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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

dem flüchtigen Lodern und Flammen und Leuchten zugesehen hatte, „gieb mir Deinen Arm und mache mit mir einen Spaziergang! Das heißt, wenn Du willst! Ich glaube, es ist hier noch nicht zu Ende, und Du könntest wohl noch manchen Schwärmer, manchen Frosch und manche Schlange bewundern!“

„Nein, Onkel, ich danke! Ich habe schon genug Schwärmer, Frösche und Schlangen gesehen!“ Gerdas Stimmchen klang halb traurig, halb lachend, und so war auch ihr Gesichtsausdruck, wie eine eben aufzuckende bengalische Flamme zeigte.

Sie umgingen das große Rasenrund mit den eingelegten Teppichbeeten, den Platz mit der Fontäne, deren hochaufspringende Wasserstrahlen bald im blauen, bald im rothen oder goldfarbenen Licht glänzten, die Boskets, in denen es gleich farbigem Geschmeide schimmerte, und gelangten allmählich in die weniger gepflegten Partien des Gartens, die demgemäß auch schwächer beleuchtet waren. Endlich hörten die einzeln verstreuten Lampen und Flämmchen ganz auf. Dunkel ragten die Bäume und Büsche in die stille Luft, ab und zu kam ein leichter Windeshauch und sprach zu den Blättern, dann klang es wie ein flüchtiges Seufzen, als rege sich die Natur im Traum. Droben hatte sich der Himmel mit zahllosen Sternen gefüllt, und ganz nahe fing auch von neuem die Nachtigall an zu locken, erst schüchtern, in einzelnen Lauten, dann drangvoll und stürmisch, bis sie, wie überwältigt von der eigenen Sehnsucht, schwieg und alles wieder in die bisherige Stille zurücksank.

„Was denkst Du, Kind?“ unterbrach Grimms Stimme endlich das Schweigen. „Mir will es scheinen, als stimme diese Deine erste Gesellschaft Dich nicht froh!“

„Nein, Onkel!“ Sie drückte schmeichelnd seinen Arm. „Sind Sie mir auch nicht böse deshalb?“

„Ich, Du kleines, dummes Mädchen? Wie käme ich denn dazu?“

„Weil ich mir’s immer so brennend gewünscht hatte, mit dabei zu sein, und weil Sie es mir verschafft haben.“

„Ganz recht! Aber ich habe die Menschen nicht gewählt, die um uns herumsaßen. Sag’ mir also Deine Gedanken ganz ungeniert!“

„Danke schön, Onkelchen! Sehen Sie, wenn es eine Tanzgesellschaft gewesen wäre, hätt’ ich mich gewiß sehr schön unterhalten. Ich hab’ immer leidenschaftlich gern getanzt, schon als ganz kleines Mädchen, und mancher hätte mich doch aufgefordert, schon so aus Höflichkeit, und dann Ihretwegen, Onkel, weil Sie mich zu sich nehmen wollen, und auch aus Neugier, um zu sehen, ob ich gut tanze. Und ich tanze gut, – wirklich, das weiß ich, – Sie können es mir dreist glauben! Also ich hätte getanzt und mich gefreut und keine Zeit gefunden, allerlei zu sehen –“

„Nun, – was denn zu sehen?“

„Ach, – allerlei dummes Zeug!“

„Was war denn das für dummes Zeug?“

Gerda schwieg ein Weilchen und bewegte unruhig die Schultern und den Kopf.

„Der Tanz um das Götzenbild war’s, den ich gesehen habe!“ brach sie plötzlich los. „Ich kann’s ja keinem verdenken, denn sie ist schön wie ein Engel – aber wenn ich doch nun weiß, wie sie sein kann, – und wie sie alle an sich zieht und keinen wirklich lieb hat, – und wie sie sich alle, alle untereinander belügen, die Damen, die sich gegenseitig beneiden, und die Herren, die einer dem andern den kleinsten Vortheil nicht gönnen, – und wie sie alle Stella schmeicheln. Und dabei sind die Mädchen alle wüthend, daß sie von ihr überstrahlt werden und daß die Männer ihr so huldigen, … Onkel, Onkel, ich komm’ mir so schlecht, so niedrig und erbärmlich vor, daß ich das alles sehe und verstehe, – aber ich kann doch nichts dafür, ich kann doch meine Augen und Ohren nicht verschließen! Ich möchte alle Menschen lieb haben und meine eigene Schwester zuerst, und ich kann doch nicht, – ich kann nicht! Onkel, lieber Onkel Grimm, wie ich Ihnen dankbar bin, daß Sie mich herausnehmen wollen aus all’ den schiefen falschen Verhältnissen, – und ich darf den ganzen Tag bei Ihnen sein und bei Ihren Bildern und Blumen, – – und bei Hafis!“

In Gerda brach das Kind durch bei der Erinnerung an Hafis, und sie lachte, aber die Erregung klang noch in ihrem Lachen mit.

