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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

„Ach, das hätten Sie doch nie gethan!“

„Meinen Sie? Nun – aber das beiseite! Wissen Sie auch, Gerda, daß Sie ein hübsches Talent haben? Ich brauche Ihnen wohl nicht erst zu sagen, daß hier –“ er wies leicht auf die Zeichnung – „ziemlich viele Fehler drin stecken, aber es ist noch weit mehr Begabung drin. Was meinen Sie, soll ich Ihnen Zeichenstunde geben? Natürlich nicht so ganz regelmäßig, das erlaubt mir meine Zeit nicht, aber ab und zu, und ich bringe Ihnen dann allerlei bei, was Ihnen jetzt noch fehlt und was Sie ohne Zweifel rasch lernen werden. Was sagen Sie dazu?“

Sie war vor Freude und Ueberraschung roth geworden, schüttelte aber heftig den Kopf.

„Es geht nicht, nein, ich danke Ihnen!“

„Es geht nicht?“ wiederholte er. „Warum denn nicht?“

„Ich – ich – bekäme die Erlaubniß nicht dazu!“

„Nun, das wollen wir doch erst einmal sehen! Ich werde mit Ihren Eltern sprechen –“

„Bitte, bitte, nein! Thun Sie das nicht!“

Gerda sah ängstlich aus und sprach sehr dringend.

„Es hilft nichts, ich weiß es, und ich – ich müßte es dann entgelten –“

„Oder wir lassen es, bis Sie zu Herrn Grimm übersiedeln, und ich bitte ihn um die Erlaubniß.“

Sie kämpfte einen Augenblick mit sich.

„Auch das nicht, nein! Ich möchte es nicht!“

„Nun, wie Sie wollen!“ Er legte das Bildchen vor sie auf den Tisch hin und wandte sich zum Gehen.

„Jetzt sind Sie böse!“ sagte Gerda traurig.

„Böse nicht, aber erstaunt und nicht gerade erfreut. Haben Sie denn einen stichhaltigen Grund, bei mir keine Zeichenstunde nehmen zu wollen?“

„Ja, ich habe einen!“

„Und den darf ich nicht erfahren?“

„Nein!“

„Ja, dann muß ich mich schon bescheiden! Vielleicht mißfällt Ihnen auch an mir alles wie an Hilt: mein Gesicht, meine Sprache, mein Wesen –“

Er lachte, während er das sagte, und sie stimmte etwas gezwungen mit ein.

„Das können Sie ja denken, wenn Sie wollen!“

„Adieu denn, Sie junge Sphinx! Kehren Sie zu Ihren Stuarts zurück! Ich muß eilen, daß ich an meine Arbeit komme.“

„Hat Ihnen Stella schon gesagt –“ Gerda hielt inne.

„Was gesagt?“

„Ach –0– nichts! Oder doch etwas! Aber sie wird’s Ihnen ja selbst sagen!“

„Auf Wiedersehen, meine spröde Freundin! Ich werde es jetzt einzurichten wissen, daß wir einander öfter treffen.“

Wie sie zu ihm aufschaute, machte ihn der Ausdruck in ihren Augen betroffen, es durchzuckte ihn etwas, er konnte nicht sagen, was es war. Die Empfindung ging blitzschnell vorüber und ließ nur ein Stutzen, ein Staunen zurück, das auch bald verschwand.

Als Andree sich im Weiterschreiten zurückwandte, sah er Gerda wieder mit aufgestemmten Ellbogen, die Finger in den Ohren, am Tisch sitzen und englische Geschichte lernen. Das Bildchen „Eine Partie mit dem Strohmann“ lag neben dem offenen Buch.

„Kurioses Kind!“ murmelte der Maler und bog in eine kleine Lindenallee ein.




19.

Oben in dem Atelier, das so rasch und mit so großen Kosten hergerichtet worden war, saß unterdessen die schöne Stella und war sehr ungnädig. Andree kam nicht, er ließ sie warten! Was fiel ihm denn ein? Mit wem glaubte er es zu thun zu haben? Schon seit einer halben Stunde saß sie bereit in dem weißen Kleide, das sie für das Porträt brauchte, ja sie hatte unwillkürlich schon die Stellung für das Bild eingenommen. Sie war heute besonders pünktlich zur Stelle gewesen und hatte sich statt Frau Willmers Mama zur Hilfe und Verstärkung mit heraufgenommen. Frau Brühl war schon mehrfach bei den Sitzungen zugegen gewesen, heute aber war ihre Anwesenheit besonders nothwendig, denn Stella wollte Andree ganz kühl und ruhig, wie etwas Selbstverständliches, den Reiseplan mittheilen und ihm sagen, daß heute für lange Zeit ihre letzte Sitzung sei. Es war ihr indessen innerlich durchaus nicht so kühl und ruhig zu Muthe, denn sie sagte sich, daß Andree diese Reise keineswegs als etwas so Selbstverständliches auffassen werde, und daß sie selbst durch ihr Benehmen ihm ein Recht zum Staunen, sogar zur Entrüstung über diesen Reiseplan gegeben habe. Das war ihr unbehaglich, daher sollte ihr die gute Frau Mama Andree gegenüber als Blitzableiter dienen. –00– Nun erleichterte sein unverantwortliches Benehmen ihr die Lage bedeutend. Sie zog wohl zum zehnten Mal während dieser halben Stunde ihre Uhr zu Rath, runzelte finster die Stirn, stampfte zornig mit dem Füßchen und gab Mama Brühl auf eine sehr bescheidene Frage eine sehr unbescheidene Antwort.

