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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


zwei Personen mehr als ausreiche. Und sollte einmal das Geld wirklich knapp werden, nun so konnte man ja die hübsche Mansarde und das kleine Zimmer, welches jetzt zur Aufstellung der Schränke bestimmt war, während der Sommermonate an Badegäste vermiethen.

Beruhigt wandte sie sich am letzten Tage ihres Aufenthaltes der Wohnung ihrer Stiefmutter zu, erfuhr jedoch beim Portier, daß Frau Rosita drei Tage zuvor ihre Hochzeit mit dem Grafen Trachberg gefeiert und mit ihrem Gatten nach Italien gereist sei.

Bei dieser überraschenden Neuigkeit empfand Bettina bloß Befriedigung darüber, daß sie erst jetzt zu dem Besuch sich entschlossen hatte und so einer unter solchen Umständen doppelt widrigen Begegnung entgangen war. Nun galt es nur noch, sich von den Horsts zu verabschieden.

Dort sollte ihr aber eine zweite Ueberraschung zu theil werden.

Lisa befand sich in Berlin und war wenige Tage zuvor eines Knäbleins genesen. Dieses freudige Ereigniß schien jedoch nicht nach Gebühr gewürdigt zu werden. Der Sanitätsrath sah bleich und verstört aus und gab auf Bettinas Erkundigungen zerstreute Antworten. Lotte schien vor lauter Geschäftigkeit nicht zu wissen, wo ihr der Kopf stand, und als Bettina fragte, ob sie Lisa sprechen könne, deutete das Mädchen kurzweg auf Lisas früheres Schlafzimmer und sagte, indem sie der Küche zuhastete. „Er ist bei ihr.“

Bettina klopfte schüchtern an die Thür, und da niemand „Herein“ rief, öffnete sie vorsichtig. Ein seltsamer Anblick bot sich ihr – vor dem Bette ihrer Freundin, welche verhärmt und bleich aussah, kniete Diaz; über seine Wangen rollten dicke Thränen, er hatte die Rechte erhoben und rief mit bebender Stimme: „Lisa, Lisa, ich gelobe Dir, ein ganz neues Leben anzufangen. O, glaube mir – und sei wieder gut!“

Die Besucherin zog erschreckt den Kopf zurück, ging zur Küche, plauderte mit Lotte und bat diese, sie bei der Schwester anzumelden. Als sie dann zum zweiten Male bei Lisa eintrat, schien das junge Paar versöhnt zu sein, und Diaz zeigte ihr mit großem Vaterstolz seinen Jungen, dann lief er fort und ließ die Freundinnen allein. Lisa war seltsam ernst geworden, und wie Bettina ihr anvertraute, daß sie sich mit Ewald Monk verheirathen wolle, blickte sie erschrocken auf und sagte leise:

„Wenn Dir der Rath einer Frenndin etwas gilt, so thu’ es nicht, mein Herz.^

„Warum?“ fragte Bettina und eine heimliche Angst sprach aus ihren Augen.

„Weil man die Charaktereigenschaften des Mannes genau prüfen soll, mit dem man sich fürs ganze Leben verbindet.“

„So bist Du nicht glücklich, Lisa?“

Diese schwieg einige Minuten still, in schmerzliches Sinnen verloren; noch stand sie unter dem Einfluß jener Scene, welche die Freundin unabsichtlich belauscht hatte. „O, es wird mir schwer, Dir meine Lage zu bekennen. Aber es gilt, Dich zu warnen – Dich, Betty, die ich liebe; darum muß ich Dir gestehen, daß meine Träume von Glück zerronnen sind, daß die heißeste Liebe die Kluft nicht zu überbrücken vermochte, welche innere und äußere Unterschiede zwischen mir und meinem Gatten aufgethan haben. Vielleicht, daß die gemeinsame Sorge um das kleine Wesen hier an meiner Seite dies dereinst zuwege bringt – der Himmel gebe es!“

