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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Nr. 47.   1891.
Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

In Wochen-Nummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pf.   In Halbheften: jährlich 28 Halbhefte à 25 Pf.   In Heften: jährlich 14 Hefte à 50 Pf.


Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

Ein Götzenbild.

Roman von Marie Bernhard.

(11. Fortsetzung.)


Ich habe mich so sehr dagegen gesträubt, die Büste heute hier im Saale aufstellen zu lassen,“ flüsterte Stella, nur für Andree verständlich, „aber meine Eltern bestanden darauf, sie behaupteten, dadurch werde den übertriebenen Gerüchten, die noch immer über diese Sache im Umlauf sind, die Spitze abgebrochen.“

Laut setzte sie für Konsul White hinzu:

„Auf die Ausstellung kommt meine Marmorbüste nicht, sie kann doch nicht auf einer öffentlichen Ausstellung paradieren, die schon ein Gemälde bringt, das meine Züge verewigt? Denn Herr Andree hat es meinen Eltern ausdrücklich erklärt, daß er nichts verändern, nichts idealisieren möchte – er will mein Gesicht malen, gerade so, wie es da ist!“

„Herr Andree thut sehr wohl daran,“ erwiderte Konsul White mit höflicher Kopfneigung gegen den Maler hin, „nicht das Geringste zu ändern. Wo die Natur etwas Vollendetes schuf, darf selbst des tüchtigsten Künstlers Hand keine Aenderung versuchen!“ Seine matten Augen suchten, während er so mit etwas schwerfälliger Galanterie seine Ansicht aussprach, Stellas Blick zu begegnen, und er hob sein Glas und leerte es auf einen Zug, zum Preise ihrer Schönheit.

„Sagen Sie doch, Gnädigste,“ fuhr der Prinz etwas nervös dazwischen, „ist das junge Mädchen in Weiß am untern Ende der Tafel dieselbe Persönlichkeit, die Sie vor einigen Tagen im Garten aufsuchen kam? Es will mir so scheinen. Damals konnte man sie ohne weiteres übersehen – heute sieht sie gar nicht übel aus. Wohl eine junge Verwandte Ihres Hauses?“

„Allerdings!“ entgegnete Stella unbefangen. „Meine Schwester Gerda!“

„Wa – – s der Tausend! Verzeihen Sie meine Ueberraschung, gnädiges Fräulein – aber – in der That – darauf konnte doch kein Mensch gefaßt sein!“

„Gerda wird Sie zum Herbst verlassen und Herrn Grimms Pflegetochter werden, wie ich höre,“ sagte Andree auf der andern Seite. „Sie werden das Schwesterchen doch jedenfalls sehr vermissen!“

„Sehr!“ sagte Stella mit Nachdruck.

„Gerda und ich sind nämlich sehr gute Freunde,“ fuhr er lächelnd fort. „Wenn sie doch einmal zu mir herübersehen wollte. Aber sie wendet den Blick kein einziges Mal hierher.“

Reinhold Begas.


Der Prinz starrte immer noch ganz verblüfft zu Gerda hinüber. „Kolossal erstaunlich!“ murmelte er kopfschüttelnd. „Schwester! Nie im Leben darauf zu kommen! Keine Ahnung von Aehnlichkeit! Haare – Augen – Gesichtsbildung – alles völlig verschieden! Aber das junge Fräulein hat einen schlechten Platz neben diesem Trottel von Tillenbach! Eine wahre Karikatur!“

Stella zuckte die Achseln.

„Kunos Vater ist ein sehr alter Freund unseres Hauses, wir sind ihm Rücksichten schuldig. Uebrigens wird Gerda durch ihren andern Nachbar vollauf entschädigt.“

„Aber – aber – Gnädigste verzeihen – das ist doch ein alter – Herr!“

„Nicht so ganz alt – sehen Sie einmal genauer zu, mein Prinz! Er wird meine Schwester nächstens adoptieren und ganz zu sich ins Haus nehmen!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 789. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_789.jpg&oldid=- (Version vom 8.11.2023)