Draußen schien recht wie zum Hohn die Sonne, der Himmel war leuchtend blau, es war das schönste Wetter von der Welt – und er kam nicht! Wäre er krank geworden oder sonst ein Hinderniß eingetreten, dann hätte er doch Botschaft senden müssen. Empörend! Sollte sie fortgehen und es der Mama überlassen, ihm das Projekt der Reise und die Unterbrechung der Sitzungen mitzutheilen?

Da kam ein leichter eiliger Schritt die teppichbedeckte Stiege herauf, ein wohlbekanntes Klopfen ertönte, und auf ein gemessenes „Herein“ von Mama Brühl – Stella that den Mund nicht auf – trat Andree eilig und lächelnd über die Schwelle. Sein Blick flog zu Stella hinüber, während er sich tief vor der Dame des Hauses verneigte und ein paar höfliche Worte sagte – das schöne Mädchen saß abgewendet da und that, als wäre niemand ins Zimmer getreten. Ah! Schlechtes Wetter! Das verwöhnte Prinzeßchen war beleidigt! –

„Ich bitte Sie, meine verehrte gnädige Frau, helfen Sie mir gütigst, Ihr Fräulein Tochter zu versöhnen!“ wandte sich der Maler an die ältere Dame. „Ich rufe Ihr mütterliches Gerechtigkeitsgefühl in dieser Angelegenheit an, das sicher bei der einen Tochter das vertreten wird, was die andere zum Theil mit verschuldet hat. Ich traf Fräulein Gerda unten im Garten, und da ich meine junge Freundin lange Zeit hindurch gar nicht zu Gesicht bekommen hatte, so benutzte ich die gute Gelegenheit, um eine Weile mit ihr zu plandern!“

So! Also Gerdas wegen! Auch das noch! – Auf dem sonst so strahlenden Antlitz Stellas war völlige Sonnenfinsterniß.

„Bitte, sehen Sie nicht so böse drein, mein gnädiges Fräulein! Habe ich denn wirklich ein solch großes Verbrechen in Ihren Augen begangen?“ Andree bog sich beunruhigt zu Stella nieder.

„Das gerade nicht!“ kam endlich Mama Brühl zu Hilfe, da die „Prinzessin“ mit eiserner Beharrlichkeit schwieg. „Sie können sich aus dem Aerger meiner Tochter, bester Herr Andree, nur ein Kompliment herauslesen, sie zeigt Ihnen dadurch, wie sehr ihr an diesen Sitzungen gelegen ist – und nun gerade heute! Es ist nämlich – nun komm’, meine süße Stella, sei mein kluges verständiges Kind wie immer, sprich mit Herrn Andree, der ja unser aller vertrauter Freund im Verlauf der Zeit geworden ist! Sag’ ihm, was Du zu sagen hast!“

„Ja,“ begann die junge Dame in durchaus geschäftsmäßigem Ton, immer noch, ohne Andree anzusehen, – sie spielte mit einem goldenen Bleistift und ließ keinen Blick von demselben – „das kann geschehen, Mama hat ganz recht! Ich wollte Ihnen sagen, Herr Andree, daß heute unsere letzte Sitzung stattfinden muß, da wir übermorgen verreisen!“

„Was?“ fragte der Maler schroff und trat ganz nahe an Stella heran, wie wenn er nicht richtig gehört hätte.

Sie hob trotzig den Blick zu ihm auf, allein sie fand einen Ausdruck auf seinem Gesicht, der sie zwang, die Augen niederzuschlagen. Stella Brühl hatte sehr wenig Herz, – aber das wenige, was sie von diesem Artikel besaß, gehörte augenblicklich ohne Zweifel Andree – und das Gemisch von Schreck, Staunen und Schmerz, das sie auf seinem Antlitz las, rührte ihr das Herz.

„Wir reisen – ja – Papa wünscht es,“ sagte sie stockend, „und unser Hausarzt befiehlt es geradezu, die langen Sitzungen sind zu angreifend für mich gewesen – ich – ich bin nicht gesund –“

Und in der That: ihr sonst so rosiges Gesichtchen erschien blaß, wie sie jetzt zu dem Maler in die Höhe sah, ihre Stimme klang matt, und in den wunderschönen Augen glänzte es feucht.

Es zuckte in seinen Zügen. Er glaubte ihr ohne weiteres – glaubte ihr jedes Wort, das sie sprach. Keine Sekunde kam ihm der Gedanke, ihre Worte anzuzweifeln. In seinem langen und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 807. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_807.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)