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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Als Stella einstieg und sich Zügel und Peitsche reichen ließ, kam hinter dem Wagen ein hochgewachsener Herr langsam des Weges daher und erstieg die ersten zwei Stufen der breiten Vortreppe. Das schöne Mädchen sah ihn nicht, da ihre Verehrer sie umringt hatten und lebhaft auf sie einsprachen – aber er gewahrte sie und blieb stehen, um sie zu beobachten. Sie lachte gerade und neigte sich etwas von ihrem hohen Sitz herab, um zu verstehen, was einer der Herren zu ihr sagte. Dudu war wie ein Aeffchen auf seinen Sitz hinter ihr geklettert und hielt ihr die Zügel hin. Die Vorübergehenden standen still und sahen sich die Scene an, sie tauschten bewundernde Blicke und Gebärden.

Sie neigte die Peitsche leicht gegen die Herren, lockerte die Zügel – und schon stürmte das ungeduldige Gespann mit dem „Götzenbild“ dahin. In Andree stieg die Erinnerung an das erste Mal auf, als er sie so auf der Straße in ihrem Wagen gesehen hatte. Er hatte mancherlei erlebt inzwischen.

Mit einem müden Kopfschütteln stieg er die Stufen vollends empor. Er hatte ja auch das Götzenbild verherrlicht und ging jetzt, es sich anzusehen.

Die Ausstellung war schon ziemlich verödet um diese Zeit. Das wußte Andree, und darum ging er gerade jetzt hin. Es war ihm schlimm zumuthe – er mochte sich nicht angaffen lassen, auch nicht Rede stehen!

Da stand er vor dem Gemälde, und, so zufrieden er damit war – das Herz wurde ihm immer schwerer, je länger er es ansah. Für dies Werk hatte er seine Seele eingesetzt, den Frieden seines Herzens dazugegeben! Denn daß sein Glück, sein wahres inneres Glück nicht in den Händen dieses schönen Mädchens lag, das hatte er sich längst sagen müssen. Er hatte es so oft gehört und gelesen: die Liebe macht blind! Wenn dies doch auch bei ihm der Fall gewesen wäre! Dann hätte er all das, was ihn jetzt bis zur Unerträglichkeit quälte, was ihm Ruhe und Schlaf raubte und ihn gänzlich um sein inneres Gleichgewicht brachte, nicht bemerkt und hätte sich in dem Wahn gewiegt, glücklich zu sein und glücklich zu machen! Aber nun sah er zu seinem Unglück klar und deutlich das Gegentheil, sah Stellas Gleichgültigkeit gegen ihn selbst, ihre Herzenskälte, ihre unersättliche Gefallsucht. Er gewahrte jetzt auch, wie sie ihre Familie tyrannisierte, sie ließ sich ja ganz und gar gehen vor ihm und hielt es nicht mehr für der Mühe werth, wie früher Komödie zu spielen. Auf ihrer Jagd nach Genuß waren ihr die Menschen, gleichviel ob nahe- oder fernstehende, weiter nichts als Mittel zum Zweck, und wenn sie ihr dazu gedient hatten, dann waren sie ihr langweilig und wurden ungeduldig beiseite geschoben. So auch Andree! Er hatte ihrer Eitelkeit gedient, ihre Schönheit Tausenden von Menschen zum Anstaunen übermittelt – nun war es gut, und was aus ihm wurde, war ihr gleichgültig!

Und daß er dies alles durchschaute und doch nicht von ihr los konnte, nicht den Muth fand, es ihr ins Gesicht zu sagen und sich von einer unwürdigen Fessel zu befreien ... das war’s, was ihn am meisten peinigte, was ihn mit brennender Scham erfüllte!

Er hatte sich für einen Charakter gehalten, für einen anständigen Menschen mit festen Grundsätzen – nun wurde er gewahr, daß er als Sklave in den Banden einer Leidenschaft lag, deren er sich schämte, und sein Selbstvertrauen, sein Beruhen in sich, das einen hervorstechenden Zug seines Wesens ausmachte, kam ins Wanken. Sein ganzer Künstlerruhm, seine Zukunft schien ihm unlöslich an dies schöne Geschöpf gekettet, er konnte sich nicht mehr denken, daß er jemals wieder seinen Pinsel in die Hand nehmen sollte, um etwa anderes zu malen als sie! Sie hatte sich seiner künstlerischen Phantasie ganz und gar bemächtigt, an ihre Persönlichkeit knüpfte sich alles, was er künftig Großes und Schönes von seinem Schaffen erwartete – und gegen den Künstler kam der Mensch nicht zu Wort in diesem ohnmächtigen Ringen!

Jetzt stand er da und starrte die strahlende, lächelnde „Eos“ so finster an, als sei sie sein persönlicher Feind, der ihm ein schweres Leid zugefügt hatte – und das war auch der Fall! Sie hatte ihm einen Zwiespalt seines Wesens enthüllt, den er nie für möglich gehalten hätte, sie hatte aus einem kraftvollen harmonischen Menschen einen haltlosen zweifelnden Grübler gemacht.

