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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Sie sagte es im allerharmlosesten, natürlichsten Ton von der Welt. Aber der Blick, mit dem sie dabei den Prinzen ansah, ließ diesen stutzen und die Augen von neuem auf Gerda und ihren Nachbar wenden; sein Interesse mußte bedeutend erhöht sein, er setzte das Monocle ein und starrte ungeniert nach den beiden hin.

„Für einen Adoptivpapa immerhin ein wohlkonservierter, gut aussehender Herr!“ meinte er nach einer Pause.

„Nicht wahr?“ fragte Stella lächelnd.

„In – der – That!“ betonte der Prinz. „Schönes weißes Haar! Ob er es sich wohl pudert?“

„Ich denke nein! Herr Grimm liebt so sehr die reine, unverfälschte Natur, daß man ihn mit einem solchen Verdacht nicht kränken darf!“

„An Ihnen, meine Gnädigste, hat er keine besonders warme Freundin, wie ich annehme!“

„Mit Unrecht! Ich gedenke, ihm Beweise meiner Freundschaft zu geben, und zwar in nächster Zeit!“

Sie führte ihr Glas zum Munde und trank es langsam leer. –

Nein, Gerda sah kein einziges Mal zu „ihrem Freunde“ Andree hinüber. Warum sollte sie das wohl auch? Es war ihr beklommen und traurig zu Sinn, trotzdem sie Onkel Grimm zu ihrer Rechten hatte, der ihr leise Winke ertheilte und väterlich für sie sorgte. Zum ersten Mal saß sie mit vielen Menschen zusammen an einer glänzend geschmückten Tafel, zum ersten Mal „spielte sie die Dame.“ Ach – sie hatte sich das immer gewünscht und es sich sehr hübsch gedacht, und nun sie es erlebte, konnte sie sich nicht daran erfreuen!

Zu ihrer Linken saß Kuno von Tillenbach und schwärmte ihr von Stella vor, wie schön sie wieder sei, und wie er – Kuno – sie anbete, bloß daß er sich’s nie unterstehen würde, es ihr zu sagen. Ob Gerda ihm nicht verrathen könne, wen ihre bezaubernde Schwester einmal heirathen werde. Man sage, den Prinzen, aber das könne er – Kuno – sich eigentlich nicht denken, denn der Prinz solle ungeheuer adelsstolz sein, und Stella, so hinreißend sie sei … bürgerlich bleibe sie doch nun einmal! Und was das denn mit diesem Herrn Andree sei, den Stella so sehr auszeichne, daß sie sich sagar zweimal von ihm malen lassen wolle – einmal Porträt, das andere Mal Phantasiebild, das müsse doch auffallen, dabei müsse man sich doch etwas denken, habe sein – Kunos – Papa gesagt! Er – Kuno – könne sich eigentlich, zu Gerda im Vertrauen gesagt, nichts dabei denken – denn Stella und so ein Maler – das sei doch nur zum Lachen! Wen Gerda eigentlich hübscher finde – den Prinzen oder Andree? Der Prinz habe wohl ein feineres Gesicht, aber der Künstler eine weit bessere Gestalt. Die Figur – ja, die könne sich wirklich sehen lassen! Und daß er in Stella verliebt sei, das sehe man ja … natürlich! Welcher Mann wäre nicht in sie verliebt?

„Ums Himmelswillen, Kuno, schweigen Sie nur einmal still und essen Sie etwas!“ flüsterte ihm Gerda endlich entrüstet zu. „Der Diener wird Ihnen gleich wieder den Teller fortnehmen, und Sie haben nichts genossen!“

„Ach Gott, das schadet nichts! Ich habe heute gar keine Ruhe, ich habe soviel zu beobachten!“

„Ja!“ sagte Gerda, zwischen Aerger und Lachen schwankend, „Sie beabachten alles andere, bloß mich und mein Weinglas nicht! Wissen Sie, daß Sie mir noch keinen Tropfen Wein eingeschenkt haben? Ihretwegen könnte ich vor Durst umkommen. Und ich bin doch Ihre Dame!“

„O Du mein Himmel, Gerda!“ Und der junge Ritter schwenkte die Karaffe mit Rheinwein so unternehmend, daß ihm Gerda in den Arm fiel. „Sehen Sie, so bin ich! Gut, daß mein Papa das nicht gesehen hat! Ja, aber wenn ich Stella sehe, dann kann ich an gar nichts anderes denken.“ –

„Nun, Gerda, Töchterchen – wie ist Dir bei Deinem ersten Debüt zu Muthe?“ fragte in diesem Augenblick Herrn Grimms Stimme und seine Hand legte sich leicht auf die des Mädchens.

„Vortrefflich, Onkelchen!“ entgegnete sie tapfer – sie wollte ihm die Freude nicht verderben. „Wenn ich mich nur gut benehme!“ fügte sie leiser hinzu.

„Ueberraschend gut, Kind! Ich wollte nur erst, das Essen wäre vorüber, und wir könnten hinaus in den Garten!“

Es dauerte noch eine Weile, bis dieser Wunsch seine Erfüllung fand, denn es gab noch viel zu essen und zu trinken.

