schon gegen 1880 faßte eine englische Gesellschaft den Entschluß, eine Promenade in das Meer hinaus zu bauen, und die Arbeiten wurden auch gleich in Angriff genommen und bis zum Schluß des Jahres 1883 fortgesetzt. Aber als eben das Gebäude eröffnet werden sollte, wurde es durch einen heftigen Brand zerstört. Nur die Plattform ließ das verheerende Element übrig.

Eine französisch-belgische Gesellschaft kam später auf den Plan zurück, und gegen Ende des Jahres 1888 wurden die Arbeiten mit großem Eifer wieder aufgenommen. Die Plattform, welche früher nur eine Höhe von 6,25 Metern gehabt hatte, wurde nun zum Schutze gegen die höchsten Wellen um 1,75 Meter höher gemacht. Das ganze Gebäude ruht auf ungefähr 250 Pfeilern, welche zur Probe je mit 85 000 Kilogramm belastet wurden, ohne daß sie eine Formveränderung gezeigt hätten. Sie sind untereinander durch Andreaskreuze verbunden und tragen oben ein Gitterwerk, auf welchem das Gebäude selbst mit seinen Cementgewölben und Hohlziegelmauern ruht, das eine Gesammtfläche von ungefähr 6500 Quadratmetern bedeckt.

Aus der Mitte des Oberbaues ragt der 25 Meter hohe Kuppelbau hervor, der mit einem weithin sichtbaren Zinkdach versehen ist und eine vergoldete Sirene von 9 Metern Höhe trägt. Zu den Seiten dieses Baus sind breite Terrassen, an deren Enden sich Thürmchen erheben. Von den letzteren genießt man eine herrliche Fernsicht auf das Meer, auf ganz Nizza und auf die schneebedeckten Gipfel der Alpen. Der Stil des Ganzen hat zwar ein orientalisches Gepräge, ist in Wirklichkeit aber ein Gemenge verschiedener Stilarten, die sich zu einem höchst eigenartigen Ganzen vereinigen.

Die Verbindung mit dem Ufer wird durch eine Brücke von 60 Metern Länge und 13 Metern Breite hergestellt, über welche man sowohl zu Fuß als zu Wagen zur großen Treppe gelangen kann, die zur Plattform führt.

Das Innere des Gebäudes ist reich ausgestattet, zum Theil in japanischem, chinesischem und indischem Stile. Nichts fehlt hier: Theater, Spielzimmer, Tanzsäle, Rauchzimmer, Cafés und Restaurationen, alles ist beisammen, so daß, wer Lust hat, ganze Tage draußen auf dem Meere zubringen mag, ohne sich über Einförmigkeit seines Daseins beklagen zu können. F. K.     

Der letzte Lützower. (Mit Bildniß.) In den Tagen des Körnerjubiläums ist auch des Lützower Freicorps wieder viel gedacht worden. Die wenigsten aber werden dabei gewußt haben, daß von jener berühmten Schar einer – der letzte – noch lebt! Es ist der Veteran Zacharias Werny zu Halberstadt, heute ein hundertjähriger Greis, denn sein Geburtstag ist der 12. Oktober 1791. Werny war von Hause aus Gärtner. Wie er nun in den Frühjahrstagen 1813 als wandernder Handwerksgeselle auf dem Wege nach Wien durch Breslau kam, da ergriffen auch ihn die mächtigen Wogen der vaterländischen Bewegung und er trat in das Lützowsche Freicorps ein. Schon nach drei Tagen – zu längerer Ausbildung war keine Zeit – rückte Werny gegen den Feind mit aus. Freilich sollte sein Dienst in der tapferen Freischar nicht allzu lange dauern. Bei einem Gefechte im Mecklenburgischen geschah es ihm nämlich, daß er gefangen genommen wurde; es gelang ihm zwar, während der nächsten Nacht auf dem Transport wieder zu entkommen, aber seine Lützower fand er nicht wieder. Er schloß sich der nächsten befreundeten Truppe an, die er traf, und das war die „russisch-deutsche Legion“, in deren Verband er die weiteren Kämpfe mitmachte und mit welcher er auch später nach dem Friedensschluß von 1814 in das neugebildete 30. Regiment überging. Mit diesem überschritt er den Rhein, als der Krieg gegen Napoleon abermals losbrach, blieb in dem Gefecht bei Wabern (Wawre) am 17. Juni 1815 wie durch ein Wunder unverwundet, zog mit in Paris ein und mußte noch einige Monate bei der Besatzungsarmee in der Normandie aushalten, um dann endlich in das Vaterland zurückzukehren. Von seiner Garnison Thorn wurde er im Herbste 1816 nach seiner Heimath Halberstadt entlassen.

Hier erregte sein Erscheinen kein geringes Aufsehen. Nach jenem verhängnißvollen Gefechte nämlich, welches Werny von seiner Truppe getrennt und in die „russisch-deutsche Legion“ geführt hatte, war er, da er nicht zurückkehrte, in den Listen der Lützower als „tot“ vermerkt worden, und so rechnete man ihn auch daheim nicht mehr unter die Lebenden. Welches Erstaunen nun, als er trotzdem auf einmal gesund und frisch wieder auftauchte! Aber es bewahrheitete sich an ihm wieder einmal der alte Satz, daß die Totgeglaubten am längsten leben. Er fing seine Gärtnerei wieder an, zog sich dann nach Jahren, das Geschäft dem Sohne übergebend, ins Privatleben zurück und genoß in ungetrübter Frische die Freuden eines rüstigen Alters. Eine Reihe von Ehrenzeichen schmückt seine Brust, und wenn der Halberstadter Kriegerverein einen Umzug hielt, – stets war der alte Werny mit dabei. Und als sein hundertster Geburtstag am 12. Oktober dieses Jahres herangekommen war, da ließen es sich seine Mitbürger nicht nehmen, diesen fast wunderbar zu nennenden Ehrentag mit ihm zu begehen, mit dem lebendigen Zeugen einer längst vergangenen großen Zeit – mit dem „letzten Lützower“.

Bei der Kontrolversammlung. (Zu dem Bilde S. 785.) „Still gestanden! Richt Euch!“ – Das einst in den Tagen des aktiven Dienstes so unzählige Male vernommene Kommando übt auch heute noch unter den Reservisten, die sich mit ihren Militärpapieren zu der vorgeschriebenen Kontrolversammlung eingefunden haben, seine zwingende Wirkung, stramm klappen die Absätze zusammen, ob sie nun an derben Bauernstiefeln oder eleganten Lackschuhen sitzen. So weit stimmt’s also. Aber die Haltung im übrigen verräth doch etwas den Zahn der Zeit, welcher von dem Ergebniß der mühevollen Drillarbeit eines oder mehrerer Jahre schon ein recht erkleckliches Stück heruntergenagt hat.

„Na, nehmen Sie mal etwas Kopp hoch, Sie Nummer vier, schauen Sie mir nicht so neuigkeitsgierig an der Front herauf,“ ruft der Bezirksfeldwebel einem biederen Schneidergesellen zu, welchem augenblicklich das elegante Jackett des rechten Flügelmanns wichtiger zu sein scheint als die Schärfe der Richtung.

„Nummer sechs, thun Sie mir den einzigen Gefallen und nehmen Sie Ihren unteren Rockknopf zurück!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 787. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_787.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)