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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Wir sind ja eigentlich nicht so ganz des Sinnes für Farbe beraubt: der liebt einen bunten Hausrock, jener schöne, mit Blumen bestickte Pantoffeln oder Mützen; auf der Jagd trägt mancher ein etwas lustigeres Gewand – aber wenn wir uns „schön machen“ wollen, dann hüten wir uns ängstlich, die Regel der Farblosigkeit zu überschreiten! Schon ein allzu rother oder blauer Schlips, das Hervorschauenlassen eines bunten Taschentuches, ja die Blume im Knopfloch erscheint des „ernsten“ Mannes unwürdig. Selbst der flotte Student wartet, bis ihm sein Corps das Band und die Mütze giebt. Für sich wagt keiner von uns die graubraune oder schwarze Grundstimmung unserer Kleidung zu durchbrechen.

Die Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg, die Zeit der beginnenden stehenden Heere hat die Soldaten in ein einheitliches Gewand gepreßt, an Stelle der launenhaften Landsknechttracht eine völlige Unfreiheit gesetzt, so daß ein Rock allen Kriegern desselben Regiments gemeinsam wurde. Die napoleonischen Kriege haben die Regimentsunterschiede bis auf kleine Merkmale verwischt, kommende Zeiten werden vielleicht die Unterschiede der Truppentheile ganz aufheben und beim Soldaten die Einheitstracht vollständig durchführen. Neben dieser Gleichmacherei ging freilich auch die Entwicklung des Unterscheidungswesens her: den Grenadier oder Musketier vom Gefreiten, diesen vom Unteroffizier bis hinauf zum Feldmarschall unterscheidet immer ein Knopf mehr, ein hinzugefügtes Streifchen Goldlitze und dergleichen. Aber man hält fest an dem Grundsatz, daß ein Kleid alle Krieger ziere: des Königs Rock!

Es wäre hier eine sehr schöne Gelegenheit, über den Militarismus loszuziehen, doch weiß ich nicht recht, welche seiner beiden widersprechenden Seiten dem geehrten Leser gerade die unangenehmere ist! Seine gleichmachende oder seine sondernde Gewalt. Mir scheint das deutsche Heer und, als diesem nachgebildet, scheinen mir fast alle Heere eine demokratische Aristokratie darzustellen. Das ist ja eigentlich ein Unsinn, aber es hat Methode! Die Gleichheit ist demokratisch, die Unterscheidung aristokratisch.

Der Rock des Bürgers und der des Soldaten hat denselben Ursprung. Seine faltenlosen Schöße fallen von dem eingezogenen Gürtel nieder; er gleicht einem umgestülpten, vorn aufgeschnittenen Sacke, durch dessen Boden der Kopf gesteckt ist; er war zuerst das Kleid der Soldaten und ist durch die Uniform Gemeingut der Welt geworden, ein Erbstück aus der Zeit Ludwigs XIV. Unter diesem Könige waren schon alle seine Merkmale ausgebildet. Zunächst die schneidermäßige Haltung: denn nicht mehr wird der Körper mit dem Stoffe, meist schwerem Tuch, in zwanglosen Falten umhüllt, sondern der Schneider ordnet jede Einzelheit mit Schere, Nadel und Bügeleisen ein für allemal. Es entstanden die steifen Kragen, mögen sie nun emporstehen oder umgeklappt sein, die feste Form des aus Keilstücken zusammengeschnittenen Leibes, die engen Aermel, die langen Schöße. Und da der Sack, wie gesagt, vorn aufgeschnitten war, umhüllte man den Leib mit einem zweiten solchen, der Weste, um ihn vor Erkältung zu schützen. An diesen Haupttheilen der Kleidung, die so ganz anders gestaltet sind als die freier, flotter behandelten Gewänder des Mittelalters, hat sich nichts geändert. Ob nun die Schöße abstehen oder eng anschließen, vorn zusammenstoßen oder zum Frack zurückgeschnitten sind, ob die Knöpfe eine oder zwei Reihen bilden, benutzt werden können oder bloß zum Schein angebracht sind, ob die Taschen vorn, hinten oder an der Seite sitzen – das alles ist nebensächlich gegenüber der Thatsache, daß nun seit über 200 Jahren dies Kleidungsstück die Männerwelt beherrscht und alle Bestrebungen, die Erscheinung des Mannes eigenartiger, selbständiger, freier zu gestalten, tückisch verhindert. Wer je ein Kostümfest veranstaltet hat, weiß, daß mit diesem Rock die größten Schwierigkeiten für die Echtheit der Nachbildung beginnen. Ein geschickter Künstler, eine gewandte Frau kann ein antikes, ein mittelalterliches Kleid, auch das der Renaissance, ohne weiteres zuschneiden, sodaß der Faltenwurf den Eindruck vollkommener Echtheit hervorruft. Mit dem neuzeitlichen Rock beginnt die eigentliche Kunst des Schneiders, das Zusammenflicken vieler Theile zu einem festen Gebäude, das Falten nicht wirft, sondern womöglich vermeidet, außer jenen, die ihm mit den Bügeleisen eingezwungen werden; mit ihm beginnt das Männerkleid, nicht mehr Ausdruck des individuellen Geschmackes seines Trägers, sondern des Schneiderstandes zu werden.

