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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

das gewonnene uns in der Einsicht bestärken muß, Schönes und Großes könne oft mit kleinen Mitteln geschaffen werden, jeder Menschenfreund könne in irgend einer Weise mit beitragen zu der Lösung der edlen Aufgabe, den Schwachen und Sinkenden wieder aufzuhelfen und eine Saat der Liebe zu säen, welche beiden, den Gebenden und Empfangenden, welche der Gesammtheit zum Segen gereichen wird. *     

Etwas mehr Rücksicht! Ab und zu empfängt man neuerdings einen Brief, vorzugsweise von zarter Hand, der scheinbar unfrankiert ist, aber dennoch keinen Strafporto-Vermerk aufweist. Das Räthsel löst sich beim Umwenden: die Schreiberin hat, einer neuen Mode zufolge, die Marke als Siegel rückwärts aufgeklebt, und die Post muß auch solche Frankatur gelten lassen. Wie viel ärgerlichen Zeitverlust aber solche Briefe, wenn sie massenhaft auftreten, den ohnedies vielgeplagten Postbeamten verursachen, daran hat die sonst vielleicht ganz gutmüthige und menschenfreundliche Absenderin nicht gedacht. Wir wollen ihr deshalb hier erklären, daß die schnelle Stempelung und Abfertigung der Briefe einzig darauf beruht, daß dieselben ihre Marke alle an der gleichen Stelle, d. h. rechts oben, tragen. Nur so ist ein maschinenartig schnelles Stempeln und Abwerfen möglich; jeder erst umzudrehende Brief kostet die dreifache Zeit, verzögert also die Stempelung von den andern. Welche ärgerliche Störung eine größere Anzahl der ersteren bei der ohnedies knapp gemessenen Frist der Postabfertigung bedeutet, liegt ja auf der Hand. Mögen dies unsere neuerungslustigen jungen Damen bedenken und danach handeln! Ihre Individualität kann sich in Form und Farbe der Umschläge schrankenlos entfalten: lang oder viereckig, himmelblau oder krebsroth – einerlei, wenn nur die Marke an der richtigen Stelle sitzt, rechts oben! Bn.     

Frau Rosa Sucher. (Zu dem Bilde S. 53.) Zu den künstlerischen Erscheinungen, die seit Jahren während der Bayreuther Festspielzeit die Bewunderung einer aus allen Welttheilen zusammenströmenden Wagnergemeinde an sich ketten, zählt Frau Rosa Sucher. Wer sie vor Monden gelegentlich der letzten Festspielperiode als Venus im „Tannhäuser“ gesehen, wer ihre Isolde kennengelernt hat, der kam sicher unter dem Eindruck ihrer in der Darstellung wie im Gesang gleich ausgezeichneten Leistungen zu der festen Überzeugung: so und nicht anders müssen diese Gestalten ihrem Schöpfer vor Augen geschwebt haben.

Und ihre Brunhild in Wagners „Nibelungentrilogie“ vergißt wohl gleichfalls keiner, dem einmal das Glück zu theil geworden ist, ihr in dieser Rolle zu begegnen. Sie verkörpert so herrlich die Heldenjungfrau, sie prägt so klar den Walkürencharakter aus, ohne jemals die Grenzen des Schönen zu verletzen, und schmettert so hell den Hojotohoruf in die Welt, schwingt so kraftvoll den Speer: ein herzerfreuender Anblick, bei dem man sofort begreift, warum gerade Brunhild der Liebling Wotans geworden ist. – Und einer solchen Darstellung entspricht auch der Gesang. Mag sie nun den Geschwistern Siegmund und Sieglinde den Tod ankündigen oder dem zürnenden Allvater ins Auge sehen und zerschmettert zusammenbrechen unter der Last seines Strafgerichtes, mag sie zujauchzen dem hehren Helden Siegfried oder sich aufbäumen in wildem, verzweiflungsvollem Schmerz über den an ihr verübten Verrath; mag sie ahnend verweilen bei der Lösung ihres Lebensräthsels oder ins Flammenmeer sich stürzen, um im Tode dem anzugehören, der einst sie aus dem Feuerschlaf furchtfrei geweckt. In allen diesen Scenen hält sie Auge und Ohr in einer Spannung, die sich nicht beschreiben, nur empfinden läßt. Den dramatischen Accent meisterlich beherrschend, fesselt sie gleichzeitig durch den Wohllaut und die ausgeglichene Schönheit ihres Stimmmaterials.

So erblickt sie denn auch in den Wagnerschen Frauengestalten das Ideal ihrer Kunst; ihnen von der Bühne herab zu vollem dramatischen Leben zu verhelfen, gilt ihr als höchste Aufgabe. Trotzalledem widmet sie auch den Werken der älteren Meister warmen Antheil. Wie versteht sie es z. B., Glucks „Armide“ mit allem Zauber der Erscheinung, mit vollendeter Gesangstechnik zu vermitteln! Warum auch sollte sie, die mit allem ausgerüstet ist, was Mozart, Weber, Beethoven, Gluck von einer dramatischen Künstlerin verlangen, ihr Pfund vergraben und einer Einseitigkeit zuneigen, bei der sich nur ein Theil ihres reichen Talentes entfalten könnte?

