Seite:Die Gartenlaube (1891) 860.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

ganzes Dankgefühl auf gegen das wundervolle Geschöpf, das sein Schönheitsideal verkörpert, das ihm dies Werk ermöglicht hatte, sein bestes, von dem er sich sagen mußte, es werde ihn auf den Gipfel dessen emporheben, was ihm überhaupt mit seiner Kraft und Begabung zu erreichen möglich war. Sein toter Freund, sein Werner hatte ihm dies Glück, diesen Erfolg verschafft – vor allem aber sie, die seinem – Andrees – Künstlergenius die höchste Weihe gegeben!

Sie hatten beide nur den einen Gedanken: malen, malen! Zu dem herrlichen Gemälde das eine noch fügen, was das ganze Werk krönen sollte, das Haupt der Göttin! Eilfertig half Stella mit, sich ihrer Hüllen zu entledigen, beiden zitterten die Hände vor ungeduldigem Eifer. Es wurde kein Wort mehr gesprochen, als unbedingt nöthig war, nur das, was die Arbeit erforderte. Mama Brühl fand, daß man sie rücksichtslos behandle, sie mußte sich wahrhaftig selbst einen der schweren Eichenstühle mit gepreßtem Ledersitz zurechtrücken, um einen guten Ausblick auf das Gemälde zu gewinnen! Nun ja – ja – es war sehr schön, sie mußte es einräumen, und es würde einen ungeheuren Triumph abgeben, aber dieser Maler war doch im Leben kein Mann für „ihr Kind“! Diese Künstleransprüche! Dieser kurze, befehlende Ton! Wie ein Herrscher, und ein Herrscher über wen? Ueber ihre Stella, der ein Prinz von Geblüt zu Füßen gelegen, die einen belgischen Baron, Millionär noch dazu, in Trouville hätte haben können. Freilich war es ein älterer Herr gewesen, ungefähr in den Jahren des Papa Brühl, allein wenn auch! Es war doch etwas anderes als ein Maler! Daß aber Stella dies alles vergessen zu haben schien und sich jetzt von diesem Herrn Andree völlig nach seinem Willen lenken ließ, bewies der Frau Senatorin aufs neue, welch unglaubliche Schwäche die schöne Tochter für den Mann haben müsse. Mama Brühl begriff das nicht, sie fand nichts an ihm! –

Er legte einen schneeweißen Shawl von flockiger Seide kunstvoll um Stellas Oberkörper – ihr Köpfchen hob sich wie aus frischgefallenem Schnee heraus – und half ihr, das Haar anders zu ordnen, es sollte halb gelöst sein, am Hinterkopf leicht in einen lockeren Knoten verschlungen, aber dann in ein paar ungezwungenen Locken rückwärts flatternd, vom frischen Morgenhauch bewegt. Das Tizianhaar sollte sich wie eine flammende Glorie von dem rosigen Duft abheben, der die Gestalt der Göttin umgab.

Kurze Worte flogen hin und her. „Mehr nach rechts, wenn ich bitten darf!“ „Ist es richtig so?“ „Sehr gut – jetzt, bitte, den Kopf ein wenig heben – noch höher – und nun, Stella, einmal Dein strahlendstes Lächeln, Deinen leuchtendsten Blick – so, – ah! Wer das jetzt sofort festhalten könnte!“

Mit raschem Sprunge war er auf der Trittleiter, die vor dem Gemälde stand, und sein Pinsel begann zauberschnell zu arbeiten. Es wurde mäuschenstill im Atelier; heute versuchte auch Stella nicht wie früher in Uhlenhorst, als Andree ihr Porträt malte, ihn von seiner Kunst ins Gebiet des persönlichen Empfindens zu ziehen, ihre Macht an ihm zu erproben und sich zu freuen, wenn er endlich erklärte, nicht mehr weiter malen zu können. Heute stand zuviel auf dem Spiel! Es handelte sich um das Ausstellungsbild, um die Vermittlung ihrer Schönheit an ein tausendköpfiges Publikum – daß es sich auch um Andrees Künstlerruhm dabei handelte, fiel ihr weiter nicht ein.

Ihm desto mehr! Ein brennender Ehrgeiz hatte ihn gepackt und führte ihm die Hand mit fast dämonischer Herrschaft. Ihn beseelte nicht nur der Gedanke: du malst dein Liebstes, und Tausende werden es sehen, darum muß es gut werden! – er sagte sich auch: du malst dein Bestes, und du wirst deinen guten Namen zu einem großen machen!

