Seite:Die Gartenlaube (1891) 819.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

„Das Fräulein reist doch morgen ab, und da dachte ich – da wollte ich –“

„Was wolltest Du?“ fragte Normann hartnäckig, und nun gewann Friedel auf einmal Muth und fing ganz vergnüglich an zu schwatzen.

„Fräulein Dora ist so gut zu mir gewesen, so gut und hat gesagt, sie werde mich auch in Heidelberg nicht vergessen; aber Heidelberg ist so weit und sie vergißt’s gewiß, und da dacht’ ich an das, was der Sepp uns erzählt hat, damals auf der Alm, von dem Jäger, der den Schleier stahl. Der Sepp sagt, das geschieht noch heutzutage, man sollt’ es nur probieren, aber gestohlen müßt’ es halt sein – und da – hab’ ich ihn gestohlen.“

„O Du dummer Junge!“ fuhr der Professor in voller Entrüstung auf. „Bist doch ein Stadtkind und glaubst an solch hirnverrücktes Zeug! Aber so seid Ihr alle. Vernunft, die begreift Ihr nicht; doch wenn man Euch mit dem krassesten Aberglauben kommt, darauf schwört Ihr. Es ist ganz vergeblich, Euch auf einen höheren Standpunkt heben zu wollen, Ihr bleibt in Eurer Dummheit. Du gehst jetzt sogleich und bringst Fräulein Dora den Schleier zurück – oder nein, ich werde das thun und ihr dabei erzählen, wie albern Du Dich benommen hast.“

Friedel ließ den Kopf hängen bei dieser Strafpredigt, er warf noch einen schmerzlichen Blick auf das seiner Meinung nach so wunderthätige Gewebe und schlich dann beschämt davon.

Die Sonne war längst gesunken und auch das letzte Abendroth verblaßt. Leise kam die Dämmerung geschlichen und hüllte die Landschaft in ihre kühlen, grauen Schatten; jetzt tauchte langsam hinter den Bergen der Mond auf und tiefe Abendstille und Abendruhe umfing die Erde.

Professor Normann saß noch immer in der Laube und ärgerte sich über den krassen Aberglauben des Volkes im allgemeinen und über den seines Friedel im besonderen, aber dabei hatte er immer noch den blauen Schleier in der Hand.

Ganz recht, der alte Sepp hatte den Unsinn erzählt, damals auf der Alm. Normann erinnerte sich sogar noch deutlich der Worte: „So geht’s noch heutzutag, wenn ein Bub’ ’was Liebes hat, dann muß er ihm den Schleier stehlen – ein Fürtuch thut’s auch, wenn’s ein Madel aus den Bergen ist – dann vergißt’s ihn nimmer. Er liegt ihm im Sinn Tag und Nacht und es kommt nimmer los von ihm – aber gestohlen muß es halt sein.“

Der dumme Junge, der Friedel! Als wenn das für einen vierzehnjährigen Burschen paßte, das hatte doch nur Sinn, wenn „was Liebes“ ins Spiel kam!

Der Professor blickte noch immer unverwandt nieder auf das luftige Gewebe in seiner Hand. Er hatte es so oft gesehen auf den Bergwanderungen, wenn es die braunen Flechten und das rosige Antlitz umflatterte, nun war das zu Ende. Morgen war es verstummt, das helle übermüthige Lachen, und das rosige Gesicht verschwunden. Nun fing in Heidelberg das vergnügte Leben an in dem gastfreien Herwigschen Hause, dann kamen all die Studenten und mit den ernsteren Absichten die Dozenten, die der Tochter des Hauses den Hof machten, und dann kam der Winter mit den Gesellschaften und Bällen – da wurde die Reise, und was sonst mit ihr zusammenhing, natürlich vergessen – natürlich!

