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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

„Was für ein böses Gesicht, Liebster! Wozu Dir jetzt von Dingen erzählen, die doch nicht geschehen werden, die wir beide verhindern wollen?“

Ihr bittendes Gesicht war dem seinen so nahe. Er vergaß alles, heimliche Verlobung und Eltern und Pläne und Mißtrauen … fest, fest schloß er sie an sein Herz, wie wenn er sie vertheidigen wollte gegen eine ganze Welt.

Er hörte es auch nicht, daß, nach einem kaum vernehmbaren Klopfen, die Thür hinter ihm sich aufthat – aber Stella hatte das Klopfen gehört und sah auch die Thür sich öffnen. Sie strebte, mit einer raschen Bewegung von ihm loszukommen – allein er hielt sie noch fester an sich und küßte ihr Haar.

Es wäre auch ohnehin zu spät gewesen! In der geöffneten Thür erschienen Herr und Frau Senator Brühl, Herr Grimm mit Gerda und Konsul White.

Sie sahen es alle – sie mußten es sehen, daß Andree die schöne Stella in seinen Armen hielt und küßte, und daß sie dies offenbar nicht etwa in Ueberraschung duldete, sondern bereitwillig hinnahm.

Erst der plötzliche Ausdruck des Schreckens auf Stellas Gesicht riß den Maler aus seinem Taumel des Entzückens und ließ ihn sich endlich umwenden.

Auch er erschrak flüchtig – um ihretwillen, die soeben noch das heimliche Verlöbniß, das langsame Vorbereiten so stark betont hatte. Gleich darauf aber empfand er ein Gefühl der Erleichterung. Mochte es denn sein! Ihm hatte die Heimlichkeit, das sorgsame Verstecken und Verschweigen keinen Augenblick gefallen, es widerstrebte seinem geraden, offenen Wesen ganz und gar, und nur der Rausch des ersten Kusses, der Zauber von Stellas Blick und Bitte hatte ihn für kurze Zeit darüber hinweggetäuscht. Er war ein selbständiger Künstler mit namhaftem Vermögen, weitverbreitetem Ruf und glänzenden Einnahmen – sollte das den Eltern seiner Geliebten nicht genügen, nachdem sie selbst ihm den unermeßlich großen Schatz ihrer Liebe geschenkt hatte? Andree war weder eingebildet noch hatte er sich durch die allgemeine Bewunderung sonderlich verwöhnen lassen – aber ohne Selbstgefühl war er auch nicht, und so fand er es denn für Herrn und Frau Senator Brühl keineswegs beschämend, daß sie ihn zum Gatten ihrer Tochter machen sollten.

Was ihn jetzt trotz dieser Empfindung weich und bescheiden sprechen ließ, das war sein Gefühl für Stella – war die Ueberzeugung, daß ihm mit ihrer Liebe das höchste Gut, welches das Leben für ihn hatte, zutheil wurde, und das Bewußtsein, daß es für ihn gelte, sich dies Gut erst noch zu verdienen. – Er behielt die schöne Hand in der seinen und blickte dem Senator Brühl fest in die vor Ueberraschung starr gewordenen Augen.

„Ich muß Ihre Tochter vertheidigen, Herr Senator,“ sagte er gelassen, „sie hat gewünscht und ausdrücklich betont, daß unser soeben geschlossenes Verlöbniß vorerst geheim bleiben sollte, solange, bis es ihr gelungen sein würde, nach und nach Ihre und Ihrer verehrten Frau Gemahlin freudige Zustimmung zu gewinnen – ein Plan, dem ich mich sofort in meinem Innern lebhaft widersetzte und den jetzt eine Ueberraschung –“

Er verstummte betroffen, denn er gewahrte in Stellas Augen, die nach der Thür gerichtet waren, einen so funkelnden Zornesblitz, wie er ihn diesen schönen, lächelnden Sternen nie zugetraut hätte. Es war nur eine Sekunde, und Andree sprach auch gleich weiter.

„Was ich bin und habe, das, verehrter Herr Senator, möchte ich in einer von Ihnen festzusetzenden Unterredung darlegen – ich hoffe, es soll keine unwürdige Fassung für Ihr Juwel sein. Wenn ich so kühn bin, die Hand nach dem schönsten Kleinod auszustrecken, das Sie, das Ihre Gattin zu verschenken haben, so bin ich mir dieser werthvollen Gabe wohl bewußt und werde dies durch mein ganzes Leben freudig beweisen. Mein Herz ist so übervoll, und ich kann Ihnen weiter nichts sagen – kann Sie nur bitten, uns Ihr Herz zuzuwenden, Ihr väterliches Gefühl für uns sprechen zu lassen.“

