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verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Jahrhunderten den Elegant von 1840 schwerlich von jenem von 1890, den von Paris sicher nicht von dem Wiener wird unterscheiden können.

Der Beginn des neunzehnten Jahrhunderts stand unter dem Zeichen des Freiheitskampfes, welchen der Bürgerstand gegen das Königthum und die Aristokratie führte. Freiheit im Namen der naturgemäßen Entwicklung war das Stichwort der Zeit. Auch in der Kleidung wurde ihm nachgestrebt. Die Unnatur zu bekämpfen wurde auch hier ein beliebter Vorwand zur Aenderung des Geschmackes. Die Befreiung von der Fessel einer verschrobenen alten Mode vollzog sich anfangs mit raschem Erfolg am Kopf des Mannes selbst. Vor der Revolution schwanden die Perücke und der Zopf dahin. Aber wie dergleichen Dinge nicht auf einen Schlag fallen, so blieben auch diese beiden Abzeichen der alten feudalen Herrlichkeit bis in die dreißiger, vierziger Jahre hinein. Der gepuderte Kopf wurde in den ersten Jahrzehnten an den Höfen noch vielfach getragen.

Das Zöpfchen wurde zwar kleiner und kleiner und verschwand zuletzt verschämt und schüchtern ganz in der Halsbinde. Aber viele nahmen es mit ins Grab – konnten sich von ihm nicht trennen. Die junge Welt jedoch, namentlich die künstlerisch begeisterte, sah in diesem Reste des Rokoko das Bild alles dessen, was sie bekämpfte, alles Unfreien und Akademischen, alles Veralteten und Gezwungenen. Die ganze ältere Kunst schien ihr „Zopf“. W. Kaulbach malte seine künstlerischen Lehrer und Genossen an der Münchener Pinakothek im Kampf mit den Zopfträgern; die Freiheit, die Schönheit, die edle Einfalt, alles hatte nur einen Feind: den Zopf. Zopf war alles Nüchterne und alles Verschnörkelte, alles, was nicht der Antike, dem Vorbilde der Griechen, oder der Gothik, dem Vorbilde der Romantik, entsprach; Zopf war fast die ganze Renaissance, der ganze Barockstil, das Rokoko; zwei, drei Jahrhunderten wurde das Schwänzchen ans Haupt angebunden, weil sie nicht so waren, wie die junge Welt sie sich wünschte. Man war damals sehr streng in seinem Urtheil, sehr fest in seinen Grundsätzen, sehr einseitig in seinem Geschmack. Das kam daher, weil jene Zeit den bekämpften Zopf unsichtbar selbst noch im Rücken trug. Man wurde ihn durch einfaches Abschneiden nicht los. Heute sehen wir nur zu deutlich, daß das Zöpfchen der Alten zu den Titusköpfen der Jungen sehr gut stand, daß beide im Grunde genommen vielfach zusammengehörten.

Die Revolution hat der Welt den sogenannten Tituskopf geschenkt, das heißt eine Anordnung des Haares in kurzen, leicht geringelten Locken von gleicher Länge, welche also die Rundung des Kopfes klar zur Schau brachte. Man hatte das Vorbild an den Büsten der alten römischen Kaiser gefunden, Frauen wie Männer begeisterten sich für die neue „natürliche“ Haartracht. Diese Mode stammt also ebenso sehr aus der Begeisterung für die antike Kunst als aus dem Freiheitsdrang. Denn es mag den Menschen jener Zeit unsagbar wohl gewesen sein, als sie die Perücke und den Zopf, die fest geschniegelte Haarbehandlung los wurden. Der Tituskopf bot aber keineswegs ein Bild unbändiger Freiheit, er war nicht als Struwwelkopf gedacht, sondern er wurde jederzeit in Paris von Friseuren geordnet, deren Namen in aller Mund waren und in deren Läden die Büsten berühmter Griechen und Römer in Gipsabdrücken als klassische Vorbilder aufgestellt waren. Einzelne Stürmer, die in „eigenen Haaren“ gingen, haben zwar die Künsteleien verworfen und mit dem fünfzinkigen Kamm, der gespreizten Hand allein für Ordnung unter ihren Locken gesorgt. Es waren jene, die das Merkmal der Wildheit tragen wollten, die sich selber „Sauvages“, „Wilde“, nannten und einen schweren Knüttel statt des Stockes mit dem Silberknopf trugen. Die Mode war aber keineswegs so gelaunt, ihr Recht auf die Gestaltung des Kopfes der Willkür zu überlassen. Es waren auch keineswegs alle mit dem Aufgeben der Perücke einverstanden. Ruft doch selbst Jean Paul seinen Zeitgenossen zu: „Ihr Deutschen, thut den Franzosen nur diese häßliche Nacktheit, die den Pickelhäringen und Baugefangenen zukommt, nicht nach, ich bitt’ Euch! Die große Nation hat sich tonsuriert! Es kann die Zeit kommen, wo uns jede Woche zwei Mann zugleich, vorn der Bartscheerer, hinten der Haarkräusler barbieren!“ Freilich war’s bequemer gewesen, seine Perücke zu letzterem zu senden!

