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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

„Wer vernünftig handelt, ist niemals zu tadeln.“

„Ich werde leider so lange Ihre Nähe meiden müssen, verehrteste Frau, bis Ihre Tochter mir nicht mehr grollt. Darf ich hoffen, daß Sie mich nicht vergessen, daß Sie mir die Zuneigung bewahren, die mich in Ihrem Hause so wohlthuend berührte? Darf ich hoffen – –“ Er war in der Stimmung, ihr schon jetzt ein Liebesgeständniß zu machen, allein er besann sich rechtzeitig, daß ein allzurasches Enthüllen seiner Absichten die erfahrene Frau stutzig machen könnte. Er brach daher mit einem Seufzer ab und küßte die wohlgepflegte Hand Rositas.

Diese sah ihn mit blitzenden Augen an und erwiderte lächelnd: „Ihre Frage war völlig überflüssig. Sie wissen recht gut, daß man Ihnen nicht zürnen kann und daß man Sie auch niemals vergißt. Auf Wiedersehen!“

Und der Graf Guido verließ die Villa mit dem erhebenden Bewußtsein, daß er ein widriges Geschäft glatt abgewickelt habe und diesmal seinen Gläubigern in Wahrheit versprechen könne, seine Schulden würden vor Ablauf eines Jahres getilgt werden.

*      *      *

Frau Rosita stand auf der Schwelle des japanischen Zimmers, bis die Schritte des Grafen auf der Treppe verhallten, dann lachte sie stolz auf und rief: „Er ist mein, der kluge Graf ist mein! Frau Rosita, Gräfin von Trachberg – wie das klingt! Doch still, da kommt Bettina! Nun, ich bin gerade in der Laune, um diesem Prinzeßchen den bitteren Trank zu mischen. Laßt uns Licht in die Sache bringen!“

Sie war eben dabei, die Markise aufzuziehen, als Bettina bei ihr eintrat. Das Mädchen hatte den Grafen vom Garten aus eilig das Haus verlassen sehen. Was war geschehen, daß er seine Verlobte nicht aufsuchte? Von innerer Unruhe getrieben, eilte sie zu ihrer Stiefmama und bat sie mit erregten Worten um Aufklärung dieses seltsamen Verhaltens.

Frau Rosita gab sich den Anschein mütterlicher Zärtlichkeit, führte die Tochter zu einem Sitzplatz und träufelte ihr Tropfen für Tropfen den Gifttrank ein. Sie ließ zunächst den Charakter des Grafen im edlen Feuer der Tugend und Ritterlichkeit erstrahlen, bezeichnete seine Geldverlegenheiten als die Folge seines Familiensinns und seiner Großmuth und erklärte ihr dann, wie der edle Mann nach und nach zu der Ueberzeugung gelangt sei, daß er voreilig gehandelt habe und die Verlobung auflösen müsse, weil er sich außer stande sehe, Bettina so glücklich zu machen, wie sie es verdiene.

Das Mädchen war bleich geworden und brachte erst nach längerem inneren Kampfe die Frage über die Lippen. „Also um der Mitgift willen sagt er sich los von mir?“

Diese Frage hatte Rosita erwartet. Indem sie sich jetzt den Anschein zartester Rücksichtnahme für ihr armes verschmähtes Kind gab, bewies sie, daß der Graf bei gewissenhafter Prüfung seiner Gefühle die Ueberzeugung gewonnen habe, sein Antrag sei einer flüchtigen Aufwallung entsprungen. In sanftem Tone führte sie demüthigende Einzelheiten an, um die Wandlung der gräflichen Empfindungen verständlich zu machen, und als sie die Unvermeidlichkeit des Bruches dargethan hatte, schloß sie mit der Aufforderung: „Und nun, mein armes, beklagenswerthes Kind, wirf Dich an dies mitfühlende Herz und weine Dich aus! Thränen erleichtern den Schmerz.“

Aber Bettina verschmähte es, sich an dieses Herz zu flüchten. Mit starr blickenden Augen saß sie am Fenster und regte sich nicht. Ihr Haar leuchtete unter den Strahlen der sinkenden Sonne wie rothes Gold und hob sich seltsam ab von der Marmorblässe ihres Gesichts. Sie besaß zu wenig Lebenserfahrung, um glatt vorgetragene Lügen von der Wahrheit unterscheiden zu können, und doch sagte ihr ein untrügliches Gefühl, daß die Stiefmutter sie hasse, daß der mitleidige Ton erheuchelt sei. Sie erhob sich daher nach einer Weile des Nachsinnens und erklärte in müdem Tone: „Wenn Graf Trachberg nicht den Muth besitzt, offen und männlich mit mir zu sprechen, so wird er vielleicht die Kraft finden, mir zu schreiben, warum er mich aufgiebt.“

Sie setzte sich an den Schreibtisch, nahm eine Karte und schrieb darauf: „Herr Graf, Sie sind frei!   Bettina.“

Schon am folgenden Tage erhielt sie eine ausführliche Antwort des Grafen, worin dieser alle seine Gründe und Bedenken wiederholte. Er versicherte ihr, daß es ihm entsetzlich schwer geworden sei, ihrer Hand zu entsagen, und daß er sie anflehe, ihm Verzeihung zu gewähren.

