Seite:Die Gartenlaube (1892) 093.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Drahtende eines jeden Elektromagneten führt zu je einer Metallfeder, welche durch das Anschlagen der Taste die Schließung der Batterie, unter gleichzeitiger Einschaltung der Stromunterbrecher, herbeiführt.

Jene Stromunterbrecher, als welche der Erfinder anfänglich Stimmgabeln, dann aber mit vortrefflichem Erfolge Mikrophone verwendet hat, sind nothwendig, damit die Saiten an dem Elektromagneten unter der Einwirkung des Stromes nicht haften bleiben, sondern wieder abgestoßen werden. Das eingestrichene a schwingt in der Sekunde 440, das zweigestrichene a 880 und das dreigestrichene a 1760 mal. Wird das dreigestrichene a angeschlagen, so muß also der Strom 1760 mal unterbrochen werden.

In dem Augenblicke, wo nun das vorerwähnte Pedal niedergedrückt und eine Taste angeschlagen wird, fließt ein Strom durch die Umwindungen des zugehörigen Elektromagneten und durch die Mikrophone; diese unterbrechen den Strom ebenso oft, wie die Saite Schwingungen macht, und dieser schwingende Zustand der Saite kann solange angehalten werden, als die Taste niedergehalten wird: so klingt der Ton in gleichmäßiger Stärke beliebig lange fort. Drückt man die Taste nur mäßig nieder, fließt also weniger Strom zu den Elektromagneten, so tönt die Saite leise, um aber stärker und stärker anzuschwellen, je tiefer die Taste herabgedrückt wird und je kräftiger der Strom wirkt.

Die Mikrophone ruhen auf einem dünnen Brettchen über den Saiten, sie könnten aber ebenso gut unmittelbar auf oder unter dem Resonanzboden angebracht werden.

Werden nun zwei oder mehrere Tasten angeschlagen, so theilt sich der Batteriestrom in ebenso viele Zweigströme, welche durch die zu den betreffenden Saiten gehörigen Elektromagnete und Stromunterbrecher fließen und daher nach dem Verhältniß ihrer Verzweigung schwächer werden. Dementsprechend wird auch die Wirkung der Elektromagnete auf die Saiten schwächer und die Tonstärke geringer sein. Um aber beim Anschlagen von Accorden eine unverminderte Tonstärke zu erhalten, ist noch ein besonderes Pedal angebracht, welches beim Niederdrücken die Leiste mit den Elektromagneten den Saiten nähert. Schon eine geringe Annäherung der Elektromagnete an die Saiten genügt, um die Wirkung der ersteren erheblich zu verstärken, da die Anziehungskraft der Elektromagnete im quadratischen Verhältniß zur Entfernung von den Saiten wächst.

Bei der Vorführung der Erfindung in Frankfurt zeigte sich, daß die musikalische Wirkung des elektrophonischen Klaviers eine ganz eigenartige ist. Die gewöhnliche Klangfarbe des Klaviers ist völlig verändert, so daß eigentlich die Bezeichnung als elektrophonisches „Klavier“ nicht ganz zutreffend ist. In den höheren Lagen klingen die Töne ähnlich denen einer vom Winde bewegten Aeolsharfe, in den Mittellagen ähnlich jenen des Cellos und in den tieferen Lagen ähnlich jenen der Orgel und des Harmoniums. Die Vereinigung dieser verschiedenfarbigen Klänge des Instruments ergiebt eine eigenartige, reizvolle Harmonie.

Nicht unerwähnt mag bleiben, daß gleichzeitig elektrisch und mit dem gewöhnlichen Hammerwerk, also gemischt gespielt werden kann. Ebenso ist es möglich, den ganzen elektrischen Apparat völlig außer Thätigkeit zu setzen und einfach wie bisher zu spielen. Auch ist der Apparat an jedem beliebigen Flügel oder Pianino anzubringen, erforderlich sind nur die Elektromagnete, die Mikrophone und eine Batterie von mehreren Elementen welche aber fortfällt, sofern Anschluß an eine elektrische Leitung vorhanden ist.