Papa Brühl mußte sich freilich damit begnügen, sein väterliches Gefühl sprechen zu lassen, denn seine Zunge fand keine Worte. Seine runden, starren Augen wanderten von Andree zu Stella, von Stella wieder zu Andree, er schüttelte langsam den Kopf – er konnte nicht begreifen. Seiner Gattin dämmerte eine Ahnung des wahren Zusammenhangs auf. Dies konnte doch Stella unmöglich gewollt haben – dies mußte eine unvorhergesehene Ueberraschung gewesen sein! Das Mädchen hatte ja für diesen Maler eine merkwürdige Vorliebe – die lange Trennung, das Wiedersehen! Unbegreiflich, daß die kluge Stella nicht besser ihre Vorsichtsmaßregeln getroffen hatte! Es war, um ohnmächtig zu werden! Sie klammerte sich an den nächsten besten Arm, den sie gerade fand – es war Grimms Arm, und dieser Umstand wäre für sie sonst sehr unangenehm gewesen, aber in der großen Aufregung des Augenblicks beachtete sie ihn nicht. Auch Herr Grimm selbst that dies nicht. Er sah ungewöhnlich ernst aus, so, als ob das ganze interessante Schauspiel, zu dem er wider seinen Willen gekommen war, ihn traurig stimme. Einen raschen Blick hatte er auf Gerda geworfen, die plötzlich erbleicht war und sich scheu nach der Thür zurückwandte, als wollte sie wieder davonlaufen; allein Herr Grimm streckte stumm seine Hand nach ihr aus und hielt sie fest.

Konsul White versuchte, überlegen zu lächeln, aber es gelang ihm nicht. Er hatte heute in aller Frühe ein herrliches Bukett auserwählter Blumen ins Brühlsche Haus geschickt, er hatte vorgehabt, sich in den allernächsten Tagen offiziell um die schöne Stella zu bewerben – sicher, sich keinen Korb zu holen. Und nun dies! Er hatte einen Konsulatsposten in Kanton angeboten bekommen, sehr hoch besoldet, hatte ihn natürlich ausschlagen wollen, da er lieber im Lande bleiben und sich redlich nähren wollte. Wie gut, daß er den Posten noch nicht endgültig abgelehnt hatte! Es war ihm sehr nach China zu Muthe, nachdem man ihm jetzt in Europa unvermuthet so übel mitgespielt hatte. –

„Stella, mein liebstes Kind!“ begann Frau Brühl endlich mit unsicherer Stimme. Dies lange Schweigen war bedrückend – mehr noch, es war lächerlich. Stella mußte jetzt etwas sagen, daher begann Frau Senator in furchtsamem Tone: „Stella, mein liebstes Kind –“

„Schon gut, Mama!“ Stella hatte sich aufgerafft, es mußte etwas geschehen, sie sah es ein. Ihre helle Stimme klang eigenthümlich hart und spröde. „Ich hatte allerdings meine Gründe, unsere Verlobung geheim zu halten, und ich habe sie noch. Ich bitte daher Euch, meine lieben Eltern, Sie, Herr Grimm, und Sie auch, Herr Konsul White, gegen jedermann vorerst zu schweigen, bis ich selbst dies Schweigen aufheben werde! Habe ich Ihr Ehrenwort, Herr Grimm? Herr Konsul White?“

„Ja!“ entgegnete Grimm kurz.

„Das meine zu geben, fällt mir nicht schwer,“ sagte Konsul White in seinem rollenden Englisch-Deutsch, und jetzt gelang es ihm auch, ein überlegenes Lächeln fertig zu bringen, „denn ich kam zu Ihnen, um Abschied zu nehmen – ich habe einen Konsulatsposten in Kanton angenommen.“

Stella lächelte gleichfalls überlegen. Dieser Abschied und dieser Posten in Kanton standen in seltsamem Gegensatz zu dem kostbaren Bukett von heute früh und zu dem Billet mit unzweideutigem Inhalt, welches dasselbe begleitet hatte. Die beiden sahen einander in die Augen und lächelten. Ihnen ging es wie den römischen Auguren – sie konnten sich gegenseitig nichts weismachen! –

„Viel Glück auf den Weg also und guten Erfolg unter den Chinesen!“

Damit reichte Stella dem englischen Herrn die Hand, er küßte sie mit einer respektvollen Verbeugung, sprach noch ein paar höfliche Worte zu den übrigen Anwesenden und war gleich darauf vom Schauplatz verschwunden.

Wieder eine beklommene Pause. In Andree wallte es zornig auf. Sein großes, allmächtiges Glücksgefühl drohte in einer ganz unwürdigen Situation unterzugehen. Er begriff auch Stella nicht. Wozu nun aufs neue ein Geheimniß? Wozu die Ihrigen zu einem Ehrenwort verpflichten, über das Geschehene zu schweigen, anstatt in den nächsten Tagen schon die Verlobung zu veröffentlichen, die Karten herumgehen zu lassen? – Er suchte ihrem Blick zu begegnen, allein dieser Blick irrte am Boden hin und vermied es, sich treffen zu lassen.

Und die Eltern? Immer noch stumm, als hätten sie seine warmen und ehrlichen Worte gar nicht gehört! Er warf den Kopf zurück und biß sich in die Lippen.

„Ich darf wohl endlich um eine Antwort bitten!“ sagte er zuletzt in mühsam beherrschtem Tone.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 823. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_823.jpg&oldid=- (Version vom 19.11.2023)