Der Mond warf jetzt seine ersten Strahlen durch das Blätterdach der Laube, er sah es allein, wie Professor Julius Normann, diese Leuchte der Wissenschaft, dieser erhabene Freigeist, stufenweise herabsank von seinem höheren Standpunkte, immer tiefer, bis zu dem vielgeschmähten krassen Aberglauben. Und dann kam ein Augenblick, wo der Mond eigentlich sein Antlitz hätte verhüllen müssen, um nicht zu sehen, was er doch sah. Besagter Professor blickte sich scheu um, faltete dann sorgsam den blauen Schleier zusammen und barg ihn auf seiner Brust. Er schämte sich zwar vor sich selbst und seinem höheren Standpunkte noch viel mehr, als sich der Friedel vor ihm geschämt hatte, aber dabei hielt er die Hand fest auf die Brust gepreßt, um seinen Talisman zu hüten. Er hätte ihn nicht hergegeben, um keinen Preis der Welt.

(Schluß folgt.)


Blätter und Blüthen.

Vor dem Hasen. (Zu dem Bilde S. 805.) Heute „hält“ der Hase – es liegt die erste „Neue“. Der Schnee ist in der Nacht einen halben Fuß tief gefallen, da sitzt Meister Lampe fest, und wenn uns kein altes Weib begegnet – abergläubisch ist jeder Jäger – so giebt es heute eine gute Jagd. Luska, unsere langhaarige deutsche Hündin, tanzt aus Freude, daß es hinausgeht, wie ein Kreisel mit sich selbst, eilt dann voraus und wieder zurück und bellt vergnüglich in die klare Winterluft, als wollte sie zeigen, daß ein guter Hund gerade so viel Lust am Jagen hat wie der Jäger selbst. Jetzt sind wir auf dem Felde angelangt. „Luska, zurück!“ Auf freier Flur sucht der Jäger den Hasen selbst, da braucht ihm der Hund erst nach dem Schusse zu helfen. Breite auf, Breite ab geht es, das Auge schweift links und rechts und geradeaus, aber kein „Krummer“ wird hoch – nichts läßt sich blicken.

Doch! War da links nicht eben ein schwarzer Strich in der Furche? Wir haben uns wohl geirrt, nichts ist zu sehen. Noch einmal blicken wir zur Seite. Da ist die schwarze Linie wieder – und wieder ist sie verschwunden. „Lampe, alter Freund, bist du neugierig, wer da bei dem tiefen Schnee im Felde herumspaziert? Du wirst es zu deinem Schaden bald erfahren!“ Im Bogen geht es näher heran. Jetzt können wir ihn über den Rücken des nächsten Feldstückes sitzen sehen. Wie drückt sich der Bursch so fest ins Lager, er glaubt immer noch, er könne sich unsichtbar machen. Es ist unweidmännisch, einen Hasen im Lager zu schießen. Der Hut ist vom Kopf und fliegt Meister Lampe dicht vors Gesicht. Wie der Blitz ist er hoch und flüchtig geht’s dem Walde zu. Das Gewehr liegt am Backen – ein Druck – es knallt, aber Lampe stürmt munter weiter und „schnirzelt mit der Blume“ und die nachstürmende Luska giebt die aussichtslose Jagd bald auf. Ja! wenn jeder Schuß träfe, möchte der Teufel Hase sein!

Jetzt kommen wir auf eine Hude (Weidefläche vor dem Walde), wo einzelne Büsche und Binsengewirr dem Hasen Deckung gewähren. Hier ist Luskas Feld. „Voran, mein Hund!“ In flottem Trabe sucht die Hündin in Zickzacklinien gegen den Wind mit hoher Nase vor uns her. Jeder Busch, jedes Gestrüpp wird untersucht, es ist eine Lust, die „ferme“ Hündin arbeiten zu sehen. Da wird sie langsamer – der Kopf fährt herum und der ganze Körper ist zu Erz erstarrt – „sie steht“. Welch herrliche Bilder zaubert die Jagd doch dem Weidmann vor! Karl Brandt.     

