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verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Im Buche von Gräberg di Hemsö, der 1834 einen „Specchio di Marokko“ (Spiegel von Marokko) herausgab, finden wir endlich den Schatz, wo er heute noch sein soll, in Mekineß. Gräberg sagt darüber:

„Das, was in anderen Ländern die Staatskasse ist, ist hier absolutestes Personaleigenthum des Regenten. Der Schatz, genannt „bit el mell“, d. h. Schatzkammer, ist kein öffentliches Eigenthum, sondern ein tief vergrabenes Kapital, weil es bewahrt wird in einem eigens zu diesem Zwecke hergestellten Gebäude in Mekineß, das bewacht wird von 2000 Negern. Man glaubt, daß mindestens 50 Millionen Thaler eingeschlossen sind, an Edelsteinen, Goldbarren, Silberbarren und klingender Münze, meistens in spanischen und mexikanischen Thalern. Der Ort, wo der Schatz sich befindet, ist von einer sehr starken, massiven Mauer umgeben und mit einem ähnlichen Dache gedeckt, und hierin ist wieder ein innerer, ähnlich starker Bau. Um hinein zu gehen, passiert man fünf eiserne Thüren, von denen eine jede fünf Vorlegeschlösser besitzt, deren Schlüssel immer in der Hand des Sultans oder der Lieblingssultanin sind. In vergangenen Zeiten pflegte man immer die Träger, welche Summen hinein legten, zu töten, damit das Geheimniß der Oertlichkeit nicht offenbar würde.“

Stark wurde nun noch die Geschichte vom großen Schatze der Sultane von Marokko beeinflußt, als die Franzosen nach der Eroberung von Algier in den eisenverwahrten Gewölben des gefangenen Deys von Algier viele Kisten geprägten Geldes fanden, einen Schatz, den einige auf 10 Millionen, andere auf 100 Millionen Franken angegeben haben.

Aehnlich sind die Schilderungen der neueren Reisenden wie Edmondo de Amicis’ und anderer gehalten. Von diesen führen wir, ehe wir das wiedergeben, was wir selbst in Erfahrung brachten, besonders Lenz an. Der Timbuktureisende war auf dem Wege nach dem Innern von Afrika auch nach Mekineß gekommen und schreibt über den berühmten Schatz folgendes:

„Vielfach bekannt ist die Sage von dem ungeheuren Geldschatz, der in Mekineß hinter festen Thüren und Thoren vergraben liege. Es dürfte kaum einem Reisenden gelingen, darüber vollständig die Wahrheit zu erfahren. Zunächst ist eins wohl gewiß, daß im Laufe der Zeit die Sultane ungeheure Mengen von Bargeld aufgehäuft haben müssen, da sie doch stets jährlich Geld eingenommen und ganz unbedeutende Summen ausgegeben haben. Das ist heute noch so in Marokko. Der Sultan allein (denn einen Staatsschatz giebt es nicht) nimmt jährlich gewiß mehrere Millionen ein, wovon nur die Ausgaben für seinen Hofhalt und eine Anzahl Pensionen für Günstlinge, Verwandte und theologische Schulen und Stiftungen bestritten werden. Die Ausgaben für Beamtengehalte sind fast gleich Null, da die Beamten auf die Aussaugung ihrer Provinzen angewiesen sind, und die kleine reguläre Macht kostet sehr wenig. Für das Land aber, für Straßen, Brücken, Spitäler, Gefängnisse etc. wird einfach gar nichts ausgegeben. Die infolge des Krieges mit Spanien kontrahierte Staatsschuld ist fast ganz abgetragen durch die Zölle, von denen seit jener Zeit Spanien die Hälfte für sich behält. Es muß also jedes Jahr eine gewisse Summe baren Geldes zu den seit langer Zeit vorhandenen Schätzen hinzukommen. Diese letzteren nun sollen seit den ältesten Zeiten in Mekineß in Verwahrung liegen, und es hat sich um dieselben ein ganzer Mythus gebildet. Hinter dreifachen eisernen Thüren gelangt man, nachdem das von hohen und dicken Mauern umgebene Schatzhaus erreicht ist, in einen dunklen Gang, an dessen Ende ein Saal sich befinde, von wo aus man durch eine Fallthür in die unterirdische Schatzkammer trete. Das Haus selbst werde von 300 Negersklaven bewacht, die nie lebend dasselbe verlassen dürfen – ein lebendiges Grab – und nur einmal im Jahre komme der Sultan oder einer seiner Getreuen, um neues Geld zu dem alten Haufen zu werfen. Dem Sultan und seinen Günstlingen liegt natürlich daran, den Schatz mit möglichstem Zauber zu umgeben, und die Bevölkerung ist sehr empfänglich für etwas derartiges. Späterhin soll nun der Schatz an mehreren Orten aufbewahrt worden sein, so daß jetzt ein Theil in Mekineß, ein anderer in Fes, der größte Theil aber in der südlich des Atlasgebirges gelegenen Oase Tafilet, dem Stammlande der Filali[1], verborgen sei. Es scheint mir das Wahrscheinlichste, daß das wenn auch nicht ganz so enorme, aber doch immerhin bedeutende Vermögen des Sultans in Tafilet in Sicherheit gebracht ist. Kommen doch immer mehr Europäer nach Marokko, und im Falle einer kriegerischen Verwicklung ist ja eine Besetzung von Fes und Mekineß nicht absolut ausgeschlossen. Jeder aber, der Mekineß besucht, wird zweifellos mit all den Fabeln traktiert, die sich an den Schatz des Sultans und die 300 eingemauerten Schwarzen im Laufe der Zeit geknüpft haben.“

