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verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Halbheft 4.   1892.
Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Jahrgang 1892. Erscheint in Halbheften à 25 Pf. alle 12–14 Tage, in Heften à 50 Pf. alle 3–4 Wochen vom 1. Januar bis 31. Dezember.



Weltflüchtig.

Roman von Rudolf Elcho.
(3. Fortsetzung.)

Der Sommer ging zu Ende. Bettina sah mit Wehmuth die schönen Tage schwinden und fühlte immer mehr, wie theuer ihr der einsame Fleck Erde geworden war. Fast täglich unternahm sie mit den Verlobten und Ludmiller weite Segelfahrten, und gewöhnlich saß Ewald Monk am Steuer ihres Bootes. Der Lotse erwies sich so gefällig gegen die Badegäste und wußte so trefflich über Land und Leute Auskunft zu geben, daß man ihn auch bei Spaziergängen an der Küste zum Führer wählte. So kam es, daß sich von Tag zu Tag ein herzlicherer Verkehr zwischen ihm und Bettina herausbildete. Ihr dünkte es köstlich, mit ihm zu wandern, er plauderte dann von seinen Fahrten, und sie hörte ihm mit Vergnügen zu. Monk aber fühlte sich an ihrer Seite stolz und glücklich. Es lag für ihn ein Reiz in ihrer Erscheinung, in ihrem stillen sinnigen Wesen, der ihn seine ruhige berechnende Art hier und da ganz vergessen ließ. Sie besaß einen scharfen Blick für alles Schöne, und während sie Feld und Wald durchstreiften, entdeckte sie buntfarbige Blätter, Blumen und Herbstgräser, die sie zusammenlas und kunstvoll zum Strauße band. Er folgte dann jeder ihrer anmuthigen Bewegungen mit den Augen und empfand die Schönheit ihrer Formen, den Reiz ihrer Bewegungen, den Glanz ihrer blauen Augen, ohne sich Rechenschaft über den Eindruck zu geben, den sie auf ihn übte. Und er bewunderte auch ihre stille Kühnheit. Sie wagte sich im Boot bei jedem Wetter aufs Meer, und niemals hatte er einen Angstruf aus ihrem Munde gehört. So war es kein Wunder, daß er an die herannahende Abreise der Badegäste mit Schrecken dachte und sich immer wieder mit der Frage abquälte: wie kann ich sie halten?

Als Ludmiller eines Tages ein geräumiges Boot für die Fahrt nach dem Dampfer bestellte, erschrak Ewald so heftig, daß er die Frage: „Zur Abreise?“ nur mit Anstrengung über die Lippen brachte.

„Ja mein Bester,“ entgegnete dieser. „Am 10. September muß ich wieder in Berlin sein.“

„Und die Horsts und Fräulein Wesdonk?“

„Wir reisen alle zusammen. Wollen Sie auch für unser Gepäck Sorge tragen?“

Ewald nickte und ging, um mit Pischel das Nähere zu verabreden; ihm schien plötzlich sein stolzer Glückstraum für immer zu zerrinnen.

Kurz vor Sonnenuntergang kam die ganze Badegesellschaft aufs Höwt, sie wollte sich noch einmal am Anblick des Meeres weiden. Und dieses zeigte im röthlichen Sonnenglanz einen Farbenzauber, der die jungen Mädchen entzückte. Ewald Monk stand stumm und traurig bei der Thür des Wachthauses und hörte den Lauten der Bewunderung zu. Als die kleine Gesellschaft die Höhe endlich verlassen wollte, trat Horst auf den Lotsen zu, um sich von ihm zu verabschieden; der aber sagte, daß er in jedem Falle am nächsten Morgen die Gäste zum Dampfer führen werde. Er schritt mit ihnen zur Wolfsschlucht


Prinz Karneval.
Nach einer Zeichnung von Franz Stuck.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 101. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_101.jpg&oldid=- (Version vom 6.7.2021)