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verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Doch des Menschenfeindes Stirn blieb gefurcht. Zwar zog er die Hand, welche sich nach dem Geldbeutel gesenkt hatte, wieder leer aus der Tasche hervor, indessen nur, um trocken und kurz zu sagen:

„Ich werde Ihnen meinen Beitrag durch einen Freund zustellen lassen. Komm, Sigrid, wir haben die Damen schon zu lange aufgehalten.“

„Du hättest auch ’was sagen können,“ schmollte Frida, als die Tritte auf der Treppe verhallten. „Das hätte ihn vielleicht bestimmt. Nun kommt er nicht! Und es wäre so nett gewesen, wenn er gekommen wäre.“

Vilma lächelte leise. Er kommt! dachte sie bei sich, denn sie erinnerte sich des Blickes, der sie gestreift hatte, als Thormann das Atelier verließ.




4.

„Das ist ja das reine ‚Tausend und eine Nacht‘!“ sagte Frau Emmy, ihres Gatten Arm vor Erstaunen loslassend, als die hohe Vorhangpforte sich theilte, und sie in das zum Zaubergarten umgewandelte Schloßtheater eintraten. Ein Lichtmeer ergoß sich über riesige Palmenfächer und farbige Blumenbeete, weiße Statuen schimmerten aus dem Grün hervor, im Hintergrund zwischen hohem Lorbeergebüsch plätscherte lebendiges Wasser in ein von Rosenbüschen umsäumtes, klares Becken nieder. Die oberen Logenreihen waren durch Laubgewinde und phantastische Schilfbüschel verdeckt, zwischen welchen farbige Lampions, riesenhafte Käfer und Schmetterlinge hervorwinkten; die unterste Reihe aber in ihrer goldenen Barockdekoration erstrahlte, durch erfahrene Künstlerhände zu den Läden des Bazars umgeschaffen und magisch beleuchtet, in einer solchen Farben- und Schönheitsfülle, daß der Neueintretende Zeit brauchte, sich einigermaßen zurechtzufinden – vorausgesetzt, daß es ihm gelungen war, aus der umklammernden Menschenwoge heraus und auf einen stilleren Platz zu gelangen.

Von einem solchen aus genoß das Ehepaar Walter schon längere Zeit den feenhaften Anblick. „Donnerwetter,“ sagte der Landgerichtsrath, nachdem seine Blicke allmählich auch in das Innere der Logen drangen, „was haben sie hier für eine Pracht von schönen Mädels beisammen! Sieh nur dort den Theeladen mit der reizenden dunkeläugigen Japanerin, sollen wir uns da nicht eine Tasse ausbitten?“

„Es ist die Soubrette vom Stadttheater,“ meinte Emmy zögernd.

„Um so besser!“ antwortete unternehmend der Gatte, und ihres leisen Widerstrebens ungeachtet, befand sie sich eine Sekunde später vor der Loge, die wie ein Schmuckkästchen von Lack- und Metallkostbarkeiten strahlte. Mit echt japanischem Schmachtblick reichte die brokatumhüllte Schauspielerin die beiden winzigen Tassen und ein paar Biskuits über die Brüstung.

„Zwei Mark fünfzig, bitte,“ war wohl alles, was für die beiden von Fräulein Mizis Lippen abfiel, aber Hugo schien vollbefriedigt. „Der Thee war vorzüglich,“ erklärte er im Weiterschreiten, „und, wenn man die Umstände bedenkt, nicht einmal theuer.“

Emmy gedachte zagend des vorher zu Hause gefaßten Vorsatzes „Fünf Mark im ganzen!“, allein Hugos gehobener Stimmung gegenüber wagte sie keine Einrede, sie störte ihn auch nicht im Erwerb eines Cigarrenbechers mit Häkelarbeit und eines Arbeitskörbchens aus Waldmosaik, an dem sie schon im Geist ihre sämmtlichen Seidenfäden hängen sah, nur suchte sie ihn in weitem Bogen an dem Kunstladen vorüberzulenken, wo die beiden reizenden Zwillingstöchter seines Präsidenten Photographien und Aquarelle zu haarsträubenden Preisen feilboten. Plötzlich erhielt sie einen leichten Schlag auf die Schulter: „Bazarpost, meine Herrschaften!“ und Frida Gersdorff stand vor ihnen, in weißem Rock und kokettem Postillonsfrack aus rothem Atlas, einen Dreispitz mit Federbusch auf die gepuderten Locken gedrückt. Sie überreichte salutierend die Festzeitung, deren Erwerb wenigstens eine Schutzstandarte abgab gegen die Angriffe der andern schönen Postillone, die, nach allen Seiten den Saal durcheilend, unwiderstehlich auf Auge und Börse wirkten.

