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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

„Ja,“ sagte der Maler, „das ist echt, das wäre noch für ganz andere Dinge als für den Bügelofen ein gutes Aushängeschild. So weit hat man es mit der allgemeinen Erweckung des Stilgefühls gebracht. Unglückliche Renaissance – einst Blüthe des Erlesensten, heute ein trauriger Gemeinplatz, von der Mode befohlen, falsch angewendet, Schablone, Schablone wie so vieles andere! Es wäre wahrhaftig besser, wenn die große Menge, die es doch niemals zu einem personlichen Stilbegriff bringt, auch das Wort nicht als neues Bedürfniß aufgeschnappt hätte. Die wenigsten ahnen, wie grausam sie von ihrer Einrichtung totgeschlagen werden. Ich traf neulich einen, der seine traurigen Artikel schmierte an einem Arbeitstisch, dessen sich der große Lorenzo Medici nicht zu schämen gehabt hätte. Und er fühlte nichts von dem Gegensatz, er kam sich nur ungemein stilvoll vor.“

„Nun,“ lachte der Rath, „der ‚Stil‘ ist eben heutzutage nicht mehr der Mensch, sondern der Tapezier. Aber wo soll es schließlich hinaus? In drei Jahrzehnten haben wir glücklich die drei letzten Jahrhunderte verbraucht, Renaissance, Barock und Zopfzeit, jetzt stehen wir wieder beim Empire. Was weiter? Kommt am Ende ein Zukunftsstil, in welchem jeder Mensch seine Möbel frei wählt und so stellt, wie es seine Verhältnisse, seine Bedürfnisse und Lebensgewohnheiten erfordern?“

„Das wäre dann wirklich Stil,“ sagte Thormann nachdenklich. „Nein, ich glaube nicht, daß die Mehrzahl so vernünftig wird. – Uebrigens, in meinem künftigen Hause werden Sie diesen Stil angewandt sehen.“

Das Gespräch nahm hiermit eine persönliche Wendung, und im weiteren Verlaufe erzählte Thormann dem Landgerichtsrath seine seltsame Begegnung von vorhin.

„Das sieht ihr wieder ganz gleich,“ fuhr Walter lebhaft heraus, „sie ist doch ein ganz absonderliches Geschöps!“

„Aber edel angelegt, wie es scheint?“

„Freilich, freilich, nur zu überspannt und weltfremd. Stellen Sie sich vor, daß sie vergangenen Sommer geradezu einen Volksauflauf veranlaßte, indem sie ein altes Weib, das von dem betrunkenen Sohne mißhandelt und in den Schmutz gestoßen wurde, nicht nur aufhob und tröstete, sondern auch noch an ihrem eigenen Arme nach Hause geleitete – wohlgemerkt, nachdem sie den rohen Bengel vorher tüchtig heruntergeputzt hatte.“

„Das war aber doch schön und muthig von ihr!“

„Gewiß! Allein denken Sie sich nur den Aufzug, das alte schmutzige, heulende Weib an dem Arme dieser jungen Minerva, sämmtliche Gassenbuben hinterdrein – es war wohl begreiflich, daß Frau von Düring bei der Kunde davon eine Ohnmachtsanwandlung bekam.“

„Was ist das eigentlich für eine Frau?“ forschte Thormann.

Walter sah ihn einen Augenblick an und pfiff leise durch die Zähne. Er theilte die Ansicht seiner Frau über unnöthiges Ledigbleiben bei Witwern, er befand sich jedoch im Gegensatz zu ihr hinsichtlich der Personalfrage, die hier möglicherweise in Betracht kommen konnte. Ihm mißfiel für diesen Zweck die hübsche Vilma nicht – ganz im Gegentheil! Einen vermögenden Mann mußte das anmuthige Luxusgeschöpfchen doch haben, also warum diesen hier abschrecken?

„Nun,“ versetzte er deshalb in etwas gedehntem Tone, „Frau von Düring ist gerade keine angenehme Persönlichkeit, aber gewiß nicht weniger werth als viele aus ihren Kreisen –“ das juristische Gewissen beglückwünschte sich zu diesem schönen Satze, dem noch der Schluß nachfolgte: „Ich habe nie eine wirklich nachtheilige Thatsache über sie vernommen. Daß sie arm ist, sehen Sie selbst, allein das ist nur ein Unglück, keine Schande.“

„Was war ihr Mann?“

„Offizier; ist schon lange tot.“

„Und Paula,“ fragte Thormann weiter, „warum steht sie in so scharfem Gegensatz zu Mutter und Schwestern?“

„Ja, mein Gott,“ erwiderte der andere, „das ist doch kein Wunder! Das Mädchen hat eine unbequeme Pedantennatur, sie gehört zu denen, welche für Männer keinen Reiz haben – absolut keinen. Und Mama Düring möchte die Töchter verheirathen, das kann ihr kein Mensch verdenken. Mit Vilma wird es keine Schwierigkeiten haben, aber Paula – nein, die halte ich für unanbringlich.“

