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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

essen, die Cigaretten sind vorzüglich, und Euer Sherry kann sich sehen lassen. Prosit! Was malt Ihr denn?“

„Nichts vom Malen!“ Andree schob ihm die Weinflasche näher. „Erst habt Ihr zu erzählen! Hier! Trinkt einen vernünftigen Zug, und nun los!“

„Da ist nicht viel zu erzählen! Ich hab’ eine einzige Schwester, die in Berlin Lehrerin war an einer höheren Töchterschule. Na, das ist auch gerade nichts Himmlisches, und mir that das arme Ding oft genug leid, daß sie bis in ihr hohes Alter hinein die höheren Töchter klug machen sollte – sie ist nämlich erst dreiundzwanzig Jahre alt und ganz hübsch, schlägt mir nach – was ist dabei zu lachen? Seh’ ich etwa garstig aus?“

„Gar nicht, kleiner Hartwich! Im Gegentheil!“

„Na, ich wollt’ es auch meinen! Also – ja – sie that mir oft leid, aber was war zu machen? Arm wie ’ne Kirchenmaus ist sie; wenn ich ’mal ein Bild gut los wurde, schickte ich ihr was, aber Ihr wißt, damit sieht’s bei mir faul aus! Also, um es kurz zu machen: Gott hat es mit ihr anders beschlossen gehabt – sie hat in einer befreundeten Familie einen angenehmen, wohlhabenden Kaufmann aus Hamburg kennengelernt, die Leute haben sich ohne meine Erlaubniß ineinander verliebt und werden in drei Tagen heirathen. Na, weil man bloß die einzige Schwester hat und sie sich kindisch freut, bin ich zu ihrer Hochzeit hergekommen – gerade hatt’ ich auch meine ‚beiden Kapuziner‘ verkauft. Besinnt Ihr Euch auf meine ‚beiden Kapuziner‘?“

„Gewiß! Ein tüchtiges Bild – machte Euch alle Ehre.“

„Nun, wenn Ihr es lobt, muß es wahr sein, Ihr versteht was davon und lügt nicht! Aber, Andree, die ‚Eos‘! Ich hab’ sie gesehen – und – Mensch, ich kann auf Ehre nichts weiter sagen als: Donnerwetter!“

„Das ist auch eine Kritik!“ Andree lächelte etwas matt. „Nun sagt, Hartwich, wie steht’s in Rom? Redet – aber redet ausführlich! Mich interessiert schlechthin alles!“

„Von der Kolonie nachher! Zuerst“ – er kramte in einer großen Brieftasche herum und brachte etwas verlegen ein paar in Papier gewickelte welke Blumen daraus zum Vorschein – „Da! Das ist von Werner Troosts Grab! Es sieht dort alles hübsch grün und blühend aus – alles in Ordnung! Der arme Kerl! Wißt Ihr – ich muß noch oft an ihn denken! Jammerschade um ihn!“

„Ja! Jammerschade!“

„Und hier“ – Hartwich nahm einen ziemlich umfangreichen Brief aus der Ledertasche – „hier habt Ihr einen Liebesbrief von Signora Marchini – nämlich sie liebt Euch wirklich. ‚Il mio Signore Andree‘ nennt sie Euch – nie anders! Ich hab’ sie besucht, ehe ich abreiste, um sie zu fragen, ob sie etwas an Euch zu bestellen habe, da ich Euch in Hamburg aufsuchen würde. Da hat sie mir eine lange Geschichte erzählt, sie sei in Pisa bei ihrer Tochter gewesen, sehr lange, und ein Enkelchen sei ihr geboren worden und die Tochter auf den Tod krank gewesen; und wie sie nach monatelanger Abwesenheit zurückgekehrt sei, da habe sie diesen Brief hier gefunden und – und – ja, was weiß ich noch sonst alles! Hier ist jedenfalls der Brief, und sie hat auch noch selbst an Euch geschrieben!“

Andree lachte und schob den Brief in seine Brusttasche.

Dann fing Hartwich an, von Rom zu erzählen, und staunte, wie genau Andree alles wissen wollte. Zuletzt aber erhob er sich.

„Es ist schade, ich möchte lieber bei Euch bleiben – allein mein neuer Schwager könnte mir’s übelnehmen. Er hat mir nämlich ein Theaterbillet geschenkt – so ein französisches Stück – nun muß ich doch hin; es soll ja auch vorzüglich gegeben werden, der Schwager ist ein riesig stolzer Hamburger, lobt alles hier von einem Ende zum andern. Wißt Ihr was? Kommt mit! Was wollt Ihr mit dem angebrochenen Abend anfangen?“

Andree stimmte dem bei – er war so froh, Hartwich zu haben, der ihn auf andere Gedanken brachte – was sollte er allein beginnen? Also ins Theater!

Rasch kleidete er sich um, und draußen nahmen sie sich einen Wagen – es war schon ziemlich spät geworden. Das Wetter war noch rauher als mittags, der Wind blies heftig, und die Fenster des Miethwagens klapperten.

