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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Ufergeländen zugeführt wird; im Winter ist die Menge des den Gletschern entstammenden Geschwemmes nur gering und die blaue Farbe des Wassers bricht in der grünen Mischfarbe durch. Jeder Gletscherbach hat seine eigene, von den zerriebenen Gebirgsmassen stammende Farbe; man unterscheidet nicht ohne Grund bei Zweilütschinen im Berner Oberlande die beiden Flüsse, die sich dort einigen, als „schwarze“ und „weiße“ Lütschine: die eine bringt zerriebenen, weißen Kalk, die andere Schmirgel von zermalmten dunklen Schiefern.

Wie ungemein kräftig die durch die aufgeschwemmten Stoffe erzeugten Mischfarben auftreten können, zeigte mir eine Beobachtung, welche ich Ende Dezember 1889 in Nizza machte. Während einiger Tage war das Wetter schön, das Meer, das ich von meinem Fenster aus bis zu dem etwa 15 Kilometer entfernten Cap von Antibes beherrschte, wunderbar blau gewesen. Nun gingen schwere Gewitter mit wolkenbruchartigem Regen in den Gebirgen des Var nieder. Der Fluß, der in 6 Kilometern Entfernung von meiner Wohnung mündet, wälzte beträchtliche Wassermassen von gesättigter Ockerfarbe in das Meer, und man sah deutlich die scharfe Wellengrenze zwischen der lehmgelben Zunge, die stets weiter in das Meer hinein leckte, und dem tiefblauen Salzwasser. Aber nur wenige Stunden. Dann umsäumte sich die Zunge mit einem stets breiter werdenden grünen Bande, so grell, so giftig grün, daß ich zur Anfertigung einer Studie, auf welcher ich die Erscheinung so treu als möglich festzuhalten suchte, meinen ganzen Vorrath von Deckgrün (Vert Paul Véronèse) verwenden mußte. Unter dem Einfluß des Westwindes leckte die Zunge weiter, an dem Felsufer hinter dem Hafen von Nizza herum gegen die Bucht von Villafranca hin, und als ich diese am folgenden Tage besuchte, erschien das Wasser nicht wie gewöhnlich tief stahlblau, sondern grün, gesättigt grün, und der Fischer der dortigen zoologischen Station klagte, es seien keine schwimmenden Seethiere zu finden, sie müßten sich vor dem grünen Wasser zurückgezogen haben. Erst nach einigen Tagen nahm das Blau wieder überhand.

Die grüne Mischfarbe war durch die feineren aufgeschwemmten gelben Lehmtheilchen erzeugt – das gröbere Geschwemme hatte sich bald niedergeschlagen.

Feineres Geschwemme erhält sich aber ungemein lange in der Schwebe. G. Bischof schöpfte bei einer Ueberschwemmung des Rheins Wasser in große Gefäße und stellte diese in den Keller des chemischen Laboratoriums in Bonn. Nach mehreren Monaten vollständiger Ruhe hatten sich die feinen Theilchen noch nicht vollständig abgesetzt, war das Wasser noch nicht klar geworden. Man begreift, daß in einem See, in welchem der ein- und ausströmende Fluß immerhin eine fließende Bewegung unterhält, mag sie auch noch so gering und für gewöhnliche Beobachter, für Fischer und Ruderer, ganz unmerklich sein, doch diese aufgeschwemmten feinsten Theilchen niemals zur Ruhe kommen und daß demnach, wenn diese Theilchen eine gelbe Färbung besitzen, der See dauernd eine grüne Farbe zeigen muß, die sogar an den tiefen Stellen gesättigter erscheinen muß, weil dort eine größere Menge gelber Theilchen durch eine bedeutendere Schicht von Wasser hindurchschimmert. Da aber ferner die Nuancen, welche die Geschwemme der einzelnen Bäche und Flüsse zeigen, ins unendliche zwischen grau, gelb und selbst röthlich variieren, so ergeben sich auch die mannigfaltigsten, in feinster Weise abgetönten Mischfarben und ein steter Wechsel je nach der Menge von Geschwemme, welches den großen Wasserbecken zugeführt wird. Auch in dem Meere, dem nimmer ruhenden, werden diese feinen Aufschwemmungen sich lange Zeit schwebend erhalten und über ungemein große Flächen vertheilen.

Aehnlich wie solche mineralischen Stoffe wirken auch die organischen, Pflanzen und Thiere. Die Ufer sind mit einer Menge von Pflanzen bedeckt, an den Seen in allen Abstufungen von Grün und Braun (zahlreiche mikroskopische Pflänzchen, welche die Steine wie mit einem Schleime überziehen, haben eine gelbe oder braune Farbe); an den Meeresufern wachsen bis zu einer Tiefe von 30 Metern grüne, in noch größerer Tiefe gelbe und rothe Algen, die oft förmliche Wälder und Wiesen bilden und deren Farbe sich mit derjenigen des Wassers mischt. Selbst in unseren nordischen Meeren giebt es eine Menge von festsitzenden Thieren, Schwämme, Seescheiden, Muscheln, deren Anhäufungen eine bestimmte Farbe hervorbringen, und die Besucher der südlichen Meere wissen nicht genug von den herrlichen Farben zu sagen, die von den Korallenriffen hervorgezaubert werden.

