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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

„under der rôsen sagen“ in dem Sinne „im Vertrauen sagen“.

Der Ursprung der Sitte, die Rose beim Gastmahl als Sinnbild der Verschwiegenheit zu benutzen, wird auf die Römer zuruckgeführt. Der schon erwähnte Joh. Heinrich Zedtler beruft sich auf die Verse eines „römischen Poeten“, welche besagen „Die Rose ist die Blume der Venus. Damit nun deren Liebeshändel geheim gehalten würden, widmete Amor der Mutter Gabe dem Harpokrates. Darum pflegt der Gastgeber über die für seine Freunde bereitgehaltenen Tische eine Rose zu hängen, damit die Festgenossen wissen, man solle schweigen über das unter der Rose Gesagte.“

Unter den Alterthümern Roms befindet sich auch eine Bildsäule des Harpokrates. Sie stellt ein sitzendes Kind dar, welches einen Finger vor den Mund hält. Dieses Kind ist der ägyptische Gott Horus der Jüngere, welcher ursprüglich die Sonne zur Zeit der Wintersonnenwende verkörpern soll. Die Haltung seines Fingers führte die Griechen auf den Einfall, aus ihm den Gott des Schweigens zu machen. Unter dem Namen Harpokrates wird er in der griechischen Litteratur zum ersten Male von Eratosthenes, dem berühmten Bibliothekar von Alexandrien, erwähnt – von demselben Eratosthenes, der als der erste die Größe der Erde auf Grund einer Gradmessung berechnete und prophetisch das Vorhandensein einer „Neuen Welt“ zwischen den Küsten des Atlantischen Oceans und dem Ostrande Asiens vermuthete. Eratosthenes lebte von 275 bis 195 v. Chr. Ein Mysterienkultus knüpfte sich in der griechisch-römischen Welt an die geheimnißvolle Gestalt des Gottes, besonders fanden seine Priester frühzeitig den Weg nach Rom. Die Rose aber hatte Harpokrates von Aegypten, der Heimath seines Kultus, nicht mitgebracht. Dort setzte man vielmehr Horus den Jüngeren in Beziehung zu einer anderen Blume: die ägyptische Mythe ließ ihn aus einer geöffneten Lotusblnme hervorgehen. Doch wie in Rom die Rose bei Festen zum Schmuck diente, so fehlte in Aegypten die Lotusblume bei keinem Festgelage; die Gäste steckten sich Lotusknospen ins Haar und hielten sie einander zum Riechen hin, wie die Gäste bei anderen Völkern sich Weinbecher reichen. In der griechisch-römischen Welt gab man dem neuen Gotte an Stelle der ägyptischen eine heimische Blume, die Rose. Wenn wir dabei an die homerische Sage von den Lotophagen denken, welche aus der Lotuspflanze einen Wein bereiteten, der das Gedächtniß an die Vergangenheit in den Menschen auslöschte, so wird es uns begreiflich erscheinen, wie die Rose in Verbindung mit Harpokrates zum Sinnbilde der Verschwiegenheit werden konnte.

Es ist nicht möglich, ganz genau festzustelten, wann die dichterische Phantasie des Volkes Harpokrates mit der Rose schmückte, so viel aber darf man wohl annehmen, daß die schöne Sitte, unter der Rose beisammen zu sitzen, nicht in der wüsten zügellosen Kaiserzeit entstanden ist, sondern ihren Ursprung in einer Zeit hat, wo die Sitten einfacher waren und die römische Tugend sich noch bewährte.

Doch gleichviel, von wem die Sitte stammt; es läßt sich nicht leugnen, daß sie lange Zeit geübt wurde und daß sie Veranlassung zur Bildung des geflügelten Wortes „sub rosa“ gegeben hat. Die Sitte schwand, das Wort blieb. Die Menschen, die mit der Geschichte desselben nicht vertraut waren, wußten es nicht zu deuten und fanden eine naheliegende Erklärung: „sub rosa“ wurde wie das französische „Sous la fleur“ aufgefaßt, im Sinne von „durch die Blume“, „verblümt“.

Und doch ist es schade, daß wir bei fröhlichen Festen nicht mehr „unter der Rose“ sitzen. Wir Männer wissen, daß der Wein die Zungen löst, und sehen im frohen Kreise die Menschen nicht gern, welche die leicht entstehenden, unbedachten Worte fleißig sammeln und weiter tragen. Unsere Leserinnen wissen, daß auch der Kaffee dieselbe lösende Wirkung besitzt. Man sollte sich zwar auch in solchen Fällen zu bemeistern wissen, aber da wir Menschen einmal bei festlichen Gelegenheiten reden müssen und schwach sind, so sollten diese vertraulichen Reden wenigstens nicht weiter getragen werden. Denn das Weitertragen und Vergrößern und „Verblümeln" des Gehörten führt erst recht zu Klatsch und Verleumdung.