Mädchen aus dem Wippthale. (Zu dem Bilde S. 809.) Sonntag Morgen! Die Glocken läuten fern, fern im tief eingesenkten Thale zur Kirche, deren schlanker Thurm aus dem Grunde emporragt. Da ist sie herabgestiegen, die liebliche Tochter der Alm, angethan mit ihrem besten sonntäglichen Staate, um ihrem frommen Bedürfniß Genüge zu thun und wohl auch – um einmal wieder unter Menschen zu kommen! Denn in dem dünn bevölkerten Hochgebirge, wo Hof oft stundenweit von Hof liegt, hat man es nicht so bequem, mit den Nachbarn zu einem Schwatzstündchen sich zu treffen, wie drunten im Thale, in den Dörfern und Städten. Unsre Wandrerin trägt die landesübliche Pelzmütze, welche sich die Mädchen und Frauen dort selbst aus schwarzer böhmischer Schafwolle herstellen, Gebetbuch und Rosenkranz in der Linken, den hand- und wetterfesten Regenschirm in der Rechten. So schreitet sie munter den Fußpfad fürder und ihre hellen scharfen Kinderaugen schauen fröhlich in den schönen Morgen hinein.

Leider ist die charakteristische Volkstracht, welche uns an der hübschen Gestalt auf unserem Bilde so kleidsam anmuthet, immer mehr im Zurückgehen begriffen. Der mächtige Strom des internationalen Völkerverkehrs übt auf die Bewohner des Wippthals seine ernüchternde, gleichmachende Wirkung. Denn seit bald einem Vierteljahrhundert laufen drunten pfeifend, pustend, rauchend und rasselnd die Züge der Brennerbahn vorüber.

Am Eingang in den Tuileriengarten. (Zu dem Bilde S. 817.) Im Sommer dieses Jahres besuchte die Kaiserin Eugenie in ihrer Trauertracht, leicht gestützt auf einen Krückstock, den Tuileriengarten. Als sie an den Platz gelangte, wo einst bis zu den bösen Tagen der Kommune im Jahre des Unheils 1871 die Tuilerien standen, da vermochte sie die Thränen nicht zurückzuhalten. Aber welch ein Gegensatz auch zwischen einst und jetzt! Einst die gefeierte Beherrscherin der Mode, die Gattin des mächtigsten Kaisers der Welt, – heute eine alte gebeugte Frau mit gebleichtem Haar, Witwe und untröstliche Mutter, denselben Garten, in dem ihr Söhnchen gespielt, in dem sie die glänzendsten Feste der Welt gegeben hatte, unbeachtet, unerkannt durchwandernd, eine Fremde inmitten ihres eigenen Volks! Und auch der Garten hat sein Aussehen verändert. Die schnurgeraden Baumreihen, welche das Zeitalter des Sonnenkönigs liebte, die Orangerie, die Statuen, Wasserbecken und Wasserkünste, der herrliche Durchblick auf den Obelisken des Eintrachtsplatzes und den stolzen Triumphbogen am Ende der Elyseeischen Felder sind freilich die nämlichen geblieben, aber die vornehme Welt hat die Stätte völlig verlassen, die ebenfalls ein Opfer der Republik geworden ist: den Tag über das Dorado der Kindermädchen, Ammen und Mütter, des Abends das der Obdachlosen und Landstreicher. Das Tagesbild des Tuileriengartens ist von unserem Maler sehr richtig beobachtet worden. Und wo die Ammen mit ihren langen Mänteln und den seltsam bebänderten, an normännische Volkstracht gemahnenden Hauben, wo die Dienstmädchen nicht fehlen, da stellt auch der „Pioupiou“ zu rechter Zeit sich ein, der kleine Infanterist mit der in Deutschland sprüchwörtlich gewordenen rothen Hose und den weißen Gamaschen, der Kürassier mit seinem vom blinkenden Helm tief herabwallenden Roßschweif. Auch die beiden Herren auf der rechten Seite des Bildes sind ganz an ihrem Platz, denn ihr eigenartiger Gesichtsschnitt verräth sofort, daß sie keine Pariser sind; ein Pariser Stutzer im Tuileriengarten – das ist eben ein undenkbarer Begriff. Wir haben es hier offenbar mit Südamerikanern zu thun, deren Kolonie, neben der

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 819. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_819.jpg&oldid=- (Version vom 19.11.2023)