Der kleine Hartwich, vom Wein erregt, plauderte lebhaft, sang ein langes feuriges Loblied auf die „Eos“ und entwickelte seinen neuesten künstlerischen Plan – sprach zwischendurch von seiner Schwester und deren Bräutigam, fragte allerlei über Hamburg und berichtete weiter von Rom.

Das Theater war sehr voll, glücklicherweise fand Andree noch einen Platz neben Hartwich. Er war ein paar Mal mit der Familie Brühl zusammen im Theater gewesen, versprach sich von diesem französischen Stück keinen großen Genuß, da er dies Genre nicht liebte, und gedachte sich durch lebhaftes Geplauder mit seinem römischen Freunde in den Zwischenakten zu entschädigen.

Es sollte aber heute anders werden. – – –

„Der Fall Clemenceau“ von Dumas! Ein vielbesprochenes, aber auch – mit Recht – viel angefeindetes Stück!

Isa, die Gattin des Bildhauers Pierre Clemenceau, ist ein gewissenloses Geschöpf, das in ihren Gemahl wohl verliebt, aber doch, um ihren schrankenlosen Hang zum Luxus befriedigen zu können, auch andern gegenüber nicht unerbittlich ist. Er durchschaut sie, er ist in tiefster Seele gekränkt – empört, aber - sie ist eine blendende Schönheit, sie ist ihm eins mit seiner Kunst, und es braucht lange, lange – es muß zum äußersten kommen, ehe das vernichtende Gefühl seiner verrathenen Liebe, seiner zertrümmerten Existenz voll in ihm aufwacht. Und dann – ermordet er seine Gattin. – –

Der „kleine Hartwich“ gewahrte zu seinem Erstaunen, daß dies Stück, das bis zu einem gewissen Grade auch ihn selber fesselte – es wurde ausgezeichnet gespielt – seinen Freund Andree mächtig zu erregen schien. Aus den geplanten Plaudereien in den Zwischenakten wurde nichts. Schweigend und finster, die Blicke unablässig auf den herabgelassenen Vorhang gerichtet, wie wenn er nicht erwarten könne, daß das Stück weitergehe, saß Andree neben dem Freunde, der dies Benehmen mit der vorherigen herzlichen Freude und liebenswürdigen Zutraulichkeit seines Nachbars gar nicht zusammenreimen konnte. Kopfschüttelnd gab er endlich den Versuch auf, den anderen aus seiner merkwürdigen Versunkenheit zu reißen, und nickte gutmüthig mit dem Kopf, als Andree einmal hastig sagte: „Seid nicht böse – ich bin nicht ganz bei mir selbst – das Stück – das schreckliche Stück – es regt mich auf –“

„Wollen wir nicht lieber fortgehen?“ fragte Hartwich besorgt.

Andree schüttelte heftig den Kopf.

„Ihr seht miserabel aus, mein Alter!“ sagte Hartwich nach Schluß der Vorstellung, als beide Arm in Arm die hell erleuchteten Treppen hinunterschritten. „Was ist’s denn mit dem Stück? ’S ist ein raffiniertes, frivoles Machwerk, und um so ergriffen zu sein, dazu sehe ich keinen Grund! Ihr werdet doch nicht krank werden wollen? Was meint Ihr – soll ich am Ende mit Euch kommen und bei Euch bleiben?“

„Nein – nein – tausend Dank!“ Andree sprach abgebrochen und ließ Hartwichs Arm los. „Mit dem Stück mögt Ihr ja recht haben, aber trotzdem – ich muß allein sein – kann auch nicht mit Euch zu Pfordte kommen, wie wir verabredet hatten – ich wär’ ein erbärmlicher Gesellschafter! Auf morgen, lieber Hartwich – auf morgen! Ihr holt mich ab – wir gehen in die Ausstellung – es muß aber leer dort sein!“

„Hört ’mal, Andree, Ihr gefallt mir ganz und gar nicht!“

„Das will ich Euch glauben!“ Andree lachte kurz und hart auf. „Mir geht es genau ebenso, ich gefalle mir selber nicht!“

„Aber Euch jetzt allein lassen –“

„Thut mir die Liebe! Ich bitte Euch drum! Und nehmt es mir nicht übel!“

„Na, für so dumm braucht Ihr mich nicht zu halten! Auf morgen denn!“

„Ja – auf morgen!“

Durch die kalte Winternacht ging Andree seiner Wohnung zu; der Wind pfiff und heulte ganz tolle Weisen, kein Stern kam zum Vorschein.

Frau Wiedekamp war erschrocken, als ihr Miether heimkehrte – die Herren hätten doch noch zu Pfordte gehen wollen, sie habe nichts Rechtes zum Abendessen im Hause – was sie denn noch besorgen könne?

Nichts – durchaus nichts! Es sei ja Wein da, das sei ihm genug, Hunger habe er keinen. Und jetzt war er endlich allein in seinem hübschen Wohnzimmer bei der hell brennenden Lampe. Doch er empfand nichts von Behagen, wie im Fiebertraum kam

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 880. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_880.jpg&oldid=- (Version vom 13.1.2023)