Der Haarkräusler legte also die Locken des Tituskopfes nach den Regeln seiner Kunst, ja sehr bald ersetzte er das mangelnde Haar wieder mit Vorliebe durch eine Perücke.

Noch war man zu viel und zu gut gepflegtes, wenn auch künstliches Haar am Manne gewöhnt, als daß man eine Glatze, ja schon eine schwach behaarte Stelle nicht als geradezu unanständig, als eine Entblößung empfunden hätte. Der Sieg der Mode in der Haartracht vollzog sich sehr langsam. Viele widerstrebten: so brachten die Freiheitskriege und die Romantik zahlreiche Köpfe mit langen Locken hervor. Aber in den Modezeitungen wird man von diesen nichts finden. Es zeigte sich hier wie in der Kleidung eine Zeit lang eine Befreiung vom Geschmack der sonst leitenden Kreise, eine fröhliche Unbotmäßigkeit, eine kecke Lust, seine Erscheinung selbst bestimmen zu wollen. Das Aufblühen des Bürgerthums im Kampf mit den Höfen und Regierungen kam in einer ganz neuen Mode der jungen Stürmer zum Ausdruck, in der Mode, nicht modisch gehen zu wollen. Sieht man aber die Modeblätter durch, so bleibt der Tituskopf bis in die vierziger Jahre fast allein herrschend. Er verlor die Strähne auf der Stirn, welche für Napoleon eigenartig ist, nach dem Untergang des Kaisers; er wurde lebhafter bewegt in den Tagen der Befreiungskriege; er bestand aus sorgfältig gerollten, pomadisierten und gebrannten Locken während der Restaurationszeit. Erst mit den vierziger Jahren kam die moderne Haartracht auf mit dem schnurgeraden Scheitel an der linken Seite, den mit Stangenpomade fest angeklebten Haaren, die ursprünglich in einer Locke bis über die Ohren herablagen, dann in den sechziger und siebziger Jahren gern über der Stirne aufgedollt wurden. Die ersten „Sechser“, jene wie eine 6 gebildeten, schön mit Pomade an die Schläfen angeklebten Locken über dem Ohr sah ich in den Modeblättern von 1824. Der Scheitel am Hinterkopf ist, soviel ich weiß, eine Erfindung preußischer Offiziere, diejenige der in den achtziger Jahren auftretenden sogenannten Simpelfranzen, der in das Gesicht gebürsteten beschnittenen Haare, französischen Ursprungs. Beide Formen wetteifern mit einander an Unschönheit. Unsere jungen Ballhelden, die sich vom Zopf so fern glauben, tragen das Haar, dessen schönste Zierden der freie Fall und der natürliche Glanz sind, kaum minder eingezwängt, als unsere Großväter es thaten, kaum minder gekünstelt, sicher nicht schöner!

Inzwischen haben diejenigen gesiegt, welche der Mode nicht folgten. Wir sind heute soweit gekommen, daß jede Haartracht gestattet ist. Locken tragen indessen nur noch wenige. Sie

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verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1892, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_032.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)