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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Fahrt nach Wasserburg zu begleiten, wo sie von einem Diener der Königin-Mutter mit einer Botschaft erwartet werde. Das selbstverständliche Ausbleiben dieses Dieners wurde durch einen „Ewigkeitsbrief“ erklärt, den sie dem Begleiter ins Notizbuch schrieb, und um diesem jeden Rest eines Zweifels zu benehmen, gab sie später in Lindau einen eingeschriebenen Brief „An Ihre Königliche Hoheit, Maria Theresia in München“ zur Post. Der vorgezeigte Postschein überzeugte denn auch ihren Begleiter so völlig, daß er freudig das Porto und die Reisespesen bezahlte und fürder nie mehr den geringsten Zweifel in die hohen Bekanntschaften der Straub setzte.

Das Stärkste jedoch, was diese in frecher Ausbeutung der Leichtgläubigkeit ihrer Opfer leistete, waren die sogenannten „Teufelsverblendungen“, eine Erfindung, durch welche sie auch jenen, welche durch bloße überirdische Zurede zu keiner oder doch nur zu einer unzulänglichen Gabe zu bewegen waren, das Geld jederzeit nach Belieben aus dem Kasten stahl, ohne je den Verdacht der so Bestohlenen auf sich zu lenken, indem sie die That einfach dem Teufel zuschob, der das Geld „geblendet“, d. h. unsichtbar gemacht habe; dasselbe, so prophezeite sie, werde nach einiger Zeit wiedererscheinen, eine Prophezeiung, die leider nie eintraf.

Ja sie ging soweit, solche teuflische Tücken sogar für einige Zeit vorherzusagen und die bedrohten Truhen und Schränke zu weihen, ein Schutzmittel, das sich gleichfalls erfolglos erwies. Den Höhepunkt erreichte ihre Seherkraft jedoch, wenn sie derartige Verluste den Betroffenen ankündigte, ehe diese sie überhaupt noch bemerkt hatten. Mit Recht mischte sich in solchem Fall in den Schmerz der Bestohlenen ein Gefühl andächtiger Bewunderung für die rückwärtsblickende Prophetin, die sich bei ihren Angaben auch nie um eines Pfennigs Werth getäuscht hatte.

Die Einnahmen, welche sich die Betrügerin auf diesem Weg zu verschaffen wußte, beliefen sich, ungerechnet den Werth der regelmäßig gelieferten Naturalien, Kleider, Wäsche und Hausgeräthe, sowie das auf Reisen verbrauchte Geld, auf viele hundert Mark, eine Summe, die, wenn man die Dürftigkeit der Beschädigten in Betracht zieht, immerhin nicht unbedeutend ist. Außerdem befand sie sich im Besitz einer Schuldverschreibung über 4000 Mark, die ihr der Eingangs erwähnte Rheumatiker zum Zweck eines Hauskaufs unter der Bedingung verschrieben hatte, daß sie ihm auch fernerhin und bis zu seinem Tod mit ihrer wunderthätigen Kraft beistehe. Die Unanfechtbarkeit dieser Forderung hat der von seinem Gliederschmerz offenbar noch nicht Geheilte vor Gericht ausdrücklich anerkannt, obgleich die daran geknüpfte Bedingung zunächst wenigstens für einige Zeit unerfüllt bleiben dürfte. Denn der Gerichtshof war grausam genug, die Prophetin sammt ihrem Agenten, trotz der von beiden behaupteten bona fides, d. h. trotz der Ausrede, es sei ihnen mit der Sache vollkommen Ernst gewesen und sie hätten nichts Böses dabei gedacht, trotz der durch die Befangenheit einzelner Zeugen erschwerten Beweisaufnahme zu einer längeren Gefängnißstrafe zu verurtheilen und die Vollendung des begonnenen Erlösungswerks so vieler armer Seelen zum großen Schmerz der betrogenen, aber in ihrem Glauben keineswegs erschütterten Schatzgräber wieder um eine geraume Zeit hinauszuschieben. C. Hecker.     


Ein deutscher Volksschauspieler.

Ludwig Martinelli.
Mit Abbildungen Seite 69. Nach Photographien aus dem Atelier Krziwanek in Wien.