Hilt, der seinen Platz recht ungünstig fand – er hatte ein ältliches Mädchen zur Nachbarin, mit der er nichts anzufangen wußte – spülte seinen Aerger mit gutem Wein hinunter, hütete sich aber, zuviel zu trinken. Er hatte an der Geschichte mit der Büste gerade genug!

Auch er wünschte sehnlichst ein Ende der Mahlzeit, deren Vorzüge er widerwillig anerkennen mußte, herbei – dann sollte draußen im Garten seine Thätigkeit als Leiter der Illumination und des Feuerwerks beginnen – o ja, dazu war er gut genug! Den Handlanger dieser reichen Leute durfte er spielen und dem widerspenstigen Wolfgang, der für alles, was Kunst hieß, wirklich auffallend stiefmütterlich von der Natur bedacht worden war, Zeichenstunden geben – aber ihre gewichtigen Empfehlungen, die ihm von großem Nutzen hätten sein können, behielten die Leute für sich, und es fiel ihnen gar nicht ein, ihm auch nur den kleinsten Auftrag zu ertheilen. Dafür hatten sie ja Andree!

Jetzt gab ihm die Hausfrau, die er von seinem Platz aus schräg rechts hinüber sehen konnte, einen herablassenden Wink. Man war schon beim Nachtisch, später sollten in den anstoßenden Zimmern Kaffee und Cigarren gereicht werden, und für Herrn Hilt war es nun Zeit, zu verschwinden und den „Firlefanz“ draußen, wie er sich respektlos in seinem Innern sagte, mit Hilfe von Obergärtner, Gärtnerburschen und Bedienten in Scene zu setzen. Es freute ihn zwar, von der bejahrten Jungfrau fortzukommen, aber es ärgerte ihn wiederum, daß er gehorchen mußte, wenn man ihm winkte, daß er wie eine Marionette am Fädchen war. –

Draußen dämmerte allmählich der Frühlingsabend nieder. Auf den Baumwipfeln glühte noch das letzte Sonnengold, aber vom Wasser fingen leichte bläuliche Dunstschleier an, emporzusteigen – ein feiner Nebelduft wob sich um das Buschwerk. Es war alles so regungslos – die Vögel, welche hier fast den ganzen Tag über ihren fröhlichen Gesang hatten ertönen lassen, waren endlich verstummt. In der Ferne setzte einmal eine Nachtigall mit ein paar stürmisch drängenden Noten ein, brach aber sofort ab. Das rothe Gold auf den Baumkronen erstarb in einem blassen Schein – jetzt war auch der dahingeschwunden.

Langsam kam ein Paar zum Ufer hinabgeschritten – ein sehr stattlicher Mann und ein Mädchen im weißseidenen Kleide. Ihre Hand lag leicht auf seinem Arm, er athmete zuweilen tief auf und neigte sich herab, um ihr in die Augen zu sehen, aber er sprach nicht. Wenn Andree jetzt gesprochen hätte, so hätte er dem Mädchen an seiner Seite sagen müssen, daß er sie liebe – und das ging doch nicht! Vor wenigen Wochen erst hatte er selbst ihr die Nachricht vom Tode ihres Verlobten gebracht – und hier stand er nun und wollte ihr von seiner Liebe sprechen! Beurtheilte er sie so niedrig, daß er denken konnte, ihr Herz habe sich mit seinem Schicksal so rasch schon abgefunden, habe Werner Troost vergessen und sei ihm selbst zugeflogen? Und hieß das dem Andenken seines liebsten Freundes die Treue halten, wenn er heute und hier schon um dessen hinterbliebene Braut warb? Freilich – er wollte Werner Troosts Erbe sein, aber er mußte seiner Verlobten Zeit gönnen, ihren Schmerz ausklingen zu lassen. Und so fragte er denn zuletzt in gedämpftem Ton, als fürchte er sich davor, einen Schlummernden zu wecken:

„Wenn ich meine Aufgabe gelöst habe und mit mir nicht unzufrieden bin … darf ich dann zu Ihnen sprechen? Und wissen Sie den Grund, warum ich nicht früher zu Ihnen zu sprechen wage?“

Sie athmete tief auf, so daß die süßduftenden Rosen an ihrer Brust bebten. Sie fühlte eine innere Erlösung und sie war zufrieden! Zeit gewinnen! Das wollte sie! Nicht hier, nicht dort sich binden, kein Wort verpfänden, keine Pflichten, keine Verbindlichkeiten übernehmen! Sie wollte auch den Prinzen dazu bewegen, daß er wartete – er war ein ungestümer, eifersüchtiger Freier – sie aber wollte ihr Leben und ihre Freiheit voll genießen, ohne die beengende Fessel des Brautstandes! Auf wen ihre Wahl schließlich fallen würde, das wußte sie nur zu gut … aber bis dahin –  –

Hier war ein berühmter Künstler, der ihr Bild malen, es der staunenden, schauenden, neidischen Welt übermitteln sollte. Er gefiel ihr auch als Mann – und wie anbetend er sie liebte! Warum nicht sich dessen freuen, nicht jeden Genuß, den das Leben bot, auskosten?

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 790. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_790.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)