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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Sie hob ihre dunkelbewimperten blauen Augen, in denen es träumerisch schimmerte, zu ihm auf und sagte stockend: „Ich kann Sie verstehen, ich danke Ihnen. Ich konnte es Ihnen bis jetzt noch nicht sagen, aber ich denke, Sie wußten es auch so: mein Herz liegt im Bann der Erinnerung, und ich kann es noch nicht daraus erwecken!“ –

„Hier ist Stella,“ fiel da plötzlich eine dünne Stimme ein, „sehen Sie, daß ich es gewußt habe! Sie liebt dies Plätzchen am Wasser – es ist dasselbe, wo sie neulich die Seide wickelte; zuerst hielt sie ihr der Prinz, und dann kam ich – ja, dann kam ich!“

Er kam auch jetzt, der gute dumme Kuno, ein ganzes Gefolge von Herren und Damen hinter sich! Der Prinz und Konsul White, Barckwitz, Leskow und die andern alle, sie umringten Stella, die rasch Andrees Arm losgelassen und sich zu ihnen gewendet hatte – und man pries den milden Abend und die Luft und den Duft und das Wasser und die Bäume – und wie schade es sei, daß die Sonne nicht mehr scheine, und es sei doch noch zu früh zur Illumination, noch ganz hell – und sie alle hätten Stella gesucht, aber Kuno sei der einzige gewesen, der geahnt habe, wo sie zu finden sei.

Die Scenerie war im Nu verwandelt – lachende, schwatzende Menschenstimmen überall, helle Rufe, kokettes Kichern – um den keuschen Reiz der feierlichen Abendstille war’s unrettbar geschehen! –

„Kuno, wo haben Sie denn Ihre Dame gelassen?“ fragte Barckwitz und bog sich nach rechts und links, um irgendwo Gerda zu entdecken.

„Gott, Gerda ist doch noch keine Dame, sie ist doch noch ein Kind! Herr Grimm nahm sie mir weg, er sagte, er habe mit seiner Tochter zu reden! Tochter! Ich finde es doch sehr komisch …“

„Gnädigstes Fräulein, machen wir morgen unsern Ausflug zu Pferde?“ unterbrach der Prinz ohne weiteres Kunos „komische“ Empfindungen. „Ihre Primrose wird sich die Beine steif stehen, wenn Sie ihr nicht ’mal wieder zu einer ordentlichen Bewegung verhelfen!“

„Sehr gern!“ sagte Stella freundlich. „Sind die Herren alle mit dabei?“ wandte sie sich an die Umstehenden. „Eine ganze Kavalkade! Ich denke mir das so hübsch!“

Der Prinz sah aus, als denke er sich das weit weniger hübsch, aber er schwieg, und bald trennte ihn auch das Gewoge von der angebeteten Schönheit.

Inzwischen begann es in der Nähe der Villa aufzuflammen. Goldglänzende Ketten zogen sich längs der Alleen, farbig funkelnde Guirlanden schwebten von Baum zu Baum; in den dunkeln Bosketts glühte es feurig roth und leuchtend blau. Auf den Rasenflächen waren zahllose Tulpen und Lilienkelche aus buntem Glase verstreut, die jetzt ihre farbigen Flämmchen ins herabdämmernde Dunkel hineinblitzen ließen. Unscheinbare Gerüste, die man hinter das dichte Gebüsch geschoben hatte, wurden hervorgeholt und wiesen nun strahlenwerfende Sterne und Kreuze auf. Bizarr geformte japanische und chinesische Laternen schaukelten an den Aesten. Es schwirrte die erste Rakete auf, und alles drängte nach dem Mittelpunkte des Gartens hin, um das Feuerwerk zu sehen.

Dem Prinzen war es endlich wieder gelungen, an Stellas Seite zu kommen. Die anwesenden Herren hatten ihm dies Unternehmen redlich erschwert, denn die Tochter des Hauses war heute mehr als je umlagert. Jetzt aber hatte der Prinz sich mit ihr geschickt zu isolieren gewußt, sie standen beide seitwärts unter einer riesigen Schirmtanne, und was das junge Mädchen um jeden Preis hatte vermeiden wollen, das geschah nun doch: der Prinz erklärte sich.

„Endlich!“ begann er hastig flüsternd und suchte die herabhängende Linke Stellas zu fassen. „Ziehen Sie Ihre Hand nicht fort – suchen Sie nicht, mir zu entkommen – ich will zu Ihnen reden! Ich liebe Sie, Stella, Sie wissen das, und ich werfe alles über Bord, was von Vorurtheil in mir spricht, ich nehme den Kampf auf gegen jedes Hinderniß, das sich mir in den Weg stellt, und biete Ihnen meine Hand. Ich kann nicht ohne Sie sein … warum antworten Sie mir nicht?“

Sie war für einen Augenblick rathlos gewesen, aber das ging rasch vorüber.