Den beiden verging die Zeit rasch genug, desto langsamer der Mutter, die sich auch als Ehrendame hier völlig überflüssig fühlte. Es fiel ja schon seit mehr als einer Stunde kein zärtliches Wort, nicht einmal ein liebevoller Blick! Scharf prüfend wanderten des Malers Augen von Stella zu dem Bilde und wieder zu Stella zurück, sein Athem ging rasch, eine strenge Falte zwischen den Brauen ließ ihn älter und weit weniger liebenswürdig im Ausdruck als sonst erscheinen, und zuweilen, wenn er das schöne Mädchen ansah, schüttelte er gar ungeduldig den Kopf. Was hatte das zu bedeuten? War sie ihm etwa nicht schön genug? Hatte er an ihrer Haltung etwas auszusetzen? Unmöglich! Sie saß ja still wie ein Lamm, und wie unbequem und ermüdend mußte das sein! Mama Brühl erkannte ihre Tochter nicht wieder, die sich daheim stundenlang auf den weichsten Sofas dehnte und oft zu bequem war, nur die Hand zu rühren! Daß sie, die Mutter, dies mit ansehen mußte! Warum hatte das Kind heute nicht die Willmers befohlen? Nein, gerade sie hatte es sein müssen!

Frau Brühl fing an, sich auf eigene Hand, so gut es ging, zu unterhalten, da sonst niemand die mindesten Anstalten dazu traf. Sie erhob sich und begann, im Atelier vorsichtig auf den Zehenspitzen umherzuschleichen – dann, als die beiden sie durchaus nicht beachteten, trat sie herzhafter auf. Sie besah sich die Gobelins, die Rüstungen, die orientalischen Teppiche und Gewebe in der Nähe, sie hob Vasen und Trinkgefäße von ihrem Standort herab und rechnete sich in der Stille aus, wieviel das alles wohl kosten könne. Es kam eine recht ansehnliche Summe dabei heraus – und was würde ihm nun die „Eos“ einbringen? –

Es standen ein paar große Gestelle mit Mappen umher. Frau Molly konnte sich’s nicht versagen, mit spitzen Fingern vorsichtig darin zu blättern, – nach und nach wurde sie auch hierin dreister. Eine sehr schöne Sammlung werthvoller Kupferstiche und Radierungen, die Andree aus Rom mitgebracht, reizte sie wenig, davon verstand sie nichts. Aber hier, Stella und wieder Stella und immer sie – nun, das war hübsch! Er mußte sie doch grenzenlos lieben! Dann ein paar Blätter mit halbverlöschten Umrissen einer Mädchengestalt, eines Kopfes – darunter ein Blatt wie im Zorn mitten durchgerissen. Und hier – das war ja Werner Troost – und dies war er noch einmal! Ja, ja, ein hübscher junger Mensch! Die Frau Senatorin seufzte ein klein wenig, als es ihr einfiel, daß er tot sei. –

Die Sonnenflecken an der Wand rückten weiter, wieviel Uhr war es denn? Himmel, es waren schon mehr als zwei Stunden vergangen! Und die Frau Senatorin hatte sich zu Hause um diese Zeit einen Dekorateur bestellt, der ihr die neuen Vorhänge aufmachen sollte! Es hungerte sie auch schon! So konnte es nicht bleiben, sie mußte etwas sagen!

„Mein liebstes Kind – Stella –“ begann sie leise.

„Still, Mama!“ sagte das schöne Mädchen diktatorisch, und Mama war still!

Es dauerte dann noch sehr lange, bis die Sitzung endlich beendet war. Die Frau Senatorin weinte fast vor Ungeduld und Verzweiflung, sie besah auch keine Bilder und Sachen mehr. Sie saß mit geschlossenen Augen in ihrem altväterischen hohen Stuhl und wünschte Andree und die Kunst und die „Eos“ ins Pfefferland. – Zuletzt ließ Andree den Pinsel sinken und sagte tonlos: „Ich kann nicht mehr!“

„Aber es ist gut? Du bist zufrieden?“ fragte Stella.

„Ja!“ gab er mit entschiedenem Tone zurück.

Sie dehnte sich mit einer anmuthigen Bewegung und rückte sich leicht in den Schultern zurecht. Er trat zu ihr heran und küßte ihr die Hand.

„Wie ich Dich ermüdet haben muß, armes Lieb!“ sagte er zärtlich.

„An mich denkt kein Mensch!“ dachte die Senatorin entrüstet.

„O, das schadet nichts! Wenn nur das Bild gut wird! Laß einmal ansehen!“

„Es ist noch nicht allzuviel zu sehen, mein Kind!“

„Noch nicht allzuviel!“ dachte die empörte Mutter. „Was in aller Welt hat denn der Mensch in der ganzen, ewig langen Zeit gethan?“

Das Haupt der „Eos“ war aber doch da, und Andree erklärte seiner Braut, was nun noch ausgeführt und hinzugefügt werden müsse.

„Muß – müssen – muß Stella noch einmal wiederkommen?“ fragte Frau Brühl kläglich.

„Mehrmals!“ sagte Andree bestimmt.

Stella sah ihre Mutter an und lachte.

„Mama scheint nicht sehr erbaut von dieser Aussicht zu sein. Schadet nichts! Wenn nur ich es bin!“

Es klang selbst für Andree ein so nackter Eigennutz aus diesen Worten, daß er stutzig wurde.

„Wir sind schlecht gegen Sie gewesen, meine gnädige Frau!“ sagte er mit seinem gewinnenden Lächeln und sah die verstimmte Dame bittend an. „Verzeihen Sie es uns im Interesse der

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 860. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_860.jpg&oldid=- (Version vom 24.11.2023)