Frau Ajas „Frohnatur“.

Goethes Mutter nach neueren Quellen
Von Johannes Proelß.

Frau Aja Wohlgemuth“ pflegte sich die Mutter Goethes in ihrem Alter gern zu nennen, wenn sie einmal der Heiterkeit ihres Herzens übersprudelnden Ausdruck gegeben hatte. „Liebe Mutter Aja“ – so klang die Anrede, wenn die Freunde ihres Sohnes, die alten wie die jungen, die vornehmen wie die geringen Standes, verwöhnte Fürstlichkeiten und verfahrene Sturm- und Dranggeister, sich an die Frau Rath mit Fragen, Bitten, Grüßen wandten oder es sich wohl sein ließen am „runden Tisch“ in der „blauen Stube“ des stattlichen Hauses „zu den drei Leyern“ auf dem Großen Hirschgraben zu Frankfurt a. M. – Woher diese Bezeichnung „Frau Aja“ für Goethes Mutter?

Goethe selbst, der beim Niederschreibeu der Erinnerungen „Aus meinem Leben“ lebhaft die Ferne beklagte, in welche die goldne Zeit der eigenen Jugend seinem Gedächtniß entrückt war, hat über den Namen eine unverständliche irrthümliche Auskunft gegeben. Wo er im 18. Buch von „Wahrheit und Dichtung“ den Besuch der Grafen Friedrich und Christian Stolberg in seinem Vaterhaus schildert und erzählt, wie die Mutter den jungen Brauseköpfen, als sie im überschäumenden Drang ihres Freiheitsgefühls gar ein Gelüsten nach „Tyrannenblut“ äußerten, den feurigsten und edelsten Wein aus ihrem Keller heraufgeholt habe – nur solches Tyrannenblut dürfe in ihrem Hause fließen! – hat er den Ursprung ihres Namens auf die italienische Bezeichnung für eine Hofmeisterin zurückgeführt. Er wußte nicht mehr, daß die gleiche Vorliebe für „altdeutsche Art und Kunst“, die ihn auf den Stoff des „Götz“, des „Faust“ gelenkt, den jungen Geistern damals diesen Namen in den Sinn gebracht hatte. „Frau Aja“ heißt in dem alten Volksbuch von den Haimonskindern die Mutter der heldenkühnen Neffen Karls des Großen. Als Frau Rath die Freunde ihres Sohnes mit feurigem 1712er bewirthete, da mußte sich ihnen unmittelbar der Vergleich ihrer Lage mit jener Scene in dem Volksbuch aufdrängen, wo die herrliche Haimonsmutter ihre als Pilger verkleideten Söhne mit dem besten Wein aus ihrem Keller bewirthet. Als das Ideal einer Mutter, die ihrem herangewachsenen Sohne die theilnehmendste Freundin, die tapferste Verbündete und eine „Wirthin wundermild“ ist, wurde Frau Rath gepriesen, da sie zum ersten Male „Frau Aja“ genannt ward.

Und als das Ideal einer im Beglücken des Sohnes glückseligen Mutter ist dem Bewußtsein unseres Volkes das Bild dieser Frau eingeprägt, der zu erleben vergönnt war, daß die Grundelemente ihres Wesens, ihre „Frohnatur“ und ihre „Lust zu fabulieren“, in dem Sohne fortwirkten und aufblühten als die bewegenden Kräfte eines weltbewegenden Dichtergeistes. So anziehend und lebensfrisch auch das Bild der jungen Elisabeth Textor war, das später Otto Müller in seinem Roman „Der Stadtschultheiß von Frankfurt“ auf Grund der Angaben in Bettinas „Briefwechsel Goethes mit einem Kinde“ über die Mädchenzeit der Frau Rath entwarf, im Gedächtniß der Fachwelt lebt sie vor allem fort in der reifen Weiblichkeit einer Mutter. So hat der Sohn ihr Wesen festgehalten: als Dichter in der herrlichen Frauengestalt, die in „Hermann und Dorothea“ als Mutter Hermanns ihr poetisches Abbild ist, als Charakterzeichner in den Kapiteln aus „Wahrheit und Dichtung“, die ihrer ausführlicher erwähnen.

Aber erst seit der Erschließung des Goetheschen Familienarchivs in Weimar, die vor wenigen Jahren nach dem Tod seines überängstlichen Hüters, des letzten Enkels von Goethe, erfolgte, ist uns Frau Aja wieder ganz lebendig geworden, dank den zahlreichen Briefen von ihrer Hand, die dort verborgen waren. Da erschienen 1885 zum ersten Male in authentischer Form ihre Briefe an die Herzogin Anna Amalie, die Mutter Karl Augusts, und vier Jahre später die „Briefe an ihren Sohn, Christiane

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_112.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2022)