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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

hinab, und da es sich hier unter den Bäumen traf, daß Bettina hinter den übrigen zurückblieb, um einen mit rothen Beeren geschmückten Zweig zu pflücken, so sagte er in gepreßtem Tone zu ihr: „Wenn es Ihnen bei uns gefallen hat, Fräulein Wesdonk, sollten Sie doch wiederkommen!“

Sie schlug langsam die Augen zu ihm auf. Es war ein seltsamer Glanz darin, als sie erwiderte: „Das werd’ ich auch, und zwar im nächsten Sommer schon.“

„Ist das ein Wort, auf das man bauen kann?“

„Ja, mein Freund.“

Sie reichte ihm die Hand und über sein Gesicht ging ein glückliches Lächeln. „Das freut mich, freut mich wirklich,“ sagte er, kräftig ihre Hand schüttelnd. „Ich wollt’, Sie blieben dann für immer ... Was wir sind, wir Massower, sehen Sie, mein liebes Fräulein, wir würden alles mögliche thun, um Ihnen den Aufenthalt hier angenehm zu machen und ich ganz besonders ...“ Er rang einen Augenblick nach Athem, dann fuhr er kühner fort: „Mir wird der Winter hier recht lang werden, es fehlt mir ’was, das mir lieb geworden ist ... Sehen Sie, liebes Fräulein, ich weiß nicht recht, ob ich das so sagen darf, ich bin nur ein Lotse, aber – ich hab’ Sie lieb, und das darf man wohl immer sagen, selbst wenn es mit der Liebe geht wie mit den Sonnenstrahlen, die nicht durch die Wolkenbank können. Sie stehen für mich jenseit der Wolkenbank und es mag für ein vornehmes Fräulein gleichgültig, ganz gleichgültig sein, was in unserm armseligen Dorf brennt und sich verzehrt. Doch das ist gewiß – wenn der Tag kommen sollte, wo Sie einen Mann brauchen, der sein Blut für Sie giebt, dann rufen Sie den Ewald Monk!“

Bettina hatte indessen nach dem Wipfel einer Buche geblickt, der vom letzten Strahl der Sonne getroffen wurde. Jetzt wandte sie sich zu dem Sprecher, dessen Gesicht sich geröthet hatte, dessen graue Augen wärmer blickten als je zuvor. Ewald erschien ihr als die Verkörperung der Ehrlichkeit und Treue, und es machte sie stolz, in der Brust dieses braven Burschen das heilige Feuer der Liebe entzündet zu haben. Aber noch besaß sie Besonnenheit genug, um sich von der eigenen Wallung des Bluts nicht fortreißen zu lassen.

„Sie haben mir Ihre Ergebenheit bewiesen,“ erwiderte sie. „Es macht mich glücklich, einen so aufrichtigen Freund zu besitzen, einen Freund, lieber Monk! Im nächsten Jahre – wenn ich wiederkehre – will ich sehen, ob Sie dann noch immer treu zu mir halten.“

„Ich bin wie ein Schiff, das bloß einen Kurs steuert. Und Sie, Fräulein Wesdonk, werden Sie gerne zurückdenken?“

Sie errothete bei der Frage und schickte sich an, zu gehen. Nach einigen Schritten erst hielt sie an, und da er mit gesenktem Kopf und düsterem Blick dastand, nickte sie freundlich und sagte:

„Ja, die Erinnerung wird mir lieb sein.“




8.

Die Abreise der Sommergäste erhielt durch den Kommandanten ein festliches Gepräge. Dieser hatte das Boot bekränzen lassen und begleitete die Freunde mit seinem eigenen Fahrzeug bis zum Dampfer. Pischel und die Lehrersfrau hatten die letzten Blüthen der Gärten gepflückt, um den Damen kleine Sträußchen zu verehren; die Lotsen trugen ihren Sonntagsanzug. Auch der Gastwirth, bei dem die Abfahrenden manchen Abend verbracht und manche Flasche geleert hatten, kam zum Landungsplatz, um Lebewohl zu sagen und die Herrschaften zu bitten, sein Haus „bestens zu rekommandieren“.

Ewald Monk, der an diesem Morgen das Boot steuerte, verwandte kaum den Blick von Bettina, die einige tiefrothe Georginen in ihren Gürtel gesteckt hatte. Mit strahlenden Augen sah sie über das flimmernde Wasser.

Als der Dampfer in Sicht kam, gab es ein Grüßen und Abschiednehmen, das kaum enden wollte. Bettina reichte Ewald noch einmal die Hand und sagte: „Auf Wiedersehen!“ Nach ein paar Minuten brauste der Dampfer davon, und das Mädchen stand auf dem Verdeck und winkte noch einmal mit der Hand. Ihr letzter Blick traf Ewald, der mit der Linken das Steuer lenkte und mit der Rechten den Hut schwang; das Licht der Morgensonne umfloß seine Gestalt. Wie hoch und kräftig er sich aufreckte, gleich den Seehelden aus der Wikingerzeit! Und vielleicht bedurfte es nur des Kriegs, um ihn zu ruhmvollen Thaten zu führen!