„Weil ich nicht darf!“ sagte sie leise.

„Stella!“

„Nicht darf!“ wiederholte sie. „Man hat mir gesagt, Ihr Bruder sei gegen Ihre Neigung; es drohe ein ernstliches Zerwürfniß zwischen Ihnen, wenn Sie gegen seinen Willen –“

„Ich bin nicht meines Bruders Untergebener!“ brauste er auf. „Und ich frage jetzt nicht“ – er dämpfte auf einen halblauten Mahnruf von ihr mühsam seine Stimme – „was mein Bruder sagt – ich will wissen, was Ihr Herz spricht!“

„Es darf noch nicht sprechen! Nicht eher, als bis Ihres Bruders Widerstand besiegt und – und“ – sie zögerte, und das widerstrebende Händchen, das er mit leidenschaftlichem Druck umschlossen hielt, zuckte – „und bis seine Wunden geheilt sind. Denn der junge Künstler, der meine Marmorbüste gemeißelt hat, war mein Verlobter, und ich habe soeben erst die Nachricht von seinem Tode erhalten. Sie, mein Prinz, sind der einzige, der dies Geheimniß erfährt – der einzige“ – ihre Stimme wurde fast unhörbar – „der ein Recht darauf hat, es zu wissen!“

„Stella!“

Im plötzlichen Glücksrausch schoß dem Prinzen das Blut zu Kopf, er vergaß, sich zu entrüsten, daß dies unvergleichliche Geschöpf einem jungen, unbekannten Bildhauer seine Liebe hatte schenken können – er hörte nur den letzten Satz und preßte die kleine Hand so ungestüm, daß er selbst erschrak.

„Verzeihung!“ murmelte er.

Gerade sauste ein neuer Raketenschwarm zum dunkeln Nachthimmel empor. Garbenweise, wie Strahlenbündel, stoben die bunten Leuchtkugeln in die Luft und sanken dann lautlos nieder. Man hörte Ausrufe des Entzückens, lebhaften Beifall, hier und da eine Stimme, die „Stella!“ rief.

„Und ich darf hoffen?“ flüsterte der Prinz, dicht zu der weißen Gestalt hinabgeneigt.

„Noch nicht jetzt – noch lange nicht“ – sie bog sich von ihm zurück und suchte ihm von neuem ihre Hand zu entziehen – „ehren Sie meinen Schmerz – beseitigen Sie Ihres Bruders Widerstand – dann –“

Er seufzte ungeduldig.

„Eine harte Probe! Aber Sie versprechen mir, keinen andern – keinen, Stella, zu begünstigen – Sie schwören mir –“

„Es bedarf dessen nicht!“

Eine hohe rothe Flammensäule, in der es von Tausenden goldener Fünkchen blitzte, stieg unmittelbar vor ihnen auf, und in dem magischen Licht erschien dem verliebten Prinzen das Mädchen an seiner Seite wie ein Götterbild.

Es mußte auch andern so erscheinen – Ausrufe der Bewunderung tönten herüber.

„Da ist sie ja!“

„Wo denn?“

„Dort unter der Schirmtanne – haben Sie sie nicht gesehen?“

„Der Anblick war ja das Schönste von dem ganzen Feuerzauber!“

„Stella! Kommst Du gar nicht mehr zurück?“

„Mit wem ist sie denn dort?“

„Mit dem Prinzen natürlich – mit wem denn sonst?“

Nun, so ganz natürlich finde ich das doch nicht – ich sah sie heute häufig genug mit jemand anderem, der durchaus kein Prinz war!"

„Stella! So komm’ doch!“

„Mit Ihrer Erlaubniß, meine gnädigste Frau, brechen wir in corpore auf, um uns das gnädige Fräulein zurückzuholen.“

Die Herren nahmen bunte Lampions von den Bäumen und gingen als Fackelzug zu der Schirmtanne hinüber. Stella mußte sich als Gefangene erklären und wurde feierlich in die Mitte genommen und im Triumph entführt. Es machte den jungen Hamburger Kaufleuten, von denen mancher ein kleiner Krösus war, großen Spaß, dem Prinzen, der ihnen bei näherer Besichtigung durchaus nicht mehr so sehr imponierte, die schöne Tochter des Hauses vor der Nase fortzunehmen, und wenn die Herren gewußt hätten, daß ihr Fackelzug mitten in eine Liebeserklärung des durchlauchtigen Herrn hineingefahren war, dann wäre für sie das ganze Unternehmen ohne Zweifel noch viel unterhaltender gewesen. –

„Komm, mein Kind,“ sagte indessen Herr Grimm zu Gerda, die gedankenvoll neben ihm gestanden und mit großen Augen all

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 791. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_791.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)