Der Besteller hat immer weniger in der Frage mitzureden, wie sein Kleid beschaffen sein soll. Wenn ich Soldat bin, weiß ich wenigstens, wer den Zuschnitt meines Rockes bestimmt; wenn es mich interessiert, kann ich die Namen der Mitglieder der Bekleidungskommission erfahren und streben, auf sie Einfluß zu gewinnen; ich kann vielleicht vom Herrscher ein menschliches Rühren erhoffen, daß er mir unschön Erscheinendes ändern werde. Was kann ich aber gegen die Mode thun, gegen den fest geschlossenen Schneiderring? Nichts als gehorsam, treu und gewärtig sein der Befehle aus unbekanntem Munde. Trage ich einen unreglementmäßigen Rock als Soldat, so komme ich im schlimmsten Falle auf eine gewisse Zeit in Arrest, trage ich einen solchen als Civilist, so verfalle ich für alle Zeit dem Gelächter. Und das ist wahrlich die grausamere Strafe!

Wenn man die Sorge für sein Aeußeres nach Art theologischer Eiferer für sträfliche Eitelkeit, für eine kindische, des reiferen Geistes unwürdige Weltlust hält – dann freilich hat der Menschengeist seit hundert Jahren große Fortschritte gemacht! Oder wenn man nach Gelehrtenart seine Aufmerksamkeit, die eben vielleicht gerade der Kostümkunde der Griechen mit wissenschaftlichem Eifer zugewendet ist, für viel zu wichtig hält, um sie auf sich selbst, also von innerlichen auf angeblich äußerliche Dinge zu lenken – dann sind wir im Hinblick auf den Ernst sehr viel weiter gekommen, früheren Zeiten gegenüber. Mir will aber dieses Lob unserer Zeit nicht recht gefallen, mir scheint der Sinn für unser Aeußeres verkümmert. Das sieht man am Stillstehen der Herrenmoden gegenüber der Beweglichkeit der Frauenmoden. Die Nationen haben aufgehört, wie früher in der Bekleidungsfrage selbst mit zu arbeiten. Sie haben diese den „Fachleuten“, den Schneidern überlassen. Und diese sind nicht für einen Fortschritt, der plötzlich den Werth ihrer Künste in Zweifel setzen könnte. In unserem ganzen Jahrhundert schwankten durch alle „gebildeten“ Nationen sogar die Formen der Kleider so wenig, daß ein in Modesachen nicht tief Eingeweihter in späteren

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_031.jpg&oldid=- (Version vom 1.7.2023)