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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


Blätter und Blüthen.


Krieg den Vögeln. Das österreichische Abgeordnetenhaus war am 9. Dezember v. J. Zeuge einer sehr merkwürdigen Rede, welche der Minoriten-Rektor Salvadori zum Titel „Ackerbauministerium“ zu halten den Humor besaß. Abgesehen davon, daß der Abgeordnete für Trient seine Kollegen und wohl auch die meisten Wiener mit der Enthüllung überraschte, daß er mitten im Weichbilde der Haupt- und Residenzstadt einen Weingarten besitze, rief er durch eine Philippika gegen das gefiederte Volk der Lüfte bei allen, die seiner Rede zuhörten, eine nicht geringe Verblüffung hervor.

Veranlaßt durch die allerdings traurige Thatsache, daß im vergangenen Sommer sechs Amseln aus dem Volksgarten in die Weinhecken Salvadoris meuchlings eingebrochen waren und daselbst eine reiche Ernte – 80 Kilo Trauben – verwüstet hatten, wirft der solchermaßen in seinem Eigenthum Geschädigte alle Erfahrungen über den Haufen und erklärt die alte Ansicht von der Nützlichkeit der Vögel kurzweg für eine ganz und gar unrichtige. Nach der Ueberzeugung des Herrn Pfarrers sind die gefährlichsten Feinde der Insekten nur wiederum Insekten, nicht aber Vögel – weshalb denn auch sein Antrag in der betreffenden Sitzung auf die Aufhebung des Vogelschutzgesetzes hinzielte.

Die Sache erregte zwar im Hause der Abgeordneten wiederholt Ausbrüche lebhaftester Heiterkeit. Allein daß sie nicht jedermann als harmlos erscheint, beweist eine Erklärung des tirolisch-vorarlbergischen Thierschutzvereins, in welcher sich dieser entschieden gegen den Glauben verwahrt, als ob die Ansicht des Herrn Salvadori in Tirol allgemein getheilt werde. Wie wenig dies der Fall ist, zeigte sich z. B. bei jenen Landgemeinden, welche jüngst aus Besorgniß vor der Verbreitung der Nonne dem Vogelfange energisch entgegengetreten sind. Ueberdies dürfte die Begeisterung für den Vogelfang hauptsächlich auf jene Gegenden beschränkt sein, welche die kleinen Vögel „als Garnierung der Polentaschüsseln“ brauchen, wo dann allerdings auch das Verständniß für den Werth der Vögel im Haushalte der Natur mehr und mehr gesunken ist. Thatsächlich wurde die italienische Regierung schon vor mehr als zwei Jahrzehnten plötzlich auf die traurige Erscheinung aufmerksam, daß die Wälder und Felder immer mehr vereinsamten, daß Gebüsch und Hecken aufhörten, Brut- und Sammelplätze von Vögeln zu sein, daß man stundenlang in gewissen Gegenden wandern konnte, ohne das Gefieder eines Vogels schimmern zu sehen oder die Stimme eines Sängers zu hören. Diese Erkenntniß führte zu einigen Verschärfungen der Gesetze gegen den Vogelfang. Aber sie gaben nicht aus und wurden wohl auch mangelhaft gehandhabt – der Vogelmassenmord steht in Italien und Südtirol noch immer in voller Blüthe.

Eine merkwürdige Naturerscheinung.
Linde mit Adventivwurzeln im Dresdner Großen Garten.


Tausende zarter Thierchen erreichen im Herbste auf ihrer Wanderung nur deshalb ihr Reiseziel nicht, weil sie, nachdem sie die deutschen Wälder verlassen, auf ihrem Zuge in die Hände der Roccolijäger gerathen und hingeschlachtet werden. Es sind darunter nur wenige Schädlinge, fast alle aber Sänger, also Insektenfresser. Kaum kann man es glauben, daß heute noch jemand über den Nutzen der meisten Singvögel in Zweifel sein sollte. Haben doch hundertjährige Beobachtungen gelehrt, daß, ganz abgesehen von der ästhetischen Bedeutung des Vogelschutzes, unsere ganze Land- und Waldwirthschaft mit der Hegung und Pflege der Vögel in innigem Verhältnisse steht. Täglich fallen ganze Heere schädlicher Kerfe und schädlichen Gewürms den Millionen der für sich und ihre Jungen sorgenden Vögel zum Opfer. Der Schreiber dieser Zeilen hat einmal während eines ganzen Tages einen Hausröthling (Erythacus titis) beobachtet und die Nahrung registriert, die der Vogel seinen fünf Jungen zutrug. Das unermüdliche, bis zur Erschöpfung sich abquälende Thierchen flog durchschnittlich alle drei Minuten aus und ein und brachte innerhalb zehn Stunden gegen 200 Stück der verschiedensten Beutethiere in das Nest. Wohl giebt es nicht leicht ein lebhafteres, beweglicheres und im Fangen von Insekten geschickteres Geschöpf als den Hausröthling. Allein wenn wir auch die obige Ziffer beschneiden, um ein Mittelmaß zu erhalten, und an die Millionen von gefiederten Insektenfängern denken, so können wir uns schon daraus eine Vorstellung von der Wichtigkeit des Vogelschutzes machen. Jener Hausröthling trug in seinem Schnabel bald ein Würmchen herbei, bald eine Raupe, bald einen bunten Falter, bald eine Motte – was ihm eben in den Weg kam. Aehnlich machen es alle Sänger. Was zählen dagegen selbst die Verwüstungen der Beeren- und Obstfreunde unter ihnen?