Aber damit nicht genug. Es wimmelt in allen Seen und Meeren von schwimmenden, sogenannten „pelagischen“ Pflanzen und Thieren. Einzellige, mikroskopische Algen von grüner oder gelblicher Farbe sind die gewöhnlichsten Bummler bis in bedeutende Tiefen; doch auch gelbe und rothe Algen kommen zuweilen so massenhaft vor, daß „das rothe Meer“ keine willkürliche Bezeichnung, sondern der richtige Ausdruck für eine beobachtete Thatsache ist. Selbst größere Thiere können solche Farbenwirkungen hervorbringen. Ich habe die Bucht von Villafranca theilweise röthlich gefärbt gesehen von Millionen schwimmender, erbsengroßer Seescheiden (Anchinia rubra); ich habe den unmittelbaren Randsaum meilenlanger Strecken an der Riviera in einer Breite von mehreren Metern tief königsblau gesehen von dicht aneinander gedrängten, schwimmenden Segelpolypen (Velella spirans).

Wir können sogar die schwimmenden, durchsichtigen Wasserwesen, von den größeren Quallen bis zu den unendlich kleinen Mikroben, nicht von einer gewissen Einwirkung auf die Färbung des Wassers freisprechen. Wir würden ihre glashell durchsichtigen Leiber nicht sehen können, wenn sie das Licht nicht in anderer Weise brechen würden, als das sie umgebende Wasser es thut. Sie senden also durch dieses eine Menge von Brechungsstrahlen, die an und für sich höchst unbedeutend sind, aber doch durch ihre Häufung eine Wirkung hervorbringen müssen, wenn auch Millionen dieser kleinsten Wesen in dem Raume eines Kubik-Millimeters Platz haben. Wozu hätten wir denn an gewissen Stellen der Netzhaut unseres Auges auf dem Raume eines Quadrat-Millimeters bis zu einer Million empfindender Elemente (sogenannter Stäbchen), wenn wir solche minimale Eindrücke nicht auffassen und zu einem Gesammteindrucke vereinigen könnten?

Endlich wollen wir die dem Wasser beigemischte Luft nicht vergessen. Wenn wir eine etwas zähe Flüssigkeit mit Luft schütteln, so wird sie weißlich, schließlich weiß wie Milch. Und doch ist die Flüssigkeit durchsichtig und die Luft auch. Aber die in dem Wasser vertheilten Luftbläschen brechen das Licht in anderer Weise. Die Welle erscheint weißlich, ganz weiß an ihren Rändern von der eingeschlossenen Luft, und je stärker die Bewegung, desto mehr tritt das Weiß hervor, mit grünlicher Abtönung bei klarem Wasser und bedecktem Himmel, mit strahlend gelber bei Sonnenschein, mit lehmgelber Färbung, wenn das Wasser nicht rein ist. Alle diese Töne mischen sich mit den Farben der Unterlage, mit den Spiegelfarben der Oberfläche.

So wird denn die Frage nach der Ursache der Färbung der Gewässer zu einem der verwickeltsten Probleme der Wissenschaft wie der Kunst, dessen vollständige Lösung noch nicht erzielt worden ist, trotz der mannigfaltigsten Bemühungen von seiten der Gelehrten und der darstellenden Künstler. Ich muß gestehen, daß ich vor den Marinemalern den größten Respekt habe, weil sie, um der Auffassung des gewöhnlichen Auges entgegenzukommen, die verschiedenen, in der Farbe so unendlich wechselnden und doch so formlosen Bilder, welche das Meer bietet, in einem Bilde zusammenfassen müssen. Aber wenn ich vor einer gemalten Welle von Mazure in Paris stehe (er wird dort gewöhnlich „Mazure la vague“, der „Wellen-Mazure“, genannt) und sehe, wie dieser Künstler, ohne Beihilfe von Strand, Mauern, Gebäuden und Schiffen, die dem Auge durch ihre Form einen Halt bieten, mich eine Welle des Mittelmeeres sehen läßt mit ihren Spiegelungs- und Brechungsfarben, harmonisch gemischt mit den aus der Tiefe vorquellenden Farbentönen des Bodens und der eigenthümlichen Färbung des Wassers selbst, so fallen mir, wie man zu sagen pflegt, die Arme vom Leibe. Und es wird mir dann schwer, in meinem Geiste das Bewußtsein aufzurütteln, daß die Farbe des Wassers im allgemeinen sich aus einer Menge von Faktoren zusammensetzt, unter welchen die wesentlichsten sind: die normale Bläue des reinen Wassers, die Spiegelfarben der Oberflächen, die Brechfarben der bewegten Theile, die Eigenfarben der in dem Wasser aufgeschwemmten Körper und die durchschimmernden Farben des Grundes oder der nur sehr sanft erleuchteten Tiefe.

Hier, wie überall, bewährt sich aber der Spruch, daß es in der Natur keine einfachen Erscheinungen giebt, daß alle nur das Ergebniß einer Menge von einzelnen Faktoren sind, deren Gesammtwirkung wir obenein noch mit einem sehr unvollkommenen Instrumente, unserem Auge, betrachten und auffassen.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_055.jpg&oldid=- (Version vom 2.7.2023)