Was dem Erfinder bei dem elektrophonischen Klavier noch zu thun übrig bleibt, das ist, die Stärke und Modulationsfähigkeit der Töne zu steigern und zu ermöglichen, daß der Spieler den Klangkörper noch mehr wie jetzt beherrschen und seine Empfindung nachdrücklicher in denselben übertragen kann. Aber es steht zu erwarten, daß auch nach diesen Richtungen in kurzem Fortschritte erzielt werden, welche das Instrument zu einem nach unsern Begriffen denkbar vollkommenen erheben.

Jedenfalls handelt es sich um die geniale Lösung eines Problems, welche auf musikalischem Gebiete die bedeutsamsten Nachwirkungen erzeugen dürfte. Zwar behaupten viele, daß unsere gegenwärtigen Flügel und Pianinos das Ausgezeichnetste leisten. Allein dasselbe glaubten auch zu Anfang dieses Jahrhunderts Beethoven und die berühmte Firma Broadwood zu London von den ihrigen. Damals schrieb Beethoven in einem vom 3. Februar 1818 datierten Briefe an jene Firma, daß der ihm geschenkte kostbare Flügel vollkommen sei und ihn zu neuen Inspirationen begeistern werde. Noch jetzt wird jener wenig bekannte Brief von der Firma als ein heiliges Vermächtniß aufbewahrt. Und in unseren Tagen hat sich Hans von Bülow veranlaßt gefunden, in seiner Cottaschen Beethoven-Ausgabe eine Stelle in der As-dur-Sonate (opus 110) umzukomponieren, weil dieselbe nur in Rücksicht auf Beethovens unzureichendes Instrument in solcher verbesserungsbedürftigen Weise habe entstehen können.

Man ersieht aus diesem Beispiele am besten, daß anscheinend Vollkommenes immer durch noch Vollkommeneres ersetzt wird und daß auch auf dem Gebiete der Tastaturinstrumente kein Stillstand stattfinden kann. Fortschritt ist auch auf diesem Felde der Arbeit die einzig gültige Losung.


Neunzig Jahre Männermode.

Von Cornelius Gurlitt.0 Mit Zeichnungen von O. Seyffert.
II.

Unzweifelhaft soll durch die Kleidung der Welt über das Wesen des Trägers Aufschluß gegeben werden. Wenn jemand einen Schlapphut, einen flatternden Schlips, eine Sammetjacke und einen Radmantel trägt, so will er der Welt nicht nur sagen. „Ich gehöre dem Stand der Künstler an!“ sondern auch. „Ich bin ein genialer Mensch!“ Und der eng anliegende Gehrock, der hohe steife Kragen, der sorgfältig gebügelte Cylinder, die Beinkleider mit Stegen sollen nicht nur von dem Reichthum des Besitzers, sondern auch davon Kunde geben, daß er ein ordentlicher Mann sei, ein solcher, der sich seinen Vorgesetzten und der Mitwelt durch Sorgfalt empfiehlt. „Kleider machen Leute!“ sagt das Sprichwort – aber das ist nicht in allen Fällen richtig. Man erkennt auch am Kleid den Charakter des Mannes, denn die Leute machen die Kleider. In genau demselben Anzuge wird der über das Maß des gewöhnlichen Lebens hinausstrebende Künstler anders aussehen als der pflichttreue, in der Einordnung seiner Person in das öffentliche Leben sein Ziel erblickende Beamte! Jener bildet das Kleid nach seiner Individualität durch das bloße Tragen um, dieser trägt sich, wie es das Kleid verlangt.

Die Absicht, etwas durch den Anzug darzustellen, hat wesentlich auf unser modernes Herrengewand Einfluß gehabt. Denn dieses ist unverkennbar eine Nachbildung dessen, was man vor hundert Jahren ein Wertherkostüm nannte. Goethes Werther, der zum Inbegriff der thränenreichen und nervenschwachen Empfindsamkeit wurde, trug eine Kleidung, welche noch heute nicht eben sehr auffallen würde, welche jedenfalls keine der heutigen Mode wesentlich fremde Form hat, außer daß ihr der gesteifte Hemdkragen fehlte. Er trug einen Cylinder, einen Frack, eine Weste, enge Reithosen, hohe Stiefel. Der Frack war farbig – wir kennen nur den schwarzen und auf gewissen Jagden den englischen rothen Frack. Das ist aber auch der einzige grundsätzliche Unterschied in der Kleidung, wenn man dazu nicht rechnen will, daß die hohen Stiefel heute

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 93. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_093.jpg&oldid=- (Version vom 4.4.2024)