„Kommen Sie nur mit,“ rief Frida, „es liegt auf der Expedition ein Brief an Sie, Herr Rath!“ und sie zog die beiden hinter sich her, vorüber an den Blumenläden, wo es verlockend von frischen Müdchenlippen erklang: „Nur fünfzig Pfennig das Sträußchen!“, vorüber an der Galanterieauslage, die glänzende Geschäfte machte, obgleich oder weil ihre Inhaberin, Lucie Peters, die gefeierte Königin sämmtlicher Studentenbälle, erklärt hatte: „Gebt mir nur allen Bafel, ich bringe ihn doch an!“ und diesem Ausspruch in wahrhaft ruchloser Weise Ehre machte, vorüber an dem benachbarten Schmuckladen, wo ein blasses reizloses Mädchen im kostbaren Ballkleid, die Tochter eines hohen Beamten, voll Bitterkeit nach dem Gedränge um Lucie hinübersah, von dem sich niemand zu ihr verlieren wollte – an alle dem vorbei zu der glücklich erdachten und glanzvoll ausgestatteten „Postexpedition“ mit Annahme- und Abgabeschalter, bedient von den schönsten Frauen der Stadt in rothcr Gala-Uniform, umdrängt von einer dichten Menschenmenge. Postlagernde Briefe und Sendungen, gute und schlechte Scherze enthaltend, wurden herausgereicht, mit dem Gelächter wuchs das Gedränge, und schon nach einer Viertelstunde war die „Postexpedition“ als der große gelungene Wurf des Bazars anerkannt.

Hugo entfaltete sein Blatt und las: „Sirach 26, 1 und 2.“ Fragend sah er Emmy an, denn seine Bibelfestigkeit war nicht stark genug, um sofort zu wissen, ob ihm hier eine Schmeichelei oder eine Grobheit gesagt werde. Aber auch sie konnte diesmal der Pflicht einer guten Ehefrau, alles zu wissen, was der Mann vergessen hat, nicht genügen und sah zweifelhaft auf die kurze Zeile.

„Habe die Ehre!“ erklang jetzt neben ihr eine Stimme, und aufsehend erkannte sie die kurze dicke Gestalt des Geheimen Medizinalraths Hoffmann, der mit Paketen und Schachteln beladen war, daß ihm kaum eine Hand zum Gruße frei blieb. Sein sonst recht sarkastisches Gesicht trug eine stille Duldermiene.

„Herr Geheimrath – ja, was haben Sie denn alles?“ lachte Emmy.

„Fragen Sie lieber, was ich noch nicht habe? Genug habe ich jedenfalls und ich verziehe mich jetzt dahin, wo das Buffet aufgeschlagen ist. Dort weiß man wenigstens, wofür man sein Geld hergiebt, und sitzt in Sicherheit. Gehen Sie mit?“

Ja, man ging mit, zu Emmys stiller Erleichterung, und bald fand man zwischen mächtigen Orangenkübeln ein geschütztes Tischchen, an dem nur ein einsamer Gast saß.

Der berühmte Heldentenor der Hofoper trat in weißer Konditortracht heran, um zu fragen, was die Herrschaften befehlen, dann brachte er das bestellte Eis mit tadelloser Grandezza. Niemals zuvor hatte Emmy „Vanille und Erdbeer“ mit solchem Hochgefühl geschlürft! Der Medizinalrath saß, seiner Pakete entledigt, behaglich da und sah in das rastlose Menschengewühl hinaus.

„’S ist doch nur ein großer Schwindel,“ bemerkte er plötzlich. „Man will sich vergnügen, sucht aber dabei sein Gewissen zu beschwichtigen und den Nebenmenschen heuchlerisch Sand in die Augen zu streuen.“

„Sagen Sie das nicht,“ fiel Emmy lebhaft ein. „Ich habe mich so gefreut über die allgemeine Opferwilligkeit und hoffe, es soll etwas Tüchtiges für die Ueberschwemmten dabei herauskommen.“

„Wissen Sie auch, wie ungeheuer die Wunde ist, die man hier mit einem kleinen bunten Fleckchen zukleben will?“

„Wenn jede Stadt in demselben Maßstabe ihre Schuldigkeit thut, dann kann das Pflaster am Ende reichen.“

„Liebenswürdige Optimistin!“ lächelte Hoffmann. „Was sagen Sie dazu, Walter?“

„Ich bin mehr Ihrer Ansicht; das Wohlthätigkeitsvergnügen ist mir eigentlich zuwider, weil die Mittel mit dem Zweck in so grellem Widerspruch stehen. Aber hier, wo man erst schenkt und dann wieder kauft, wo soviel Aufopferung zum guten Zweck sichtbar ist, sagt man sich doch, daß mit einer einfachen Sammlung nicht der vierte Theil zusammengekommen wäre.“

„Wie zum Beispiel,“ fügte Emmy belustigt bei, „Herr Medizinalrath Hoffmann in keinem Ladengeschäft diese alte leere Bonbonniere des Erwerbens für werth gefunden hätte.“ Sie hielt ihm die verblichene Seidenschachtel mit den abgerissenen Bändern und dem fragwürdigen Spitzenpapier vor Augen.

Er lachte: „Die hat mir die ausbündige Hexe Lucie aufgehängt, sie sagte, das sei ein reizendes Taschentuchetui für meine Frau. Ich merkte den Schwindel wohl, allein die kleine Schlange sah so allerliebst aus und rollte dabei ihre nichtswürdigen Schelmenaugen, daß ich nicht lange fragte, sondern zehn Mark hinlegte.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1892, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_062.jpg&oldid=- (Version vom 25.2.2019)