„Aber Garcia ist doch so gut und liebenswürdig –“

„Gewiß, das ist er, und würden wir ein unerschöpfliches Vermögen besitzen, so wäre wohl manches anders, wenn auch nicht alles. Allein leider müssen wir um unser Auskommen ringen, und Garcia ist nicht für den Kampf ums Dasein erzogen. Ihm fehlt die Ausdauer, er ist leichtlebig und naiv wie ein Kind. Nichts haßt er so sehr als die Pflicht, und das Drohnendasein, welches wir im Schlosse des reichen spanischen Herzogs führten, war nur dazu angethan, ihn noch mehr zu verweichlichen. Hätten wir den Anfang unserer Ehe in Deutschland zugebracht, so würde sich Garcia vielleicht zur Arbeit bequemt haben, in Spanien machten sich die übelsten Einflüsse auf ihn geltend. In Madrid, wo wir bei jenen Tanten zu Gast waren, die ihn erzogen und verzärtelt haben, litt ich Folterqualen. Diese Damen haben Zeit ihres Lebens keine andere Beschäftigung gekannt, als den Fächer zu schwingen und die Kirche zu besuchen und fanden es ganz natürlich, daß ihr Neffe sich lieber auf irgend einen günstigen Zufall verließ, statt seine Zukunft auf ernste Arbeit zu gründen. Garcia vernachlässigte denn auch immer mehr die Musik und, da er meine Ermahnungen und Vorwürfe fürchtete, auch mich. Er trieb sich des Tags bei den Stiergefechten, bis spät in die Nacht hinein in den Theatern und Cafés herum, und seine einzige Beschäftigung bestand darin, Cigaretten zu rauchen und die Chancen des Lottospiels zu verfolgen. um diesem unheilvollen Zustande ein Ende zu machen, floh ich hierher. Garcias Liebe zu mir war, dem Himmel sei Dank, wenigstens so stark, daß er mir folgte und reuevoll gelobte, sich aufzuraffen. Leider fand ich den Vater in großen Sorgen – er hat um einer Schwester willen, die er zärtlich liebte, Bürgschaft für seinen Schwager geleistet und dadurch sein erspartes Vermögen verloren. Dieser Schlag wirft ihn völlig nieder, denn seine Gesundheit ist zu sehr geschwächt, als daß er hoffen dürfte, den Verlust auch nur theilweise wieder zu ersetzen. und jetzt quält er sich mit Vorwürfen und schweren Sorgen um seiner Kinder willen. Kurz, wir gehen trüben Tagen entgegen.“

„O, blicke nicht so trostlos drein, Lisa!“ Bettina schlang die Arme um die blasse Freundin und schaute sie mit feuchtschimmernden Augen an. „Ich habe mir in Massow ein freundliches Heim geschaffen, betrachte Du es als eine Zuflucht. So oft Du der Erholung oder des Trostes bedarfst, komm’ zu mir!“

„Du bist gut, Bettina, allein wenn Du Ewald Monk heirathest, hörst Du auf, Herrin Deiner Entschließungen zu sein. Unter Leuten seines Standes gilt der Wille des Mannes alles. Bedenke reiflich den Schritt, den Du vorhast! Vor einem Jahre, da ich noch gleich Dir in romantischen Träumen befangen war, hätte ich Dir freudig zugestimmt, heute weiß ich, daß Du ein gewagtes Spiel spielst – hüte Dich!“

„Deine Warnung ist wohlgemeint,“ antwortete Bettina, „allein sie kommt zu spät, ich halte mich für gebunden. Ich muß auf dem betretenen Wege vorwärtsschreiten und will es furchtlos thun, denn Ewald liebt mich. Mein Entschluß ist das Ergebniß reiflicher Erwägungen, und was ich beschlossen habe, führe ich aus. Aber davon kannst Du Dich im voraus überzeugt halten, wenn Du einer Zufluchtsstätte bedarfst, so wird Ewald Dir freudig unser Haus öffnen. Und nun leb’ wohl!“

Bettina küßte die Freundin zärtlieh auf die Stirn. Als sie sich eben entfernen wollte, kam Garcia mit einem Korb voll Blumen herein.

„Du sollst heiter sein, liebste Lisa,“ sagte er, indem er eine Fülle gelber und dunkelrother Rosen über ihr Bett streute, „und sollst wieder an Glück und frohe Hoffnung glauben; Du sollst überzeugt sein, das ich Dich liebe – seit Du mir einen Sohn geschenkt hast, noch viel, viel mehr.“

Dabei küßte er ihre weißen Hände und beugte sich über das Bettchen mit dem strahlenden Lächeln des beglückten Vaters.

Noch einmal trat Bettina zu der Freundin und flüsterte ihr ins Ohr:

„Und Du glaubst noch, daS eine Kluft bestehe? Dein Kind füllt sie aus, Du Zweiflerin. Laß uns leichten Herzens unsere Pflicht thun, aus den Wolken wird die Sonne des Glücks hervorbrechen. Gehab’ Dich wohl – auf fröhliches Wiedersehen!“




10.

Im jungen Garten Bettittas waren die Rosen und Astern verblüht, die wilden Reben an der Mauer ließen im Herbststurm ihre Blätter zur Erde fallen und die hellen goldigen Lichter der Spätsommertage wichen auf dem Meere dunklen Farben. Tiefe Wolkenschatten traten an Stelle der Sommerherrlichkeit, das Meer rauschte stärker gegen den Fuß des Höwts. Bettina war mit der Ausstattung ihres Hauses fertig geworden und rüstete die Hochzeit. Doch niemand, selbst Ewald nicht, durfte das Landhaus, welches sie die „Klause“ nannte, betreten; die Hochzeitsgäste sollten durch die Einrichtung überrascht werden.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_134.jpg&oldid=- (Version vom 1.7.2021)