Mit der Größe ihrer natürlichen Begabung verbindet sie meisterhaften Fleiß und echte Begeisterung für ihren Beruf, ihr außerordentlich rollenreiches Repertoire giebt darüber den bündigsten Aufschluß.

Geboren zu Vellburg (Oberpfalz) als die Tochter des dortigen Chorregenten Hasselbeck, fand sie frühzeitig Gelegenheit, ihr Gesangstalent leuchten zu lassen; in München erfuhr es nach des Vaters Tod seit 1871 gründlichere Ausbildung, die ihr das Auftreten auf der Bühne ermöglichte.

Frau Rosa Sucher ist seit einigen Jahren eine der gefeiertsten Zierden der Berliner Hofoper; die Leipziger Bühne, der sie als Fräulein Hasselbeck jahrelang unter der Direktion Förster-Neumann angehörte, sollte auch ihr, wie so mancher andern Kraft, zur Wiege des Ruhmes werden. Als Gattin Jos. Suchers, des geistvollen Dirigenten, Komponisten und glühenden Wagnerverehrers wurde sie mehr und mehr vertraut mit den Geheimnissen des Wagnerschen Musikdramas. Nach mehrjährigem Wirken an der Hamburger Oper folgte sie einem ehrenvollen Ruf nach Berlin. Möge sie noch lange als auserwählte Priesterin des dramatischen Gesangs zum Entzücken der Kunstfreunde ihres Amtes walten! Bernhard Vogel.     

Einrichtungen zur Erleichterung des Fremdenverkehrs. Zwei bemerkenswerthe Neuerungen zur Bequemlichkeit des reisenden Publikums hat die französische Nordbahn auf ihrem Pariser Bahnhofe ins Leben gerufen; es sind dies ein Schreibsaal und eine Aufbewahrungsstelle für gekaufte Gegenstände. In dem ersteren findet der Reisende alles zum Schreiben Erforderliche vor, ausgenommen Papier und Briefumschläge, welche er aus einem im Saale aufgestellten automatischen Verkäufer entnehmen kann. Dieser liefert auf Wunsch auch Postmarken und Postkarten.

Die Aufbewahrungsstelle scheint eigens für die Frauenwelt geschaffen zu sein und wird namentlich jenen zahlreichen Wallfahrerinnen zugute kommen, welche regelmäßig vor Beginn der „Saison“ kisten-, kasten- und schachtelbeladen die von der tonangebenden Modestadt abgehenden Eisenbahnzüge zu füllen pflegen. Hat man nämlich in einem größeren Geschäfte seine Einkäufe besorgt, so giebt man dem Verkäufer die Absicht kund, mit der Nordbahn zurück- oder weiterzufahren. Man erhält dann einfach eine Marke, zeigt diese vor der Abfahrt bei der Aufbewahrungsstelle auf dem Bahnhofe vor und bekommt nun dort seine Sachen, wohl verpackt, ausgehändigt. Der Preis für diese Mühewaltung der Bahn ist ein äußerst geringer; er beträgt nur zwei Sous für den Tag und für ein Paket; bei mehreren Paketen sogar nur einen Sou für das Stück.

Unter Tannen und Farren. Das liebliche Thüringen hat viele eifrige Verehrer. Wiederum hat August Trinius, der Verfasser eines größeren Werkes über jenes Land, ihm ein begeistertes Loblied angestimmt in einer kleinen Schrift, welche den obigen Titel führt und „Skizzen aus dem Thüringer Wald“ enthält (Berlin, Hans Lüstenöder). Es ist darin ein herzlicher warmer Ton angeschlagen; die Schilderungen haben etwas Anheimelndes, manche gemahnen wie stimmungsvolle Lieder in Prosa. Einiges von dem, was der Verfasser eingehend schildert, ist den Lesern der „Gartenlaube“ nicht fremd. Besonders was er über die Thüringische Puppenindustrie sagt, ist denselben aus dem Aufsatz „Aus den Geheimnissen der Puppentoilette“ (Jahrgang 1888, S. 15) großentheils bekannt. Unser Blatt ist ja auch seit allen Zeiten in jenen Gegenden besonders heimisch, und wo Trinius ein Stillleben aus Hildburghausen schildert, erwähnt er nicht nur den traulichen Sitz am Hause, von Pfeifenkraut und Geißblatt überwuchert und mit den Lieblingsblumen der Hausfrau umstellt, sondern auch die „Gartenlaube" im gelben Umschlage, die auf dem Tische neben dem blinkenden Kaffeegeschirr am Morgen zwischen Handarbeiten und dem Schlüsselkorbe liegt.

