Seite:Die Gartenlaube (1892) 079.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

führte und ohne die unbequeme Einmischung der Gerichte auch wohl noch lange weitergeführt hätte. Der Gatte dieser so hochbegabten Frau fristete indessen sein mühevolles Dasein durch schwere Handarbeit, die ihn oft auf Wochen vom Hause fernhielt, und es ist ihm außer der schier allzugroßen Fügsamkeit, mit der er das Los, der Mann einer berühmten Frau zu sein, über sich ergehen ließ, nichts nachgewiesen worden, was ihn einer bewußten Theilnahme an den Betrügereien der letzteren verdächtig machte. Er war eben ein Gläubiger wie die andern auch.

Nicht so ganz läßt sich dies von einem heruntergekommenen Handlungskommis Namens Marschall behaupten, der sich gewissermaßen als Zauberlehrling in den Dienst der Straub gestellt hatte, ohne in dieser Stellung von dem skeptischen Gericht anerkannt zu werden. Er nannte sich den „engagierten Korrespondenten unserer Walburga“ – auf diesen klangvollen Namen hörte die Zauberin – begleitete sie auf ihren Beschwörungsexpeditionen, warb neue Anhänger und bestätigte und verbreitete ihren Ruf mit allen Mitteln einer im Verhältniß zu anderen Leistungen dieser Art allerdings recht bescheidenen Reklame. Kurz, er war der Jason dieser Medea, ein umgekehrter Jason freilich, insofern er im Gegensatz zu seinem klassischen Vorbild Weib und Kind im Stich ließ, um sich ganz der Schwarzkünstlerin zuzuwenden. Daß die so Verlassene ihr Schicksal nicht nur geduldig ertrug, sondern sogar selbst eine treue Anhängerin der neuen Lehre wurde, ist vielleicht eine der stärksten Kraftproben, die der weibliche Aberglaube je siegreich bestanden hat.

Kommen wir nun zu den Mitteln, durch welche die Straub solche Macht auf die Gemüther ihrer Nebenmenschen ausübte, so überrascht uns zunächst deren Einfachheit, andererseits aber auch die von modernen Einflüssen nicht ganz freie Schlauheit, mit der die Betrügerin den naiv religiösen Sinn ihrer Opfer zugleich mit deren Habsucht in raffinierter Weise ausbeutete und so die edelsten wie die niedrigsten Triebe der Menschennatur in den Kreis ihrer Berechnungen zog. Die Straub besaß nämlich nach ihrer Angabe die Kraft, arme Seelen zu erlösen; dadurch wurden verborgene, von den einstigen Besitzern jener Seelen unrecht erworbene Schätze frei, die sodann ihr und allen, die sich an dem verdienstvollen Werke betheiligt hatten, zufielen. Bereits früher hatte sie diese Kraft an einem Bischof, dem sie bescheidenerweise ihren eigenen Familiennamen beilegte, mit solchem Erfolge erprobt, daß ihr der von jahrhundertelanger Qual Erlöste nunmehr zum Dank bei allen ihren Unternehmungen mit Rath und That zu Diensten war, sie über alle überirdischen Vorgänge, speziell die Ankunft erlösungsbedürftiger Seelen und den Aufbewahrungsort ihrer unterirdischen Depots auf dem Laufenden erhielt und ihr im Kampf mit den Teufeln, die jene bewachten, beistand. Aber auch aus eigener Kraft war sie imstande, die Seelen Verstorbener zu beschwören, um sich von ihnen Auskunft über alles Wissenswerthe in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ertheilen zu lassen. Diese Mittheilungen aus der Geisterwelt erhielt sie durch sogenannte „Ewigkeitsbriefe“, die sie selbst unter höherer Eingebung schrieb und von denen, trotz des strengen Verbots sofortiger Vernichtung, noch einige Exemplare für den Gerichtstisch beigebracht werden konnten. Dieselben enthielten Mahnungen an die Gläubigen zu treuem Ausharren, Warnung vor falschen, der Betrügerin nachtheiligen Gerüchten und Widerlegung derselben mit starken Ausfällen gegen die vermuthlichen Urheber und endlich Versprechungen reichen, zehn- und hundertfachen Ersatzes für alle dem guten Werk gewidmeten Beiträge, welche die Straub nie direkt, sondern stets nur auf diesem Weg eintrieb. Bei der Abfassung dieser Briefe, welche meist in Gegenwart der Adressaten stattfand, verfuhr sie folgendermaßen: sie legte ein unbeschriebenes Blatt Papier auf den Tisch, betete über demselben und besprengte es so lange mit Weihwasser, bis das Papier unter ihrer Hand sich bewegte, worauf sie, angeblich unbewußt von diesen Bewegungen geleitet, mit dem Bleistift in krausen Zügen niederschrieb, was ihr die Geister mitzutheilen hatten.

Dieser Vorgang zeigt eine überraschende Aehnlichkeit mit gewissen spiritistischen Experimenten, wie sie die Herren Slade und Genossen ihrem Publikum vorführten, wie denn auch die so entstandenen Schriftstücke vom orthographischen und grammatikalischen Standpunkt dieselbe naive Unbeholfenheit aufweisen, durch die sich die auf spiritistischem Weg gewonnenen Kundgebungen aus der Geisterwelt oder der vierten Dimension allgemein auszeichnen.