Der Jahrhunderte alte Ruhm des volksthümlichen Theaters in Wien ist dem glücklichen Zusammenwirken empfänglicher Zuschauer, berufener Dichter und geistesverwandter Darsteller zu danken. Der erste, weitberühmte Wiener „Hanswurst“, Stranitzky, legte sich selbst die Possenrollen zurecht, in welchen er seine Zeitgenossen entzückte. Und zwei Beherrscher der Wiener Volksbühne in unserem Jahrhundert, Raimund und Nestroy, verstanden es, gleichzeitig als Autoren und Darsteller die Herzen ihrer Landsleute zu gewinnen. Der geniale Volksdramatiker Neu-Oesterreichs, Ludwig Anzengruber, hätte ebenfalls seine Gestalten am liebsten selbst auf der Bühne vergegenwärtigt. Von seinem 20. bis 25. Lebensjahre versuchte er sich als Schauspieler unter Widerwärtigkeiten, die er in der Plauderei „Eine Erholungsreise“ wehmüthig und erschütternd geschildert hat. Blieb es ihm aber auch versagt, als Musterdarsteller seines Wurzelsepp, Meineidbauer, Steinklopferhanns so siegreich hervorzutreten, wie das Ferdinand Raimund als Valentin, Wurzel und Rappelkopf gelang, so war ihm dafür das Glück beschieden, in Ludwig Martinelli einen Mann ganz nach seinem Herzen zu finden, der seine Charaktere so schlicht, wahrhaftig und künstlerisch vollendet spielte, daß der Poet wiederholt erklärte, glaubhafter und überzeugender hätte er selbst seine Gestalten nicht veranschaulichen können.

Martinelli, geb. 9. August 1833 zu Linz, ist der Sohn eines tüchtigen Dekorationsmalers und einer begabten Schauspielerin. Der Geist des Vaters äußerte sich schon in Zeichenversuchen des fünfjährigen Sohnes; kein Wunder, daß die Eltern den Jungen für einen geborenen Maler hielten! Sie schickten den Knaben nach Wien an die Malerschule Waldmüllers; indessen nach dem vorzeitigen Tode des Vaters mußten diese Studien abgebrochen werden. Als Neunzehnjähriger kam Martinelli zum Innsbrucker Direktor Lippert als Dekorationsmaler. Und hier „gefiel sich der Zufall, bekanntlich der beste Polizist, in der Rolle des Notarius, die ihm mit einmal die Erbschaft des mütterlichen Talentes aushändigte und ihn zum Schauspieler machte.“ Mit anderen Musensöhnen kneipte Martinelli allabendlich in einem Künstlerkränzchen; als sich nun eines Abends in der Weinstube ein friedlicher Streit um den Vorrang der Künste erhob, bekämpfte der junge Dekorationsmaler die Meinung der Schauspieler, daß ihr Beruf der schwerste sei; ja er blieb nicht dabei stehen, sondern wettete zehn Flaschen Tiroler Rothen, innerhalb einer Woche den Beweis dafür erbringen zu wollen, daß die Schauspielerei die am leichtesten zu bewältigende aller Künste sei. Der Handel galt. Nach acht Tagen spielte Martinelli auf der Innsbrucker Bühne den Tratschmirl im „Tritsch-Tratsch“, einer damals beliebten Posse von Nestroy, und zwar mit durchschlagendem Erfolg. Tags darauf lud er die Kameraden, die gegen ihn gewettet hatten, in sein Atelier. Da lag der halbausgeführte Prospekt einer Gartendekoration, Farbentöpfe, Pinsel, Palette waren zur Stelle. „So, jetzt malt!“ Keine Frage: Martinelli hatte seine Wette gewonnen und mit ihr – seinen eigentlichen Lebensberuf. Es trieb ihn unwiderstehlich zur Kunst der Mutter; das Erbe des Vaters aber, seine malerische Begabung, stellte er fortan in den Dienst seiner außerordentlichen Fähigkeit, Trachten, Charakterköpfe und Bühnenbilder mit seinem Geschmack zu vergegenwärtigen.

