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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

die ich bisher genossen – alles war vernichtet; unmöglich konnte ich so weiterleben. Ich klammerte mich an meine Selbstsucht und rief: „Rette du mich! Ich will nicht! Ich kann es nicht thun!“ – Gott allein weiß, wie schwer dieser Kampf gewesen ist. Und wie ich noch mit gerungenen Händen am Fenster lehne, erhebt sich vom Sofa her ein dünnes Stimmchen: „Papa!“ Dann lauter und herrischer: „Papa! Papa!“ Cillchen hat sich aufgesetzt und guckt sich erschreckt in der fremden Umgebung um.

Da bin ich auch schon neben ihr und umschlinge das kleine Wesen mit meinen Armen und sage ihm süße Trostworte, bei denen es sich beruhigt und wieder sanft einschläft.

Ich aber blieb an seinem Lager auf den Knien. Von draußen klang das Festtagsgeläute herein, das jubelnd die Geburt des Christkindes verkündete. Ja, auch mir war ein Christkind geboren worden; unwillkürlich faltete ich meine Hände und blickte fast andächtig auf das blasse Gesichtchen meiner kleinen Tochter. Die Selbstsucht war gestorben und die Menschenliebe zum Leben erwacht. Ein heiliger Friede hatte sich in mein Herz gesenkt. – –

Als am andern Morgen meine Aufwartefrau erschien, schickte ich sie hinaus und ließ Herrn Brun bitten, das Frühstück bei mir einzunehmen. Cillchen auf dem Arme, ging ich ihm entgegen in der Absicht, ihm mitzutheilen, daß das Kind in mir eine zweite Mutter gefunden habe; aber die Stimme versagte mir und ich brachte kein Wort hervor. Doch merkwürdigerweise verstand mich Daniel Brun auch ohne Worte. „Fräulein Möller,“ sprach er, „darf ich mir eine große Gunst ausbitten? Darf ich wagen, Ihre Hand zu küssen?“

So, nun ist meine Geschichte zu Ende.

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Wie? Ich soll weiter schreiben? Aber was wäre da noch zu erzählen? Von mir habe ich gerade genug gesprochen. Doch von Dir, mein Cillchen, könnte ich erzählen … das willst Du mir nicht erlauben? Aber ich werde mich von meiner eignen Tochter nicht tyrannisieren lassen! Das sollte mir einfallen! Die Geschichte muß doch noch einen richtigen Schluß bekommen, und da sie mit meinem Enkel anfängt, scheint mir, daß Dir darin auch ein Platz zukommt. – Du bist davon nicht überzeugt, Cillchen? Ich soll nicht einmal sagen, daß Du jedes Opfer tausendfältig vergolten hast, daß Du … Ja, wenn Du mir den Mund zuhältst, kann ich freilich nicht reden. – Aha – das also erlaubst Du mir: von Daniel Brun soll ich sprechen, von unserem besten Freunde. – Ach, Kinder, da fällt mir ein, als ich heute nachmittag an seinem Grabe war, lag noch kein Kranz darauf. Ihr werdet mir doch am Weihnachtstage zum ersten Male nicht vergessen haben, sein Grab zu schmücken! – So – das beruhigt mich; Dein Professor hatte eine Abhaltung, früher hinzugehen, und er wollte sich’s doch nicht nehmen lassen, Dich an das Grab zu begleiten, ehe Ihr zu mir zur Bescherung kämet. Ja, meine theuren Kinder, ihn, der mich von der Selbstsucht zur Liebe erweckt und durch Dich zur stolzesten Großmama gemacht hat, Daniel Brun, dürft Ihr niemals vergessen! – Komm her, Dani! das ist sein Bild; Du mußt mit den kleinen Patschhänden nicht gleich so derb zugreifen, mein Junge; aber sieh Dir sein Bild an, Dani! Das war ein guter, ein sehr guter Mann. Wenn Du erst groß geworden bist, wird Deine Mutter Dich belehren, warum wir Daniel Bruns Andenken heilig halten und seinen Namen segnen.




Mummenschanz der deutschen Weihnacht.

Von Dr. Alexander Tille.0 Mit Zeichnungen von Werner Zehme.