Wenn sich nun für letztere, trotz ihrer offenkundigen Mängel, eine Anzahl gläubiger Verehrer aus den Kreisen der sogenannten gebildeten Stände, ja selbst der Gelehrtenwelt gefunden hat und noch findet, so darf man sich kaum wundern, wenn der Eindruck dieser „Ewigkeitsbriefe“ auf die einfachen Landbewohner ein so großer und nachhaltiger war, daß er selbst vor Gericht nicht ganz überwunden werden konnte und die Angaben vieler Zeugen lähmend beeinflußte.

Die Schätze, um die es sich hier handelte, lagen an den verschiedensten Orten des politisch so vielgetheilten Seeufers, in Bayern, Württemberg, Baden, Oesterreich und der Schweiz zerstreut, meist klaftertief unter der Erde, und es bedurfte zu ihrer Hebung oft größerer Reisen, deren Kosten selbstverständlich die Gläubigen als eine Art Vorschuß zu tragen hatten. Die Straub führte ihre Anhänger zur Nachtzeit in Wälder und an einsame Kreuzwege, hieß sie dort niederknieen und beten, während sie selbst sich zum Kampf mit dem Teufel aufmachte, von dem sie stets mit zerzausten Kleidern und Haaren ganz erschöpft zurückkam, der aber immer ein wenn auch langsames Fortschreiten des Erlösungswerks und ein dementsprechendes Steigen des Schatzes bedeutete. Furchtbar waren die Gefahren, die sie da zu bestehen hatte. So wurde sie einmal, nach ihrem eigenen Bericht, von dem Teufel in eine Höhle geschleppt und dort auf eine Art Metzgerbank gelegt, worauf mindestens 150 andere Teufel mit aufgekrempelten Aermeln auf sie zustürzten, als ob sie an ihr jenes Opfer vollziehen wollten, dem man sonst an ländlichen Fest- und Kirchweihtagen nur friedliche Hausthiere, wenn sie einen gewissen Nährungsgrad erreicht haben, auszusetzen pflegt.

Soweit ließ es indeß der „himmlische Bischof“ nicht kommen, der im Augenblick der höchsten Noth plötzlich auftauchte und die feigen Teufel in die Flucht schlug. Solchen Berichten lauschten die Anhänger schreckensbleich mit gesträubten Haaren, und obwohl sie von dem Schatz selbst, um den solch heroischer Kampf geführt wurde, nie etwas zu sehen bekamen, gingen sie doch stets neugestärkt in ihrem Glauben von dannen.

Mit der Sichtbarkeit dieser Schätze hatte es überhaupt eine eigenthümliche Bewandtniß. Sie erschienen, wenn sie überhaupt erschienen, zunächst – und hier zeigt sich ein fast rührender Anklang an das alte Volksmärchen – in Gestalt von Papierschnitzeln, Asche, Erde und verwandelten sich erst später, wenn die Seelen völlig erlöst waren, in richtiges, „pures Gold“.

Daher mußte das Erlösungswerk auch zu Haus wacker fortgesetzt werden, und dies geschah durch das sogenannte „strenge Leben“, zu dem die Meisterin ihre Gemeinde von Zeit zu Zeit zusammenberief.

Diese Versammlungen fanden meist im Keller bei brennenden Kerzen statt und wurden unter Fasten und Beten drei Tage lang fortgesetzt. Die Theilnehmer mußten frische Kleider und Wäsche anziehen, sie durften weder miteinander sprechen, noch sich gegenseitig ansehen, und wenn der sogenannte „Abwart“ die aus Wasser und Brot bestehende Fastenkost brachte, hatten sie hinter eine aufgespannte Leinwand zu treten, um von ihm nicht gesehen zu werden. Auf dieser Leinwand zeigten sich der Straub geheimnißvolle Erscheinungen, die den anderen unsichtbar blieben. Zum Ersatz wurden diese dann wieder, und zwar stets in Abwesenheit der Meisterin, durch Besuche des Teufels erschreckt, welcher als ungebetener Gast in den verschiedensten Gestalten, bald als feuerspeiender Hund, bald als auf den Hinterbeinen gehender Geißbock mit vielen Schwänzchen am Leib, in der Versammlung erschien und sich seiner Gewohnheit gemäß höchst unflätig aufführte. Auf dem Boden war ein Tuch ausgebreitet, auf dem der Schatz erscheinen sollte, und alle Theilnehmer hielten auf ihrer Brust Tücher bereit, um ihn auf einen Wink der Meisterin damit zu bedecken. Leider blieb aber gerade diese von allen mit großer Spannung erwartete Erscheinung stets aus, das Werk war eben noch nicht vollendet, es fehlte immer noch etwas. Nach dem „strengen Leben“ folgte regelmäßig das lustige, wobei man gemeinsam schmauste und zechte.

Um ihr Ansehen bei der Gemeinde zu erhöhen, rühmte sich die Straub neben ihren Beziehungen zur Geisterwelt auch solcher zu hohen Persönlichkeiten, insbesondere zu Mitgliedern der bayerischen Königsfamilie, an die sie „ihr Bischof“ empfohlen habe, damit sie die Krankheit des Königs heile. Um diese Angabe glaubhafter zu machen, veranlaßte sie einen ihrer Anhänger, sie auf einer

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_079.jpg&oldid=- (Version vom 4.4.2024)