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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


von Mathilde, deren stark ausgeprägte Selbstsucht niemals ein wärmeres Gefühl zwischen den beiden Schwestern hatte aufkommen lassen, fühlte sich Bettina durch deren Begehrlichkeit bei der Erbschaftstheilung noch stärker abgestoßen. Diese Unsicherheit und Hilflosigkeit ihrer Lage drückte ihre Seele mehr und mehr nieder, und sie sehnte sich mit aller Macht nach einem innigen Verkehr mit Guido. Der aber war gerade durch den Besuch eines fremden Monarchen, dem zu Ehren Paraden und Felddienstübungen angestellt wurden, dienstlich so sehr in Anspruch genommen, daß er die Villa nur selten und dann bloß auf kurze Augenblicke besuchte. Bei den flüchtigen Begegnungen mit Bettina war er sehr freundlich und zuvorkommend, allein seine Artigkeit verhüllte den Blicken des Mädchens nicht ganz, daß das Feuer seiner Liebe bereits im Erlöschen begriffen sei, und immer beklemmender fielen ihr jene Worte aufs Herz, die sie in dem entsetzlichen Augenblick nach ihres Vaters Tod von den abziehenden Gästen gehört hatte und deren Verständniß ihr erst jetzt aufzudämmern begann.

Durch seinen Vetter hatte der Graf Einblicke in die Vermögenslage der Hinterbliebenen des Konsuls erhalten. Es bedurfte kaum der Kunstgriffe, die er anwandte, um den Gatten Mathildens zum Sprechen zu bringen, denn Voßleben fühlte ein lebhaftes Bedürfniß, sich über die Habgier seiner Schwiegermutter zu beklagen. Trachberg stimmte in die Zornesausbrüche seines Vetters mit ein und bezeichnete das Benehmen der Dame als unverantwortlich. Heimlich aber stiegen allerhand Berechnungen in ihm auf. Die Tochter ist jung, sagte er sich, allein ihre Mitgift beträgt nur 60000 Mark; die Mutter ist noch nicht alt und ihre Mitgift beträgt eine halbe Million. Mit dieser Summe könnte ich meine Güter von Schulden entlasten und ihre Erträgnisse flüssig machen – mit Bettinas Erbe kann ich nur den schlimmsten meiner Blutsauger auf einige Jahre von mir fern halten. Immer häufiger nahmen seine Gedanken diese Richtung, und Graf Trachberg war nicht der Mann, lange zu zögern, wenn es seinen klar erkannten Vortheil galt.

Als er eines Morgens beim Anbruch der Dämmerung seinen Klub verließ, wo er im Spiel gerade die Geldsumme verloren hatte, die er zu gewinnen wünschte, um Deckung für eine Wechselschuld schaffen zu können, da sagte er mit heroischer Selbstüberwindung: „Hol’s der Henker, ich nehm die Mama! Die Zeit der Illusionen ist vorüber, wir müssen vernünftig werden, Guido!“

Und am Nachmittag dieses denkwürdigen Tages fuhr der Graf zur Villa und ließ sich bei Frau Rosita melden. Sie empfing ihn im japanischen Salon, dessen Balkonthür geöffnet und gegen das einströmende Licht der Maisonne durch eine Markise geschützt war. Der Graf mußte sein Auge erst an das im Zimmer herrschende Halbdunkel gewöhnen, bevor er bemerkte, daß sich jener junge Künstler aus Florenz mit dem Rafaelkopf bei Frau Rosita befand; er war gekommen, um sich von seiner Gönnerin zu verabschieden, und er that dies mit überschwänglichen Dankesversicherungen. Als er das Zimmer verlassen hatte, wischte sich Rosita die thränenfeuchten Augen mit einem duftigen Spitzentuch und sagte mit trübem Lächeln: „Sie sehen, lieber Graf, meine Freunde verlassen mich, das Haus der Witwe verödet rasch. Der junge Mann, dessen harmlose, kindliche Fröhlichkeit mich so oft erheiterte, muß in seine Heimath zurückkehren. Eine Freundin in Rom hatte ihn mir empfohlen, und es gewährt mir jetzt einige Genugthuung, sein Talent gefördert und ihm das Vaterhaus nach Kräften ersetzt zu haben. – Doch ich spreche von mir, und Sie, lieber Graf, brennen unterdessen vor Begierde, Ihre Braut zu sehen; verzeihen Sie! Bettina ist, so viel ich weiß, im Garten, ich werde sie –“

Rosita wollte auf den Balkon treten, um die Tochter zu rufen, der Graf aber hielt sie mit der Bemerkung zurück, daß er nicht Bettina, sondern sie selbst zu sprechen wünsche.

Ueberrascht wandte sich die Witwe um, ließ sich auf einen Diwan nieder und lud den Grafen durch eine Handbewegung ein, an ihrer Seite Platz zu nehmen. Dieser empfand in dem lauschigen, halbdunklen Raume die Anmuth ihrer Bewegungen, ihre üppige Schönheit. Der gedämpfte Ton ihrer Stimme erhöhte den Reiz der Unterredung.