Während der Reise zog die Wehmuth in Bettinas Herz und je näher sie der Hauptstadt kam, desto tiefer wurden die Schatten in ihrer Seele. Als sie vor der Wohnung ihrer Stiefmutter stand, sagte sie sich beklommen: „Nun liegt die Freiheit hinter mir und vor mir die alte Enge.“

Frau Rosita war schon seit einiger Zeit von Baden-Baden zurück; sie begrüßte die Ankommende süß lächelnd mit der Bemerkung: „Die Seeluft hat Dir die Farben der Gesundheit wiedergegeben, Du bist also glücklich und heiter gewesen.“

„Die gleichen Merkmale lassen mich bei Dir auf die gleiche Stimmung schließen. Du siehst völlig verjüngt aus, liebe Mama.“

„Ach ja, mein Kind, ich habe in Baden-Baden einigermaßen Erholung gefunden – dank meinen lieben Freunden. Du ahnst nicht, wen ich dort getroffen habe – den Grafen Guido.“

„Ah!“

„Nein, blick’ nicht so finster, liebste Betty, der Zufall hat uns zusammengeführt, und ich konnte ihm nicht ausweichen, ohne mich lächerlich zu machen. Der Graf befand sich auf der Fahrt nach der Schweiz. Unterwegs erfuhr er, daß sich einige seiner näheren Freunde in Baden befänden, und beschloß, sie für ein paar Stunden aufzusuchen. Aus den Stunden wurden sechs Wochen, denn er gerieth in einen Bekanntenkreis, der ihn nicht wieder freigab. In Badeorten ist es schwer, Personen, die uns einst nahestanden, zu meiden; die Freunde des Grafen waren auch die meinigen; ich suchte ihn erst durch abstoßendes Benehmen von mir fern zu halten, erreichte aber damit nichts weiter, als daß ich mich lächerlich machte. Du kennst seine Liebenswürdigkeit, seinen feinen Takt, und – was willst Du, mein Kind, er ist mehr zu beklagen als Du. Er hat Dich wahrhaft geliebt, indessen seine Verlegenheiten, seine Stellung, sein Beruf – Du begreifst. Das Geld ist die ausschlaggebende Macht unserer Tage.“

„Ja, ich begreife –“ entgegnete Bettina in bitterem Tone und wandte sich der Thür zu. „Kann ich unter den früheren Bedingungen wieder bei Dir wohnen?“

„Gewiß, mein Kind, freilich – nun, das weitere können wir beim Abendbrot besprechen. Schüttle erst den Reisestaub ab und mache Dir’s bequem, ich werde unterdessen den Tisch decken lassen.“

Als sich die beiden Frauen eine halbe Stunde später am Theetisch gegenübersaßen, erzählte Rosita ausführlich ihre Erlebnisse in Baden, rühmte nochmals, wie aufmerksam und liebenswürdig Graf Trachberg sich benommen habe, und gestand zuletzt, sie habe ihm gestattet, während des Winters ihr Haus zu besuchen.

Bettina erbleichte; ihr graute vor dieser Gesellschaft, in welcher man, als wäre nichts geschehen, nach wenigen Monaten schon wieder die freundlichen Bande anknüpfte mit denen, die mit Menschenherz und Menschenglück ein frevelhaftes Spiel getrieben hatten. Nach einer Weile sagte sie tonlos: „Ich kann ja dem Herrn aus dem Wege gehen.“

„Mit der Zeit wirst auch Du versöhnlichen Gefühlen Raum geben müssen.“

„Niemals – doch da ich mit dem Grafen Trachberg nichts mehr zu schaffen habe, so ist es gleichgültig, wie ich über ihn denke.“

„Er gehört immerhin zur Familie Deines Schwagers ...“

„Ist kein Brief von Mathilde eingetroffen?“ fragte Bettina, um von dem peinvollen Gespräch abzulenken.

„Gestern kam einer an, der den Poststempel Mexiko trägt. Er liegt auf meinem Schreibtisch.“

Das erregte Mädchen nahm hastig das Schreiben an sich und las es. Die Schwester meldete ihre Ankunft in Mexiko, berichtete klagend über die Beschwerden der weiten Reise und schloß mit der Bemerkung, daß sie noch keine Bestimmungen über ihre Zukunft treffen könne; Bettina müsse jedenfalls den Winter über noch in Berlin ausharren.

Bettina legte verstimmt den Brief zur Seite, und ihre Stiefmama theilte offenbar, wenn auch aus anderen Gründen, dieses Gefühl, als sie unmuthig bemerkte: „Unsere Mathilde denkt zu viel an ihr liebes Ich, als daß sie anderen helfen könnte. Du

wirst daher bei Deinen Zukunftsplänen gut thun, die Schwester

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_102.jpg&oldid=- (Version vom 4.11.2022)