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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)


„Wenn auch! Du hast eine Art, Dich gegen die Männer zu benehmen, die einem den ganz bestimmten Verdacht ...“

„Nein, nein!“ unterbricht ihn Gerda und wird roth. „Sprechen Sie nicht zu Ende, Onkel, wenn Sie mich lieb haben – bitte! Ich bin zufrieden, wenn ich bei Ihnen sein darf, ich kann mir kein –“

Sie stockt, denn sie will keine Unwahrheit sagen.

„Nun?“ wirft Herr Grimm ein.

„Nein – nichts!“ sagt sie kleinlaut und senkt die Wimpern.

Er zeichnet mit seinem Stock Figuren in den Sand.

„Wieviel Heirathsanträge hast Du eigentlich schon bekommen?“

„Schon? Zwei und einen halben, denn zum dritten ließ ich es nicht kommen!“

„Und wieviele hättest Du noch haben können?“

„Gott, Onkelchen, wie soll ich das wissen? Keinen – denke ich!“

„So? Nun, ich denke etwas anders darüber!“

Gerda findet das Gespräch nicht nach ihrem Geschmack.

„Ich weiß nicht, weshalb Sie mich so früh verheirathen wollen, Onkel! Wenn ich an Stellas Ehe –“

„Stellas Ehe!“ Herr Grimm brauste ganz so jugendlich zornig auf wie früher. „Daß sich Gott erbarme! Nein, die kann man nicht zum Muster aufstellen! Das Vorspiel war auch danach! Der eine verliebt sich in ein schönes Gesicht und wittert dazu noch ein ungeheures Vermögen – der andere – vielmehr die andere strebt nach Stellung und Rang und will eine Rolle spielen in der Welt! Das sind die Bedingungen, unter denen diese prinzliche Ehe zustande kam – na, und da ist sie denn gut ausgefallen! Er hat von seinem Bruder, der die ganze Geschichte widerwillig genug zugab, nur eine sehr mäßige Apanage, und von dem ungeheuren Reichthum, den er sich erträumt hat, ist kaum der zehnte Theil Wirklichkeit geworden ... dafür hat er eine Gattin, die das Leben so zu genießen versteht und so bedeutende Ansprüche macht, daß sie in dieser Kunst höchstens von ihm selbst, dem Prinz-Gemahl, überboten wird – und so ist das allerdings eine kreuzunglückliche Ehe – Klagen hier und Vorwürfe dort – und das Ende vom Lied wird sein, sie lassen sich scheiden, und die unvergleichliche Stella heirathet den geistvollsten aller Männer: Kuno, Ritter von Tillenbach!“

„Onkel!“ rief Gerda empört.

„Bleib’ sitzen, fahr’ nicht so wild in die Höhe, mein Kind! Wollen sehen, wer recht behält! Die Sache ist leider einfach genug: Stella braucht ungeheuer viel Geld und einen sehr dummen, sehr bequemen Mann – das hat sie jetzt beides nicht, allein Du kannst Dich darauf verlassen, sie wird es bekommen!“

„Aber Kuno nimmt doch keine Stellung in der Welt ein!“

„Der Name einer geschiedenen Prinzeß Riantzew giebt schon einen gewissen Glanz – nimm die schönen Millionen des Papa Tillenbach hinzu, und das Ergebniß ist nicht schlecht!“

„Nein, Onkel Grimm, ich glaube es wirklich nicht!“

„Dann laß es bleiben, dummes kleines Mädchen, die Zukunft wird es ja beweisen!“

„Papa und Mama sind außer sich, daß Stella so entsetzlich viel Geld braucht und dennoch so unglücklich lebt!“

„Papa und Mama haben sich den prinzlichen Schwiegersohn so sorgfältig eingebrockt, daß sie sich nicht wundern sollten, wenn er ihnen jetzt schwer im Magen liegt!“

„Es muß jetzt schlimm zu Hause sein! Wie gut, daß Wolfgang in Kiel untergebracht ist und daß ich bei Ihnen bin, Onkel!“

„Wer weiß, wie lange noch!“

Gerda rückte ein Stückchen von ihrem Pflegevater ab und besah sich ihn von der Seite.

„Sie sind ganz anders wie sonst, Onkel! Was haben Sie nur?“

„Was soll ich denn haben? Nichts, mein Täubchen!“

„Doch!“ Gerda wurde unruhig. „Sie haben irgend etwas im Sinn! Müssen wir denn hier immerfort sitzen bleiben? Die Sonne scheint mir gerade auf den Kopf!“

„Mach’ Deinen Sonnenschirm auf, liebes Kind!“

Herr Grimm bemühte sich, unbefangen zu sprechen, aber es gelang ihm nicht recht. Sein Stock, mit dem er noch immer Figuren in den Sand zeichnete, fiel ihm plötzlich aus der Hand, und er bückte sich, gleichzeitig mit Gerda, um ihn aufzuheben.