„Ob es Dir bei mir so ohne Einschränkung gefallen wird, weiß ich noch gar nicht,“ meinte Grimm bedächtig. „Versprich Dir nur ja nichts Ueberschwängliches! Wenn Du glaubst, daß Du bei mir beständig auf Rosen wandeln wirst …“

„Nein, nein!“ unterbrach sie ihn eifrig. „Das nicht! Aber ich werde wahr sein dürfen, und das kann ich hier nicht! Und ich werde auch gut sein, – Sie werden mich immer tadeln, Onkel, und immer schelten –“

„Wenn ich nichts weiter thue, als tadeln und schelten, dann wird etwas Schönes dabei herauskommen!“ warf er humoristisch ein.

„O nein, nicht das allein! Sie haben mich nicht ausreden lassen, Onkel, die Hauptsache sollte erst noch kommen: Sie werden mich lieb haben, – lieb haben!“

Und Gerda warf ihre Arme um Onkel Grimms Hals und drückte ihr Gesicht an seine Wange.




18.

Monate waren vorübergegangen. Heiße, schwüle Sommersonnentage brüteten über der alten Hansestadt. Die gezwungen waren, darin zu bleiben, schlichen träge über das glühende Pflaster der Straßen, thaten etwas widerwillig ihre Pflicht, nur eben gerade die gebieterisch geforderte Pflicht, und sonst nichts weiter, und sehnten den Abend herbei, um ihn irgendwo „draußen“ zuzubringen. Selbst der arme Handwerker und Kleinhändler raffte seine kargen Pfennige zusammen, um sich und seiner Familie diese Erholung zu gönnen. Es war wahrlich nicht zum aushalten! Die alten Hamburger erinnerten sich kaum, einen ähnlich heißen Sommer je erlebt zu haben. Von den Häuserwänden prallte die Gluth förmlich dem unglücklichen Straßenwanderer entgegen, – sie fing sich in den engen Gassen, blieb bis zum späten Abend in den schmalen Höfen und Winkeln und machte aus dem frischen Grün der Blätter ein fahles, staubiges Grau. Wo die Menschen nur immer konnten, drängten sie sich ans Wasser, und sie waren froh, so viel davon zu haben. Wer aber im Innern der Stadt wohnte, wen seine Arbeit dorthin bannte, – und ihrer waren viele! – der war halb verschmachtet, bis der Abend kam, und fühlte sich, sobald die Berufswege erledigt waren, so ermattet, daß er oft sich lieber im verdunkelten Zimmer lang hinstreckte, als daß er sich der Strapaze unterzog, noch bis zum Wasser zu gehen.

Dann und wann ging ein Gewitter nieder, ein tobendes, böses Unwetter! Aber man konnte nicht aufathmen, denn die Sonne stach gleich darauf genau ebenso unbarmherzig wie zuvor, und der Himmel sah aus wie ein Riesenschild von hellpoliertem Stahl. Die heiße, aufgesprungene Erdrinde schluckte gierig die herabströmende Fluth ein, die kleinen gurgelnden Rinnsale, die sich gebildet hatten, verschwanden im Nu, und wieder brütete greller Sonnenbrand über der durstigen Erde. –

Andree hatte sich dazu verstehen müssen, Stellas Porträt draußen auf der Villa zu malen. Ihre Mutter hatte erklärt, sie werde alles thun, um des Künstlers Wünschen hinsichtlich eines guten Ateliers entgegenzukommen, sie werde es aber niemals gestatten, daß ihre Tochter den Fuß in Herrn Andrees Wohnung setze, – er müsse eben sehen, wie er es mache.

Er that dies auch, aber es wurde ihm sehr schwer. Wie jeder Maler, hatte auch er sich gewöhnen müssen, auf sein Modell zu warten, seine Stimmung einigermaßen der Stunde anzupassen, da das Modell bei ihm erschien. Aber erstens konnte man ein bezahltes Modell allenfalls fortschicken, wenn es denn einmal durchaus mit der Stimmung nicht gehen wollte, – man bezahlte eben das ausbedungene Honorar und war fertig. Zweitens konnte man jederzeit in seinen eigenen vier Wänden an dem Gemälde weiter malen, konnte es bei jeder Beleuchtung betrachten, kleine Abänderungen treffen, Aeußerlichkeiten, zu denen man das Modell gar nicht brauchte, in aller Muße fertig stellen, … an alles dies hatte sich Andree gewöhnt, und alles dies entbehrte er jetzt. Freilich hatte auch diese Medaille ihre angenehme Kehrseite: es kam ihm sehr darauf an, möglichst oft in Stellas Nähe zu sein, die Sitzungen so lange als irgend thunlich hinzuziehen, und da er sich einer raschen und willigen Pinselführung rühmte, so wäre das Porträt, hätte er auch noch außer den festgesetzten Stunden daran malen können, wahrscheinlich zu rasch fertig geworden. Allerdings hätte ihm das große Gemälde, das er in seinem eigenen Atelier anfertigte, immer noch einen willkommenen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 792. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_792.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)