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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

erklärte Bräuning, der Acker sei ihm um keinen Preis feil. Als Bettina den Lehrer, der ihr diesen Bescheid brachte, erschrocken anschaute, beruhigte sie derselbe und meinte. „Oll’ Bräuning will zunächst den wahren Käufer ausspionieren, nach drei Tagen wird er schon seinen Preis stellen.“

Diese drei Tage waren für Bettina eine harte Geduldsprobe. Es regnete heftig, und so war sie ans Haus gefesselt; ihr Bechsteinscher Flügel, den sie am Tage vor der Abreise von Berlin nach Massow gesandt hatte, war noch nicht eingetroffen, und Ewald kehrte von seiner Lotsenfahrt nicht zurück. Eine geheime Scheu hatte sie bisher abgehalten, das Haus des Kommandanten aufzusuchen, am dritten Tage nach ihrer Ankunft aber veranlaßte sie die Langeweile, nach dem Landhaus hinüberzugehen. Ihr Erscheinen rief auch hier die größte Ueberraschung hervor.

„Wie, Fräulein Wesdonk, schon in Massow?“ rief der Hausherr. „Ei, das ist herrlich! Mit wem sind Sie gekommen? Mit Horsts natürlich? Ah, wie ich mich freue!“

Als Bettina erröthend und zögernd gestand, daß sie allein gekommen sei, in der Absicht, sich hier ein eigenes Heim zu gründen, sahen die Freunde sie so verwundert an, als zweifelten sie an ihrem Verstande. „Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst,“ sagte die Hausfrau. „Sie sind noch zu jung, um ein Einsiedlerleben zu führen. Auch würden Sie in manche Bedrängniß gerathen – indessen das können wir ja beim Abendbrot besprechen. Vor allen Dingen heißen wir Sie herzlich willkommen.“

Bettina blieb bis spät am Abend in dem gastlichen Hause, allein sie schied mit einer Verstimmung in der Seele. Sie hatte im Laufe der Unterhaltung die Ueberzeugung gewonnen, daß weder der Hausherr noch dessen Gattin ihren Plan billigten und daß beide den Verkehr mit ihr abbrechen würden, sobald sie Ewald Monk ihre Hand reichte. Grollend fragte sie sich, mit welchem Recht denn der Kommandant sich so hoch über diejenigen stelle, die doch seine Berufsgenossen waren! Ewald setzte weit öfter Leben und Gesundheit aufs Spiel als er. Sie fand, daß sie einem schmählichen Vorurtheil gegenüberstehe und daß es verdienstlich sei, demselben Trotz zu bieten.

Am andern Morgen hatte endlich der Regen aufgehört und die Sonne brach durch das zerflatternde Gewölk. Während Bettina beim Frühstück saß, trat der Lehrer in die Stube und berichtete ihr, daß Bräuning vorhin dagewesen und für seinen Acker den Preis von dreitausendfünfhundert Mark gefordert habe.

„Bieten Sie ihm morgen dreitausend,“ erwiderte Bettina in freudiger Erregung.

Dieser Tag schien sie für das bange Harren seit ihrer Ankunft entschädigen zu wollen, denn als sie um zehn Uhr zum „Utkiek“ hinaufstieg, um einen Blick über das Meer zu werfen, erkannte sie in dem Manne, der vor dem Wachthäuschen saß, Ewald Monk. Ein freudiges Erschrecken ging durch ihre Glieder und unwillkürlich rief sie laut seinen Namen. Ihr Ruf hatte eine überraschende Wirkung, beim Klang ihrer Stimme wandte sich Monk blitzschnell um, und als er Bettina lächelnd und rosig wie der Morgen selber vor sich sah, sprang er mit einem Freudenschrei auf und schloß sie stürmisch in seine Arme.

Sie duldete seine rauhe Zärtlichkeit, sein wildes Ungestüm gefiel ihr. So mußte er sein, der starke Sohn der Wildniß, und so mußte sich die Liebe äußern, die echte, von der es hieß: „Sie kommt und sie ist da.“

Ewalds Jubel hatte einen alten Lotsen aus dem Häuschen herausgelockt; es war derselbe, den Bettina an jenem ersten Abend auf dem Höwt gesprochen und der ihr die Kuriositäten gezeigt hatte. Lachend verbeugte sie sich, als Ewald sie dem Kameraden als seine „lewe Brut“ vorstellte. Der Alte schüttelte ihr kräftig die Hand, und sie erinnerte ihn an ihre erste Unterredung, bei welcher er ihres Bräutigams als eines der besten unter den „Seebefahrenen“ gedacht habe. Und Ewald fühlte sich so stolz, als sei das Höwt die erste Staffel zum Himmel.

Nach einer Weile schlug Bettina vor, er solle sie mit seinen Eltern bekannt machen. Ewald fuhr sich mit der Hand hinters Ohr, eine Bewegung, die er stets machte, wenn ihm etwas unbequem oder bedenklich erschien, dann schob er den Hut in den Nacken, ergriff ihre Hand, sagte: „Wat möt, dat möt!“ und schickte sich zum Gehen an, nachdem er noch die Wache dem Kameraden übergeben hatte.

Auf Bettinas Bitte schlugen sie die Richtung nach Bräunings Acker ein. Unterwegs gestand ihr Ewald zögernd, daß er armer Leute Kind und daß sein Vaterhaus nicht viel mehr als eine Baracke sei.