Der Verfasser wandert in das Frankenland hinüber über den Rennstieg, der für die meisten norddeutschen Touristen die Grenze ihrer Wanderschaft bildet. Und dies Franken schildert er als ein schönes, ein glückliches Land voll lachender Anmuth, ein fröhliches, sangeslustiges Land:

„Und wenn die Menschen verstummen, dann trillert’s und rollt’s und lockt’s von allen Fenstern herab, aus jedem Hause, aus den tausendfachen Kehlen einer befiederten Sängerwelt. Wohl sind die Zeiten vorüber, wo manch’ unbemittelter Waldbewohner seine beste Kuh für einen Edelfinken hingab, die Leidenschaft mäßigte sich eben zur Liebhaberei, aber noch heute tritt der Fabrikarbeiter in der Werkstatt jenseit des Rennstiegs am Montag Morgen mit dem Käfig unterm Arm zur Arbeit an, um während der Woche seinem Liebling vor sich draußen am Fenster ein Plätzchen einzuräumen und stillvergnügt ihm zuzulauschen. Zu der Liebhaberei der Vögel gesellt sich noch ein schöner Kultus der Blumen. Wie oft erblickt man ein niedriges Schubfensterchen mit blinden Scheiben, vom Sturm halb zerschlagen, aber blühende Nelken grüßen freundlich dahinter und im Bauer zwitschert ein leichtsinniges Kind des grünen Waldes. Nelken, Levkojen und Rosmarin stehen überall in hohen Ehren.“

Auch mancherlei geschichtliche Kunde, namentlich von den Burgen der Grafschaft Hennegau, berichtet Trinius und manche Sage erzählt er z. B. aus dem industriereichen Lautergrund, in welchem das „lustige Suhl“, das deutsche Damaskus mit seinen Waffenfabriken, sich ausbreitet. Dort, wo nahe der Schmücke, tausend Fuß jäh herunter, an der Lauter das Dorf Goldlauter liegt mit seinen rothen Dächern, da erzählt man sich in den Spinnstuben eine alte Geschichte:

„Die Hochzeitglocken klangen durch Goldlauter und drüben in einem kleinen Hause stand im bräutlichen Schmuck, den Kranz im Haar, die Schönste des Dorfes, welche nun bald dem ungeliebten, ihr aufgedrungenen Mann folgen sollte. Da kam ein Weh über sie und heiße Thränen entfielen ihren Augen. Als nun die Glocken zum zweiten Male läuteten und auf dem Hausflur der lärmende Troß der geladenen Gäste und dazwischen die triumphierende Stimme des Bräutigams laut wurden, da schlich sie sacht aus der Hinterthür in den anstoßenden Garten, um noch einmal Abschied zu nehmen von all den stillen Zeugen ihrer frohen Jugend. Und siehe da – ein freundlicher Mann trat ihr entgegen und faßte sie sanft bei der Hand und willenlos ließ sie sich leiten, von Blume zu Blume, von Garten zu Garten. Und als der Abend sich ins Thal senkte, da standen sie wieder an der Gartenthür des elterlichen Hauses. Sie aber wandte sich noch einmal um und erblickte jetzt eine hohe, hehre Lichtgestalt, welche mit der Hand freundlich winkte und dann verschwand. Sie pochte nun an die Thür; fremde Gesichter zeigten sich; sie ging herab ins Dorf, frug hier und sprach dort ein. Niemand kannte sie, niemand vermochte Auskunft zu geben, und als man endlich die alten Kirchenbücher nachschlug, siehe, da waren hundert Jahre seit jenem Tage vergangen. Da wußte sie, daß es der Heiland gewesen sei, welcher ihr erschienen, und sie sank lächelnd tot darnieder. So hat man sie begraben, im zerknitterten Brautkleide und auf dem Silberhaar die welke Myrthenkrone.“ †     

Die hydraulische Presse bei Thieren. Durch die rastlosen Untersuchungen der Zoologen ist uns heute ein tieferer Einblick in das geheimnißvolle Walten der uns umgebenden Welt der kleineren Thiere und namentlich das der Insekten gestattet, als dies jemals der Fall war. Viele wechselseitige Beziehungen dieser kleinen Lebewesen sowohl unter sich wie auch zu der ihrer harrenden Pflanzenwelt wurden der sorgfältigsten Beobachtung unterworfen, und je mehr der Schleier sich lüftete, der seither alle diese wunderbaren Rätsel vor unseren Augen verbarg, um so mehr wuchs auch das Interesse des größeren gebildeten Publikums an den Fortschritten dieser Wissenschaft. Wir berichten heute über eine neue Erforschung auf diesem Gebiet, die sicher die Bewunderung der Naturfreunde verdient.

Es ist bekannt, daß Algier vor einigen Jahren von einer Heuschreckenüberschwemmung heimgesucht wurde, der zufolge sich fast die ganze Provinz der Gefahr einer Hungersnoth ausgesetzt sah. Die französische

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_066.jpg&oldid=- (Version vom 1.7.2023)