Wer am Weihnachtsabend einmal mit offenen Augen durch die Straßen unserer Städte wandelt und seine Blicke nicht nur nach den vom Lichterbaum hell erleuchteten Fenstern schweifen läßt, sondern auch in die düsteren Hausflure, in die Höfe der Häuser und in die Schattenwinkel der Straßen blickt, der kann noch hier und da zwei vermummten Gestalten begegnen, welche immer nur in einem kleinen Kreis von Häusern, oft nur in einem einzigen Haus, ja in einem einzigen Stockwerk die Runde machen. Das ist der Knecht Ruprecht und der Heilige Christ. Irgend ein näherer Bekannter oder Verwandter des Hauses ist unter dieser Hülle verborgen, und wer es auch sei, er übt gern das Amt, eine übermüthige Kinderschar ein wenig einzuschüchtern und dann durch Gaben wieder zu lautem Jubel zu begeistern. An der Thür der Wohnung erhält er den großen Sack eingehändigt, mit dem er drinnen die Kinder erst schrecken, dann erfreuen soll; die Thür zum Bescherungszimmer öffnet sich, und ein sprachloses Entsetzen bemächtigt sich der Kleinen bei dem gruseligen Anblick des gefürchteten Pelzmannes, und selbst das freundliche Aeußere des Heiligen Christ, der in weißem Gewande erscheint und einen rosafarbigen oder gar goldenen Gürtel trägt, kann dies nicht mindern. Verlegen sagen die Kinder auf die Frage, ob sie auch beten können, ihre Sprüchlein her, das eine wischt dabei eifrig mit dem Schwamme auf der neuen Schiefertafel, das andere bricht im Eifer einem Bleisoldaten beide Beine ab, und die kleine Schwester versucht vergebens, der neuen Puppe die Kapuze über die Aermel zu streifen. Die Frage nach der Folgsamkeit der Kinder wird von den Eltern bejahend beantwortet, und nun befiehlt der Heilige Christ seinem struppigen Begleiter, den Sack zu öffnen und seine Gaben auszuschütten. Mit einigem Widerstreben thut er’s. Kaum rollen die ersten Aepfel und Nüsse auf der Diele hin, da stürzt sich auch schon die ganze Kinderschar darauf. Denn diese Aepfel aus Knecht Ruprechts Sacke schmecken ja weit besser als die andern, die auf dem Bescherungstische ausgebreitet liegen. Die Aepfel und Nüsse ziehen die Aufmerksamkeit der Kinder völlig von den beiden vermummten Gestalten ab, die sich unbemerkt entfernen, meistens noch einige Ruthen zurücklassend.

Christkind und „Hans Trapp“.

Ein seltsames Paar! Die Vereinigung dieser beiden Gestalten zu treuen Genossen kann fast wie ein Scherz der Sittengeschichte erscheinen. Und doch ist sie schon Jahrhunderte alt, und wenn auch gegenwärtig der Heilige Christ weit hinter dem Knecht Ruprecht zurücktritt, so ist doch auch er ein nothwendiges Stück der kleinen Aufführung.

Einstens, in vorgeschichtlicher Zeit, als die heidnische Religion noch uneingeschränkt unter den Germanen herrschte, da waren in der Julzeit bereits Vorführungen üblich, über deren näheres Wesen uns freilich jede Kunde fehlt, bei denen aber sicher eine Reihe von Göttern auftrat. Ihre segnenden Umzüge waren es, welche der Flur im kommenden Jahre Fruchtbarkeit verliehen. An scenische Darstellungen ist dabei nicht zu denken. Am wahrscheinlichsten ist es wohl, daß der festlich geschmückte Priesterzug, der die Gottheiten darstellen sollte, begleitet von größeren Volksmassen über die winterlichen Fluren hinzog. Einer aus diesem Kreise ist uns in dem Knecht Ruprecht des Volksbrauches übrig geblieben; welcher, das sagt schon der Name. „Hruodberaht“, der „Ruhmesglänzende“, ist ein Beiname des deutschen Gottes Wuotan, den die Nordländer Odhin nennen, ein Name, der auch bei uns noch in Ortsnamen und Bergnamen, in „Wodans Jagd“ und im „Wüthenden Heer“ fortlebt.

Der Heilige Christ ist nun aber keine Gestalt, welche die Kirche etwa dem volksthümlichen Pelzmanne entgegengesetzt hätte, sondern nur eine Gestalt des kirchlichen Christspieles, das schon früh üblich war und in dem ausschließlich Gestalten der christlichen Ueberlieferung vorkamen. Joseph spielte dabei die Rolle des Spaßmachers. In dieses Spiel nahm dann die Kirche in späteren Zeiten auch den Knecht Ruprecht des Volksglaubens auf, wohl nur, um ihn langsam zum christlichen Heiligen umzubilden und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 848. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_848.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)