„Was liegt daran!“ erwiderte das Mädchen heiter. „Wir bauen uns ein besseres Haus, in dem es Dir hoffentlich gefallen wird.“ Sie zeigte ihm Bräunings Feld und sagte. „Das da habe ich zum Bauplatz gewählt, gefällt Dir der Ort?“

Und wieder kraute sich der Lotse bedenklich hinterm Ohr. Dies Land mit einem hübschen Haus darauf zu besitzen, gefiel ihm sehr wohl, aber die Nachbarschaft behagte ihm nicht. Indessen war er Kathrein zu nichts verpflichtet, denn noch hatte glücklicherweise kein „Verspruch“ stattgefunden. Und daß er der Tochter des Konsuls vor der Kathrein den Vorzug gegeben hatte – das konnte ihm am Ende niemand im Dorfe verübeln, selbst Bräuning nicht. So erklärte er sich denn mit Bettinas Plan einverstanden.

Diese gab ihm nun Aufschluß über ihre Vermögenslage und meinte, daß ihre Mitgift zwar bescheiden sei, doch immerhin für ein einfaches Leben ausreiche. Ewald aber erklärte, daß sie die reichste Frau in Massow sei, und insgeheim sagte er sich: „Nun soll mir einer kommen!“

Und gerade der Mann, an den er dabei gedacht hatte, tauchte in diesem Augenblick bei der Düne auf – der Lotsenkommandant. Er sah den Untergebenen streng an, und die Frage schwebte auf seinen Lippen, warum Ewald den Utkiek verlassen habe.

„Koch übernahm für mich die Wache,“ meldete der Lotse dem Vorgesetzten, erfaßte dann Bettinas Hand und sagte keck: „Ich wollte den Eltern eben meine Braut vorstellen, Fräulein Wesdonk.“

Der Kommandant stand einen Augenblick starr da vor Ueberraschung, dann griff er an die Mütze und erwiderte kühl: „Meinen Glückwunsch –“ Mit einer Verbeugung gegen Bettina entfernte er sich.

Bettina fühlte, daß ihre Wangen glühten, und sie schalt sich um ihrer Schwäche willen. Ewald aber lachte und meinte, der Alte habe sich nicht schlecht gewundert; der dünke sich ja seinen Leuten gegenüber ein Herrgott.

Als die Braut das Häuschen betrat, in welchem ihr künftiger Gatte geboren war und noch wohnte, wurde ihre frohe Stimmung stark herabgedrückt. Das war weit verwahrloster, als sie sich gedacht hatte, und sie nahm sich vor, den Eltern ihres Ewald eine menschenwürdige Behausung zu schaffen. Die Thüre, durch welche sie eintrat, hing schief in den Angeln, die Wohnstube, in die sie geführt wurde, war so niedrig, daß sie sich unwillkürlich bückte. Eine dumpfe Luft legte sich ihr beklemmend auf die Brust. Die Mutter Ewalds war eben in der Küche damit beschäftigt, Heringe zu braten, und als der Sohn sie hereinrief, kam sie in schmutzigen vertragenen Kleidern zum Vorschein, eine fettige Gabel in der Hand.

Bei der Erklärung des Sohnes, daß Fräulein Wesdonk sich mit ihm versprochen habe, kreischte die Alte vor Verwunderung auf und lief hinters Haus, um den Vater zu rufen. Ewald lachte über das Gebahren der Mutter, Bettina jedoch konnte sich nicht verhehlen, daß die Frau weder gutmüthig noch ehrwürdig aussehe. Auch Vater Monk, der jetzt hereingehinkt kam, gehörte nicht zu den angenehmen Erscheinungen. Die Gicht hatte ihm seit Jahren arg zugesetzt, und er führte eine Sprache, die sich sehr in Gegensätzen bewegte, in keinem Falle aber für ihn einnahm; entweder fluchte er wie ein Türke oder er schmeichelte wie ein Kind.

Als Bettina ihm mit einigen herzlichen Begrüßungsworten die Hand reichte, knickte er vor Höflichkeit fast zusammen, küßte ihr die Hände und nannte sie fast bei jedem Satz, den er sprach, „mein Herzchen, mein Engelchen, mein traut’stes Kindchen.“

Frau Monk wischte geschäftig mit der Küchenschürze den Stuhl ab, auf den sich ihre neue Schwiegertochter setzen sollte, und stopfte dabei eine graue Haarsträhne. die ihr über den sehnigen braunen Hals hing, unter die Haube.

Bettina wollte den Glückstag nicht vorübergehen lassen, ohne ein gutes Werk gethan zu haben. Sie äußerte, daß Ewalds Vaterhaus gar eng und gebrechlich sei, und als der alte Monk zur Antwort gab, daß er sich in dem feuchten Teufelsnest die gottverfluchte Gicht geholt habe, fragte sie, welche Summe wohl erforderlich sei, um ein nettes helles Häuschen an die Stelle des baufälligen zu setzen.

Der Alte rieb sich mit der schäbigen Mütze, die er in der Hand hielt die Kniee und meinte, für zweitausend Mark ließe sich schon ein hübsches Haus aus Fachwerk herstellen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_108.jpg&oldid=- (Version vom 14.4.2019)