Es giebt ja freilich auch einige Schädlinge unter den Vögeln, Rektor Salvadori aber hat seine Ansichten an einem unglücklichen Beispiele demonstriert. Denn gerade die Gattung, zu der auch jene sechs übermüthigen Amseln gehören, welche in den Weingarten auf dem Wiener Minoriten-Platz eingefallen sind – gerade die Drosseln übertreffen an Nützlichkeit alle anderen Gattungen der großen Sängerfamilie. Vermöge ihrer Größe bedürfen diese Vögel eines sehr reichlichen Futters – und da sie mit wenigen Ausnahmen Insektenfänger sind, so mag man sich vorstellen, was von den 20 Species, welche die Gattung Turdus zählt, an Kerfen alljährlich vertilgt wird. Das dermaßen unglücklich gewählte Beispiel des Trientiner Abgeordneten schützt ihn also davor, mit seinem Namensvetter, dem großen italienischen Ornithologen und Vogelfreunde, Grafen Salvadori, verwechselt zu werden. Und seine Rede gegen die geflügelten Kinder der Lüfte, ohne welche sozusagen unsere Erde finster und stumm wäre, wird hoffentlich nicht dazu beitragen, die wohlthätigen, namentlich in Deutschland und Deutschösterreich verständig gehandhabten Verordnungen und Gesetze des Vogelschutzes zu entkräften.R. F.     

Eine Invalidenunterstützung in der Natur. (Mit Abbildung.) Ein winterlicher Nordweststurm des vorigen Jahres hat den Dresdener „Großen Garten“ durchbraust und zahlreiche Opfer unter den Bäumen des Parkes gefordert. Auch die fast 250jährige Linde, welche unser Bild zeigt, ist dem Orkan erlegen. Lange hat sie sich, obgleich hohl und morsch im Stamm, gegen das Absterben gewehrt und es verstanden, in geheimnißvoller, merkwürdiger Weise ihr Leben zu verlängern; der Sturm legte das Innere des Baumes bloß und offenbarte, wie es kam, daß trotz der inneren Zerstörungen die Aeste im Frühjahr stets neu grünten und duftende Blüthen brachten.

Die Kernfäule hatte den Stamm bis auf eine außerordentlich dünne Rindenschicht verzehrt, die wuchtige Krone bog sich auseinander und an der Gablungsstelle des Stamms entstanden Zerklüftungen; die Wunden bedeckten sich mit sogenannten Callus-Bildungen, wie man sie auch an der Schnittfläche von Stecklingen, bei Veredlungen u. s. w. beobachten kann. Solche Bildungen neigen sehr zur Entwicklung von „Adventivwurzeln“, und dieser Umstand kam auch der Linde zu statten. Die Aeste der Krone entsandten Wurzeln in den vom verrotteten Holzkörper gebildeten und durch eindringendes Schnee- und Regenwasser angefeuchteten Nährboden und machten sich so in Bezug auf ihre Ernährung von den eigentlichen Wurzeln und dem Stamme gewissermaßen unabhängig. Immer tiefer in die Holzerde eindringend, gelangten die neuen Gebilde bis auf den Boden und durch die fauligen Wurzeln in das Erdreich, aus welchem sie als Stellvertreter der letzteren die Baumkrone mit Nahrung versorgten, als das fast gänzlich abgestorbene Zellgewebe in der Weichbastschicht des Stammes seinen Dienst nicht mehr zu erfüllen vermochte. B.     

Wieviel Licht brauchen wir zum Lesen und Schreiben? Wir messen das Licht nach „Normalkerzen“, das heißt wir vergleichen die Stärke einer Lichtquelle mit dem Schein der Flamme einer Normalkerze. In Deutschland gilt als solche eine Paraffinkerze von 20 Millimetern

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_064.jpg&oldid=- (Version vom 1.7.2023)