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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Stunde erreicht man vom Mittelpunkte der Stadt die malerischen Cottageanlagen von Währing, von dem die Straße weiterführt nach dem lieblichen Pötzleinsdorf; über der Berglehne rechts gelangt man nach Neustift am Walde. Salmannsdorf, Sievering und Grinzing.

Ein herrlicher Waldweg führt von Plötzleinsdorf nach Neuwaldegg und Dornbach mit eleganten Sommersitzen und dem großartigen Parke des Fürsten Schwarzenberg. Hierhin geht Sonntags eine ununterbrochene Karawane von Equipagen, Tramway- und Stellwagen, denen sich Tausende von Fußgängern anschließen, deren Ziel die zahlreichen schön gelegenen Punkte von Neuwaldegg und den angrenzenden Höhen bilden. Das Hameau (Holländerdörfl), die Bieglerhütte, die Rohrerhütte sind überfüllt von Ausflüglern. Die Tramwaywagen gewähren an schönen Sommernachmittagen einen unglaublichen Anblick. Ein wirrer Knäuel von menschlichen Leibern erfüllt das Gefährt. Geduldig lassen sich diese „gepreßten Konserven“ an ihren Bestimmungsort verfrachten und bleiben dabei so frisch, daß ihnen nicht einmal die Luft zum Scherzen vergeht. Wer dieses Ragout menschlicher Gliedmaßen von der Straße aus beobachtet, der kann sich unmöglich vorstellen, daß es sich jemals wieder in lustige Männlein und Weiblein auflösen könnte.

Das Faßlrutschen in Klosterneuburg am Leopolditag.

Ein merkwürdiger Wallfahrtsort ist auch das „Jungfernbründl“ bei Sievering. Zu Anfang unseres Jahrhunderts hat die unscheinbare Quelle plötzlich den Ruf der Wunderthätigkeit erhalten. Aber seltsamerweise soll die heilige Agnes auf den Gedanken gerathen sein, ihren frommen Anrufern spielreife Losnummern zu verrathen, die in der nächsten Ziehung herauskämen. Der „anmuthige Damenflor“ von alten Lotterieschwestern, Kerzelweibern und Fratschlerinnen (Hökerinnen), den man da oft beisammen trifft, darf zwar unser Urtheil über die Wiener Frauenschönheit nicht beeinflussen; aber es ist doch interessant, die von der Spielwuth halb verrückten Sibyllen zu beobachten, wie sie stundenlang in das „Wasserl“ starren, um zu sehen, ob ihnen die heilige Agnes nicht ein paar Nummern schickt. Mitunter macht sich ein Spaßvogel den Jux, auf Kieselsteine drei Nummern zu kritzeln und sie in die Quelle zu werfen. Die werden dann von den Weibern unter großem Gezeter herausgefischt und wie ein kostbarer Schatz nach Hause getragen.

Wenn der Heurige in den Köpfen rumort, dann geht’s hoch her in den beliebten Lokalen in Nußdorf, Heiligenstadt, Sievering. Da wird gejuchzt und gejodelt, gesungen und getanzt, und manchmal steigt einer auf den Tisch und stimmt ein Volkslied an, bei dem die übrigen mit dem Kehrreim einfallen. Die „Güldene Waldschnepfe“ in Dornbach ist die Hochschule „derer vom Brettl.“ Da haben die beliebten „Schrammeln“ ihr Hauptquartier aufgeschlagen, ein lustiges Quartett, das neben den geläufigsten Walzern auch eigene urwienerische Weisen fiedelt. Für die Abwechslung sorgen die Natursänger, Kunstpfeifer und sonstige lokale Tagesgrößen. Die Fiaker Bratfisch und Hungerl singen ihre „harbsten Gstanzln“, der Baron Jean „pfeift seine Bravourarien“, die Anzinger Toni und „Mistviecherl“ lassen ihre kunstvollen Jodler hören und alles schwimmt in eitel Seligkeit. Diesen „Radau“, wie’s der Berliner nennen würde, macht aber nicht das Volk allein mit. Kavaliere vom reinsten Wasser, Künstler und Künstlerinnen, die jeunesse dorée bis in die vornehmsten Kreise hinein haben ihren Spaß daran. Equipagen kommen angefahren, die „Unnummerierten“, wie die eleganteren Fiakerfahrzeuge heißen, kommen mit ihren „Gawliers“ angetrabt – und nicht selten sitzt der Rosselenker mit seinem „Grafen“ an einem Tische. Was man da singt und treibt, ist zwar nicht immer für delikate Ohren bestimmt, hält sich aber doch noch in den Grenzen eines erträglichen Anstands.

Im Süden von Wien ist ein breiter Bergrücken hingelagert, der „Große Anninger“. Um ihn sind die schönsten Sommerfrischen an der Südbahn: Mödling, Baden, Vöslau ausgebreitet. Vorher der grüne Waldfleck mit dem schimmernden Königspalast ist das kaiserliche Lustschloß Schönbrunn, dessen Garten, meist im französischen Zopfstil gehalten, das ganze Jahr dem Publikum geöffnet ist. Die Menagerie bildet einen gewaltigen Anziehungspunkt für die liebe Jugend, und gar mancher Hausvater findet sich mit seinem Jungen durch das Versprechen ab, ihm am Sonntag, wenn er eine gute Note nach Hause bringt, die „Affen in Schönbrunn“ oder den „Schönbrunner Pepi“, den großen Elefanten, zu zeigen.

Hietzing, das schönste Dorf Oesterreichs, mit seinen fürstlichen Villen und freundlichen Gärten, lehnt sich unmittelbar an. Hier ist das altberühmte Dommayer-Kasino, das heute allerdings nur noch einen Schatten seiner einstmaligen Bedeutung sich erhalten hat. In seinen Räumen versammelte sich vordem alles, was auf Stellung, Namen und prunkvolle Lebensführung Anspruch machte. Die Hochzeiten und Bälle bei Dommayer, die Straußkonzerte daselbst waren von einem raffinierten Luxus, und alte Wiener gerathen noch heute in Verzückung, wenn sie von den rauschenden Festen bei Dommayer sprechen.

Gegen Westen liegt das liebliche Ober-St. Veit mit seiner malerischen Kirche und dem Sommersitze des Erzbischofs von Wien anmuthig auf einem Hügel ausgebreitet, und weiterhin schließt Hacking sich an. Hier beginnt das an malerischen Gegenden überaus reiche Wienthal, das von der Westbahn durchquert wird, hier folgen sich Hütteldorf mit seiner Brauerei, Weidlingau mit den reizenden Querthälern, Heinbach, Baunzen, dann Purkersdorf mit seinen schattigen Waldpartien nach Gablitz und Mauerbach, auf die Hochramalpe und in den Deutschen Wald. Wer könnte sie alle aufzählen, die Lieblingsplätze in diesem grünen Paradies! Bis hierher kann man mit dem neuen Zonentarif der Staatsbahnen für zehn Kreuzer fahren. Seit seiner Einführung werden die idyllischen Sommersitze an Sonntagen von einer beängstigenden Fluth von Ausflüglern überfallen, die wie ein Heuschreckenschwarm über die Wirthshäuser und Gärten herfallen und alles „kahl essen“ und den letzten

Tropfen aus den Fässern schlürfen. Der Heimweg gestaltet sich nicht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 147. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_147.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2019)