„Ich denke, sie will studieren?“

Ja, und das ist der zweite heftige Streitpunkt zwischen ihr und der Mutter, die in solchem Entschluß geradezu eine Familienschande erblickt. Paula könnte auch nicht daran denken ohne die moralische und materielle Unterstützung des alten Professors Mayer, eines Verwandten ihres Vaters, der viel Geld für philanthropische Zwecke ausgiebt und dieses Studium mit auf das große Konto übernehmen will. Aber bis jetzt wehrt sich die Alte mit zäher Beharrlichkeit. Wie sie es fertig bringt, die Wohlthaten des alten Herrn anzunehmen und ihm zugleich die stärksten Grobheiten zu sagen – das ist ihr Geheimniß. Thatsächlich geschieht beides, und er hält aus um Paulas willen, für welche er eine schwer begreifliche Zärtlichkeit gefaßt hat.“

„Er kennt sie vielleicht von Seiten, die das erklärlich machen,“ erwiderte Thormann einfach. „Aber hier sind wir ja schon bei Ihrem Hause angelangt.“

„Kommen Sie mit hinauf?“

„Nein, ich danke, ich muß heute abend noch allerhand erledigen.“

Und die beiden trennten sich. Der Landgerichtsrath kam sehr aufgeräumt bei seiner Frau an und ließ in seinem allerdings etwas freien Bericht über die gepflogene Unterhaltung nicht undeutlich merken, daß Thormann „Symptome für Vilma“ zu haben scheine. Daß sie sofort auf den Köder biß, freute ihn sehr, er hüllte sich ihren dringenden Fragen gegenüber in vielsagendes Schweigen und zuckte nur zweideutig die Achseln, als sie die entschiedene Hoffnung aussprach, daß Thormann klug genug sein werde, sich nicht in den plumpen Schlingen dieser gewissenlosen Kokette zu fangen.




8.

„Er kommt wirklich nicht ...“ Wieder einmal, wie schon öfter diesen Abend, streiften Vilmas Blicke über die bunten Gruppen des Ballsaals und den Kreis ihrer Verehrer nach dem Eingang hin, und sie fühlte allmählich eine solche Enttäuschung in sich aufsteigen, daß es ihr schwer wurde, die gewohnte sieghafte Heiterkeit noch weiter über die Jünglinge hinzustrahlen. Sie war so schön diesen Abend, so weit über das gewöhnliche Geputztsein der anderen hinausgehoben durch ihre herrliche Gestalt und die überlegen einfache Besonderheit ihrer Toilette – so wollte sie von Thormann gesehen werden, begehrenswerth vor vielen, um endlich einmal das Begehren in ihm ernsthaft zu schüren. Und es sollte außerdem eine Machtprobe sein. Gelang es, ihn aus seiner stillen Schwerfälligkeit heraus und hierher zu ziehen, dann war endlich die Sicherheit gewonnen, die sich ihrem spähenden Blicke bis jetzt noch nirgends zeigen wollte.

Die Beziehungen waren ja gewachsen. Thormann erschien öfter bei den Sitzungen im Atelier Linchens und schien lebhaften Antheil an dem Porträt zu nehmen, außerdem bot Sigrids stürmische Liebe zu Vilma manche Gelegenheit, sich dem Vater in günstigem Lichte zu zeigen, und so war allmählich der Grad von näherer Bekanntschaft erreicht worden, wo das Entscheidende in Sicht kommt. Bis hierher kannte Vilma den Weg von früher her genau, weiter aber war sie niemals gelangt, und nun schlug ihr das Herz beim Gedenken an den ungeliebten Mann. Um ihn zu gewinnen, that sie sich vielfach Gewalt an, entwickelte ganz neue Gemüthsseiten und Lebensansichten – allein kein Mensch kann auf die Dauer gegen seine Natur leben, und Vilma folgte den Gesetzen der ihrigen, als sie erst im Scherze, dann dringender den ernsthaften Mann zu überreden suchte, auf ein Stündchen hierher zu kommen. Ein Souper im Nebenzimmer mit Walters, ein bißchen in den Saal hineingucken – was war denn daran so Großes? Mit Bitten und Lächeln und allerliebstem Schmollen hatte sie ihm ihre gänzliche Ungnade verheißen für den Fall, daß er ausbliebe, und jetzt war es beinahe elf Uhr, die Souperpause fing an, und er – blieb aus!

Sie zerrte heimlich an den Bändern des Prachtbuketts, das ihr Francis Weston geschickt hatte, und bedachte die in längeren Zwischenräumen aufsteigenden Gedankenblasen dieses harmlosen Jungen mit so scharfen Vernichtungshieben, daß er erstaunt aufsah und die plötzliche Veränderung ihres Humors ebenso wenig ergründen konnte als sie selbst die Ursache von Thormanns Wegbleiben.

Diese aber bestand ganz einfach in einem gewöhnlichen Blatte

Papier. Sigrid hatte es von Dürings mitgebracht, weil ein paar

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_122.jpg&oldid=- (Version vom 6.5.2020)