„Sie sehen mich in der peinlichsten Lage meines Lebens, gnädige Frau,“ begann der Graf. „Nur die bezaubernde Liebenswürdigkeit Ihres Wesens verleiht mir den Muth, mich Ihnen ganz anzuvertrauen. Ich habe stets Ihre Einsicht praktischen Verhältnissen gegenüber bewundert, und ich hoffe, daß jetzt auch meine Lage von Ihnen richtig erfaßt und beurtheilt werden wird.“

Als der Sprecher hier eine Pause der Verlegenheit eintreten ließ, neigte Frau Rosita mattlächelnd den Kopf und warf ein: „Ich fürchte, Sie überschätzen mich. Sie wollten wohl mit mir über Ihre Verlobung sprechen?“

„So ist es, meine verehrte gnädige Frau, und ich muß Ihnen offen bekennen, daß sich den bisherigen Wünschen ein unübersteigliches Hinderniß in den Weg stellt.“

„Ah!“ – Die Witwe richtete mit einem Male den Kopf auf, und ihre Mienen wie die hastige Art, mit der sie ihren Fächer bewegte, ließen ihre Spannung erkennen.

Und der Graf legte ihr offen seine finanziellen Verlegenheiten dar. Er sprach von der Mißwirthschaft seines Vaters, welcher es zuzuschreiben sei, daß er die Familiengüter mit Schulden belastet empfangen habe, aber er schwieg von den eigenen Spielschulden; er nannte die Abfindungssumme, welche er seinen Schwestern habe zahlen müssen, und ging zartfühlend über die Summen hinweg, die er für seine eigene verschwenderische Lebensführung verbraucht hatte. Als er Frau Rosita den Betrag aller seiner Verbindlichkeiten genannt hatte, begriff diese es vollkommen, daß der Graf zwischen Bettina und der ihm liebgewordenen militärischen Laufbahn zu wählen habe. „Ich bot Ihrer liebenswürdigen Tochter meine Hand an,“ schloß der Graf seine Bekenntnisse, „weil Voßleben mich in den Glauben versetzt hatte, ich könne dem Zuge meines Herzens frei folgen, da meine Finanzlage von dem Herrn Konsul ohne Schwierigkeit geregelt werden würde. Leider ergab sich nach dessen Hinscheiden, daß dies nicht der Fall ist. Nun haben zwar Sie, verehrte Frau, in Ihrer Großmuth uns Ihre Unterstützung zugesagt, allein Sie werden einsehen, daß es sich schwer mit meinem Ehrgefühl in Einklang bringen läßt, laufende Unterstützungen anzunehmen. Ich würde niemals das drückende Gefühl überwinden können, daß Sie sich um unseretwillen Entbehrungen auferlegen müßten. Außerdem“ – hier dämpfte der Graf seine Stimme zum Flüsterton herab, „sind mir in den letzten Tagen schwere Bedenken gekommen, ob ich ein junges Mädchen wie Bettina so glücklich machen kann, wie sie es verdient. Ich zähle schon achtunddreißig Jahre und Ihre Stieftochter nicht viel mehr als zwanzig; aus diesem großen Unterschied der Jahre ergiebt sich naturgemäß auch eine weitgehende Verschiedenheit der Lebensauffassung. Bettina tritt mit allen Illusionen der Jugend ins Leben, ich aber – habe keine Illusionen mehr. Ja, wenn Bettina Ihr Lebensalter hätte und Ihre Erfahrung, meine Gnädigste – –“

Er verstummte mit einem Seufzer und sein Gegenüber setzte in Gedanken hinzu. „und meine halbe Million“; allein im nächsten Augenblick senkte Rosita unter seinem schmachtenden Blick den Kopf zum Fächerrand nieder und erwiderte: „Ich verstehe Ihre peinliche Lage, Herr Graf, und – ‚alles verstehen, heißt alles verzeihen.‘ Warum aber haben Sie sich an mich gewandt – wäre es nicht richtiger, Bettina alles zu bekennen? Meine Tochter ist einsichtsvoll und stolz genug, um Sie sofort Ihres Versprechens zu entbinden.“

„Das weiß ich. Und seien Sie versichert, daß ich mein Wort erfüllen würde, wenn Fräulein Bettina meine Vermögenslage anders beurtheilen sollte als ich selber. Was mir den Gedanken eingab, mich an Sie zu wenden, theuerste Frau, das ist der Umstand, daß ich vor allen Dingen von Ihnen zu hören wünschte, ob Sie nach Klarstellung der Verhältnisse mich um meines Zurücktretens willen verurtheiten werden, und dann, weil ich meine Schwäche kenne. Bevor ich es über mich gewinnen könnte, Bettina weinen zu sehen, würde ich mein Versprechen erneuern, und wenn es gleich mein Ruin wäre und der ihres eigenen Lebensglücks. Sie, meine Gnädigste, besitzen den feinen Takt und die Kenntniß des menschlichen Herzens, welche^ Sie befähigen werden, das Band zu lösen, ohne die Gefühle Ihrer Tochter zu verwunden. Wollen Sie mich von der schmerzlichsten Pflicht meines Lebens entbinden? Darf ich auf Ihre Vergebung, auf die Erhaltung Ihrer Achtung und Freundschaft rechnen, theuerste Frau Konsul?“

Er hatte ihre Hand ergriffen und schaute ihr mit so warmen Blicken in die glänzenden Augen, daß sie verwirrt erst nach einer Weile zu antworten vermochte. „Ich will Ihre Sache bei Bettina führen, lieber Graf,“ sagte sie leise.

„Und Sie billigen meinen Schritt, Sie denken nicht gering von mir?“ Seine Stimme hatte einen flehenden bangen Klang.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_042.jpg&oldid=- (Version vom 11.2.2019)