Wispernde Stimmen hinter ihm machten ihn auf seine Umgebung aufmerksam. Irgend jemand hier mußte ihn von Ansehen gekannt und seinen Begleitern gezeigt haben – die Art. wie man vorsichtig um ihn herumging und sich bemühte, ihm unauffällig ins Gesicht zu blicken, bewies ihm dies zur Genüge.

Er lächelte ein wenig bei dem Gedanken, wie diese fremden Leute es wohl beurtheilen würden, daß er so tief ins Anschauen seines eigenen Gemäldes versunken gewesen war! Aber nun wandte er sich zum Gehen und trat hier und da an ein Bild heran, um es zu betrachten, fand indessen auch dazu keine Ruhe. Das schöne Gesicht unter der weißen Pelzmütze gaukelte beständig vor ihm her und nahm ihm die fast andächtige Sammlung, mit welcher er sonst Kunstwerke zu studieren gewöhnt war. – Die Fremden wunderten sich, daß er so unglücklich aussehe – ein so namhafter Künstler, der Schöpfer eines solchen Gemäldes!

In den fast gänzlich geleerten Sälen hallte sein fester Schritt laut wieder, als er sich endlich zum Gehen anschickte. Draußen war inzwischen die Sonne verschwunden, graue Wolken hatten sich am Winterhimmel zusammengeballt, ein rauher Wind fegte über den Platz und jagte den nur noch spärlich umherliegenden trockenen Schnee in weißem Wirbel auf. Andree zog fröstelnd den Kragen seines Pelzes empor, aber er ging langsam trotz der Kälte. Was sollte er bei sich zu Hause? Dahin kam er immer noch frühzeitig genug! –

Frau Wiedekamp erwartete ihn auf dem Flur. Es sei ein Herr da gewesen, der ihn habe besuchen wollen. Nicht sein Freund, Herr Hilt, auch nicht der Herr mit den weißen Haaren und dunkeln Augen – sie vergesse immer seinen Namen ... Grimm, richtig! - Grimm! – bewahre, auch der nicht! Ein ganz Fremder, blond, sehr höflich – er habe nicht warten können, auch keine Karte dagelassen, aber etwa um sechs Uhr werde er wiederkommen, Herr Andree möge doch zu Hause bleiben. Der Maler nickte zu allem Ja! Ihm war der blonde, sehr höfliche Herr ungemein gleichgültig – vielleicht irgend ein Kritiker oder Kunsthändler, der wegen der „Eos“ kam!

Die Zeit nach Tisch füllte er mit Lesen und Rauchen aus, das heißt, er hatte von beidem keinen Genuß. Es dunkelte früh, und er ließ von Frau Wiedekamp die Lampen anzünden, um den blonden, höflichen Unbekannten wenigstens gut sehen zu können. Gleich nach sechs Uhr klopfte es denn auch an die Atelierthür. Andree fuhr auf. Das war ja ein so vertrautes Klopfen, das kannte er genau – so pflegten die befreundeten Künstler in Rom bei einander anzuklopfen!

„Avanti!“ rief er unwillkürlich.

Ein schlanker, blonder Herr erschien auf der Schwelle. Im nächsten Augenblick hatte Andree „Hartwich! Kleiner Hartwich!“ gerufen und den Eintretenden stürmisch in seine Arme geschlossen.

Der „kleine Hartwich“ – derselbe, der in Rom Waldemar die Nachricht von dem Unglück in der Via Sardegna gebracht hatte – stand Andree durchaus nicht besonders nahe, sie waren ein paar gute Kameraden gewesen, weiter nichts! Aber in seiner jetzigen Stimmung machte ihm der Anblick des freundlichen, wohlbekannten Gesichtes eine solche Freude, und die schönen unvergeßlichen römischen Zeiten traten ihm dabei so lebhaft ins Gedächtniß, daß er den Ankömmling begrüßte wie seinen besten Freund.

„Nun, Andree, das ist hübsch von Euch, daß Ihr Euch so freut über mich! Gar nicht stolz geworden! Und hättet doch alle Ursache – aber davon später! Wie geht’s Euch denn? Gut, prachtvoll – wie?“

„Hartwich – kleiner Hartwich!“ sagte Andree noch einmal und packte ihn an den Schultern. „Weiß Gott, ob ich mich freue! Welcher gute Wind weht Euch denn so mitten im Winter von unserem gesegneten Rom herauf in dies kalte, frostige Hamburg? Kommt daher, setzt Euch – wartet, ich fache das Feuer im Kamin an, ’s ist im Handumdrehen gethan – römische Leute sind verwöhnt! Hier ist Wein, da sind Cigarren, oder wollt Ihr lieber eine Cigarette? Ihr könnt alles haben!“

„Es scheint so!“ sagte Hartwich munter und schob seinen Sessel dicht an das rasch aufflammende Kaminfeuer. „Riesig gemüthlich habt Ihr’s hier – und eine so feine Einrichtung! Bißchen neu, bißchen nach dem Dekorateur – na, nichts für ungut, ging wohl alles mit Kurierzug. – Nein, nein, nichts zu

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 879. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_879.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)