Wie ein fahrender Schüler, in weiten Pumphosen, großem Kalabreserhut, Joppe ohne Weste, den Stock in der Hand, den Rucksack aus dem Rücken, wanderte er zunächst nach München, wohin der Innsbrucker Souffleur ihn empfohlen hatte. Als er sich in seinem etwas absonderlichen Aufzug dem Direktor des Vorstadttheaters in der Au vorstellte, hielt ihn dieser eher für einen Gymnastiker, Hundedresseur oder Feuerfresser als für einen Mimen; indessen als vorsichtiger Geschäftsmann, der gelegentlich wohl auch einen „Artisten“ brauchen kann, fragte er Martinelli: „Alsdann, was arbeiten Sie eigentlich?“ Nun erwies unser junger Freund die Eigenart seiner Arbeitskraft in den Jahren 1857-60 in München so nachdrücklich, daß er für die nächsten vier Jahre als Charakterkomiker, Regisseur und Geschäftsleiter an das Große Theater nach Amsterdam geladen wurde. In seinen Mußestunden malte er dort gute Aquarelle, Architektur- und Grachten-Veduten; sein Entwurf zur inneren Dekoration des „Palais voor Volksflit“ wurde mit dem ersten Preis gekrönt. So schien seine Laufbahn in schönstem Ansteigen begriffen, als er schwer krank, stimmkrank wurde; sein Organ nahm argen Schaden, und erst nach Monaten konnte er wieder eine Anstellung bei Direktor Kreidig in Graz antreten. Neun Jahre lang blieb er in der Murstadt, nicht nur als erklärter Liebling aller Zuschauer, sondern auch als Freund und Führer aller Genossen; er erwarb sich einen solch hochgeachteten Namen, daß Laube ihn an das Burgtheater berief. Freilich konnte er, durch ältere Verpflichtungen gebunden, dieser Ladung damals nicht sofort entsprechen, und nach Laubes Sturz kam die Sache nicht weiter zur Sprache.

Die Verehrer des Volksschauspiels werden diese Wendung der Dinge nicht beklagen. Als Charakterdarsteller im hochdeutschen Schauspiel hätte Martinelli viele neben, manche über sich gehabt. Im mundartlichen Volksschauspiel war und ist er schlechtweg einzig und unvergleichlich. Seiner italienischen Abstammung dankt er, wie Girardi, die angeborene Beweglichkeit und Geschmeidigkeit, seinen Lehrjahren als Maler eine Technik der Maske, die er, von der Natur mit einem Charakterkopf von seltener Ausdrucksfähigkeit beschenkt, unablässig geübt und vervollkommnet hat. Ueber seiner jahrzehntelangen Thätigkeit als Komiker der größten Theater Deutschösterreichs hat er den steten, lebendigen Verkehr mit dem Volke niemals vernachlässigt. Martinelli kennt das Leben der Aelpler, der Köhler und Wegmacher, der Jäger und Pascher aus eigener scharfer Beobachtung so gut wie Rosegger. Und zu all diesen Gaben, Beobachtungen und Studien der Natur gesellt sich eine große Gewissenhaftigkeit, die nur der Wahrhaftigkeit nachstrebt und jede unbewußte Selbstgefälligkeit, geschweige ein bewußtes Buhlen um Beifall, stolz, fast trotzig abweist. Martinelli stimmt z. B. die Liedeln des Steinklopferhanns genau so an wie ein alter Mann im Wirthshaus das thun würde: er singt mehr in sich hinein als zur Zuschauermenge heraus, immer nur auf des Dichters Absicht, nie auf das Klatschen der Leute im Publikum bedacht.

Solche Anlage und solche Auffassung mußten ihm vor allem als Anzengruber-Darsteller zugute kommen. So unübertroffen Martinelli in Nestroys satirischen und Raimunds gemüthlichen Wiener Charakteren, so trefflich er als lustiger Patron, als Schwätzer und Spötter, als Biedermann und Ränkeschmied in den älteren Lokalstücken sich bewährte: sein Eigenstes und Bestes brachte er doch als Meineidbauer, als Steinklopferhanns, als Grillhofer (im „G'wissenswurm“), als Hubmayr (im „Fleck auf der Ehr’“). Wenn

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 80. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_080.jpg&oldid=- (Version vom 4.4.2024)