Da fiel ein Schatten auf den sonnenbeschienenen Weg. Als Gerda aufsah, stand Waldemar Andree vor ihr.

Sie fuhr mit einem leisen Schrei empor – sie machte keinen Versuch, zu sprechen, die Stimme würde ihr versagt haben. Aber ihre Augen sprachen – das konnte sie nicht verhindern.

„Nun?“ fragte Herr Grimm nach einer kleinen Weile, und seine Stimme schwankte. „Gelungen? Achte nicht auf mich, mein liebes Kind!“ fuhr er lachend fort, während ein feuchter Glanz in seine Augen trat, den er durch eine rasche Bewegung mit der Hand vergeblich zu verbergen suchte. „Ich bin vor Freude fast verrückt geworden!“

Andree nickte ihm zu.

„Wir haben Ihre Tochter erschreckt, lieber Freund, wir hätten es uns doch anders überlegen sollen! Er wollte Sie mit mir überraschen, Fräulein Gerda – und nun kommen Sie – setzen Sie sich – so!“

Gerda hatte sich inzwischen gefaßt, sie konnte ruhig sprechen und die üblichen Fragen nach dem Woher und Wohin an Andree richten.

„Ich komme aus Kairo!“ sagte dieser, und man glaubte ihm den Orient aufs Wort, so dunkelgebräunt sah er aus. „Ich habe lange, lange Zeit hindurch nichts thun können, bin auch nicht gesund gewesen – nun, das haben meine schriftlichen Berichte Ihrem Onkel erzählt – aber seit einiger Zeit habe ich wieder angefangen zu malen, und mir scheint, es geht wieder. Und Sie, Fräulein Gerda?“

„O, die!“ fiel Onkel Grimm ihm ins Wort und zwinkerte schelmisch mit den Augen. „Schöne Geschichten sind es, die sie anrichtet! Schickt die ehrenwertesten Freier heim –“

„Onkel! Um Gotteswillen!“

„Nun – ist’s nicht die Wahrheit? Und ist nicht Andree ein alter Freund, der die Wahrheit wissen muß? Ja, ja, sehen Sie sich nur dies wunderliche Mädel recht genau an, mein Lieber!“

Andree sah es sich in der That recht genau an, außerordentlich genau! Er war nicht sonderlich überrascht, sie so hübsch zu finden – er hatte in der letzten Zeit in Hamburg jedesmal bei ihrem Anblick im stillen gedacht, daß sie sich ungemein zu ihrem Vortheil entwickle – aber diesen Ausdruck in den Augen, diesen sehnsüchtigen träumerischen Blick ... nein, den konnte sie damals nicht gehabt haben, er hätte ihm auffallen müssen!

Er ließ sich aber nichts von seinem innern Erstaunen merken, sondern sprach sehr heiter, erkundigte sich nach seinem würdigen Freunde Hafis, dem „Zauberer“, und erfuhr, daß dieser, gleich Frau Müller, alt und bequem werde, dabei seien aber die beiden liebenswürdig und fügsam, so daß Gerda, die das uneingeschränkte Regiment im Hause führe, es leicht habe. Schließlich fragte er lachend: „Erinnern Sie sich noch, Fräulein Gerda, wie wir das Kaninchen jagten?“

„Ob ich mich erinnere!“ Sie ging auf seine Fröhlichkeit ein. „Wissen Sie, wie wir den Schrank umzingelt hatten und mit Onkels Stock hinunter fuhren, und Hafis beutegierig um den Aufenthaltsort des Kaninchens herumschlich?“

„Ganz recht! Und dann, wie ich Sie mit Dudu im Garten traf – was ist denn aus Dudu geworden?“

„Onkel Grimm hat ihm eine hübsche Stelle verschafft bei einem reichen, kinderlosen Ehepaar, das sehr gütig gegen ihn ist – Onkel hatte in seinem eigenen Haushalt keine Verwendung für ein Mohrchen. Dudu liebt mich noch immer und besucht uns von Zeit zu Zeit. Viel Deutsch hat er aber nicht dazugelernt!“

Herr Bernhard Grimm sah mit nachdenklichen Augen auf die beiden, die so munter miteinander plauderten.

„Wollen wir jetzt gehen?“ fragte er nach einer kleinen Weile. „Die Sonne brennt hier wirklich auffallend heiß.“

Gerda legte ihren Arm in den seinen, sie schlenderten langsam weiter.

„Und Du fragst gar nicht, wie es kam, daß ich Dich mit Andree überraschen konnte?“ sagte Grimm vorwurfsvoll. „Junge Frauenzimmerchen sind doch sonst neugierig!“

„Ich bin eben ein Ausnahme-Frauenzimmerchen,“ meinte Gerda lächelnd, „mir genügt es vorderhand, daß Herr Andree

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 883. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_883.jpg&oldid=- (Version vom 24.9.2023)