Das Mädchen zerriß den Brief, dessen gewundene Phrasen sie durchschaute. Lügen, nichts als feige erbärmliche Lügen, der Frühlingstraum ihres Lebens zerstört – wie sollte sie die Oede ihres Daseins verwinden? Wo blieb ihr ein Ort, der ihr eine Zuflucht bot und – Vergessen?

Sie dachte an Mathilde, welche am nächsten Morgen die Reise nach Mexiko antreten wollte. Zu ihr eilte sie hin. Sie fand die Schwester unter Kisten und Koffern; athemlos rief sie ihr schon auf der Schwelle entgegen: „Schwester, nimm mich mit Dir nach Mexiko!“

Mathilde blickte von dem Koffer auf, den sie eben verschlossen hatte, und antwortete mit allen Zeichen des Erstaunens. „Soll das Scherz oder Ernst sein?“

„Heiliger Ernst!“ Und nun erzählte Bettina in fliegender Hast und mit brennender Schamröthe im Gesicht, daß Graf Trachberg sie verschmäht und die Verlobung aufgelöst habe. „Du kannst mich vor Verzweiflung retten, Mathilde. Ich muß fort aus diesem Hause, aus dieser Stadt – ich kann mit der Stiefmutter nicht mehr zusammenleben! Nimm mich mit Dir, Schwester, ich bedarf großer Eindrücke, neuer Gesichtskreise, um über das brennende Gefühl da drinnen weg zu kommen. Ich werde Euch nicht zur Last fallen, kann ich doch die Kosten der Reise und meines Aufenthalts aus eigenen Mitteln bestreiten. Ach, Mathilde, Schwester, sei gütig und nimm mich mit Dir – Du ahnst nicht, wie elend und unglücklich ich mich fühle.“

Schluchzend warf sich das Mädchen der Schwester an die Brust, und heiße Thränen rannen über ihre Wangen. Allein Mathilde gehörte zu den ruhigen gleichmäßigen Naturen, welche sich durch Gefühlsausbrüche nicht überrumpeln und zu keiner Thorheit fortreißen lassen. Während Bettina sich an ihrem Halse satt weinte, sann sie nach, ob deren Absicht mit ihren eigenen Zukunftsplänen in Einklang zu bringen sei, ohne daß dadurch für sie selbst Unbequemlichkeiten entstehen würden. Und als die Weinende endlich ihre Thränen trocknete, wies sie ihr einen Platz auf einem Feldstuhl an, setzte sich ihr gegenüber auf eine Kiste und sagte. Ich begreife, liebe Betty, daß dieser Schlag Dich aus der Fassung gebracht hat. Und ich fühle Deine Vereinsamung mit. Ich wäre gern mit dem Bewußtsein von Dir geschieden, Du seiest in guter Hut. Wenn indessen die finanzielle Lage des Grafen eine so mißliche ist, wie er angiebt – und es liegt kein Grund vor, an seinen Worten zu zweifeln – so mußte er von einer Verbindung mit Dir zurücktreten, und wenn er Dich auch noch so sehr geliebt hätte. Das ist der Fluch unserer Verhältnisse: Offiziere und Beamte, welche kein Vermögen oder gar Schulden besitzen, können nur eine reiche Frau heirathen, oder sie müssen unvermählt bleiben. Wenn Du Deine zerstörten Hoffnungen beweint hast, lieb Schwesterchen, dann wirst Du zu der Einsicht gelangen, daß Dich Graf Trachberg unter den obwaltenden Verhältnissen vor einem Leben voll schwerer Sorgen bewahrt hat. Ein stolzer Name, eine hohe Lebensstellung bedürfen der goldenen Unterlage, sonst bringen sie dem Träger nur Entwürdigung. Die Grafenkrone wird auf dem Kopf eines Bettlers zur Narrenkappe. Darum sei vernünftig, Betty, und gerecht – der Graf trug Dir seine Hand an, weil er Dich liebte und in Dir die reiche Erbin sah; um Dich mit einer Mitgift zu heirathen, die ihn nicht einmal von seinen Schulden entlastet, dazu ist er nicht mehr jung und thöricht genug. Und ganz heimlich sei es gesagt: mein Mann hätte vielleicht an mir ebenso gehandelt wie sein gräflicher Vetter an Dir, wenn er vor unserer Hochzeit gewußt hätte, daß meine Mitgift so lächerlich gering ausfallen würde. Ja, mein Schwesterchen, sieh mich nicht so entsetzt und ungläubig an – ich bin frei von thörichten Einbildungen und kenne die zwingende Gewalt gesellschaftlicher Verhältnisse. Mein Georg ist ein prächtiger Mensch, und ich weiß, daß er mich aufrichtig liebt, allein er besitzt Ehrgeiz und strebt nach einer raschen glänzenden Laufbahn; dazu gehört aber Geld.

Daß ich so wenig davon mein nenne, das wird Mißstimmungen auch in die Ehe hineintragen, und ich werde in den ersten Jahren all meine Klugheit aufbieten müssen, um das Band, das ihn an mich bindet, zu einem recht innigen zu machen, um meinem Gatten einflußreiche Freunde zu verschaffen. Aus diesem Grunde, liebe Betty, geht es nicht an, daß Du uns sofort begleitest. – Zürne mir nicht, mein Herz, und laß auch den Kopf nicht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_043.jpg&oldid=- (Version vom 7.5.2022)