Meine eigenen Beobachtungen begünstigte ein mehrwöchiger Aufenthalt in Mekineß und der tägliche Zutritt zum Palast des Sultans, der mir als seinem Arzte freistand.

Jeden Morgen mußte ich in den Palast des Sultans kommen, um seine Frauen, die sich krank meldeten, zu behandeln, und wurde zu dem Ende am Eingang von einem bejahrten dicken Eunuchen empfangen, der den bezeichnenden Namen „Abu Kamphor“[2] führte und der mir als der Oberste der Eunuchen bezeichnet wurde. Im Anfang wollten sich die Frauen vor mir nicht entschleiern, und als ich darauf bestand, ging Herr Kampher zum Sultan und kam mit dem Bescheid zurück: „Unser Herr (Sidner) sagt, da Du ja doch nur ein Rumi [3] und eben erst übergetretener Christenhund bist, brauchen sich die Frauen Deinetwegen nicht zu genieren.“ Somit fielen die Umschlagetüchcr (eigentliche Schleier werden in Marokko nicht zum Verschleiern der Frauen gebraucht), und ich hatte nun alle Tage Gelegenheit, die Gesichter der Frauen des Sultans bewundern zu können.

Meine Besuche waren für mich eigentlich nur angenehme (?) Plauderstunden, denn ich hütete mich wohl, den Damen irgendwie innerlich Medizin zu verordnen. Einmal hatte ich nicht Lust, stets die Arzenei mit ihnen zu theilen – in Marokko ist man bei Hofe so mißtrauisch, daß der behandelnde Arzt stets die Hälfte der verordneten Medizin schlucken muß – dann aber würden die Damen, von denen keine ernstlich krank war, auch von selbst jede Medizin zurückgewiesen haben. Eines Tages nun brachte eine niedliche Frau von etwa 14 Jahren Konfekt, und ich ließ mich verführen, davon zu essen: es war Madjun[4]. Nun weiß ich nicht, wie es kam, mit einem Male sah ich eine eiserne Thür und Herr Kampher lud mich ein, ihm zu folgen. Ich kam mit ihm durch einen mit mehreren dicken eisernen Thüren versehenen dunklen Gang – die Thüren wurden von Herrn Kampher mit großen Schlüsseln geöffnet – in ein großes, rundes Gewölbe, das nur schwach von oben durch ein zweifach vergittertes Fenster Licht bekam. Was ich da sah, spottet aber jeder Beschreibung. An einer Seite lagen Säcke, angefüllt mit spanischen Bu Medfa[5] und anderen harten Thalern; ein jeder Sack enthielt mindestens 10 000 Thaler, dann kamen große Gold- und Silberbarren, deren Werth zu schätzen mir unmöglich war, endlich wundervolles Geschmeide, aus Diamanten, Perlen und Rubinen und anderen Edelsteinen zusammengesetzt, wie ich sie nie schöner gesehen; auch Kästchen mit nicht gefaßten Brillanten und großen Perlen waren vorhanden. Ich fragte Herrn Kampher gerade, warum der Sultan seine Frauen nicht besser kleide und mit diesen Schmucksachen schmücke, als ich einen Fußtritt von ihm zu erhalten glaubte, und – erwachte: ich war vom Diwan gefallen und lag am Boden.

Vor mir stand der Sultan selbst, und ich wußte nun, ich hatte nur geträumt, ich war berauscht worden von dem Genuß des Haschisch. Man wird sich meine Verlegenheit und Angst denken können, als ich erwachte in Gegenwart des Sultans, und noch dazu in einem Vorzimmer seines Harems! Wäre der Sultan ein zweiter Muley Ismaël gewesen, so hätte er mir sicher eigenhändig den Kopf abgeschlagen; so hörte er aber meine Entschuldigungen, und ob er sie nun glaubte oder nicht, er befahl Kampher, mich in Verwahrsam zu nehmen.

Aber zum größten Glück pochte es draußen an der Thür,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1892, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_150.jpg&oldid=- (Version vom 14.5.2020)
  1. „Filali“, d. h. der aus Tafilet Stammende, ist der Geschlechtsname der herrschenden Dynastie.
  2. „Abu Kamphor“ heißt der Vater des Kamphers, denn die Herrscher von Marokko lieben es, ihren Eunuchen stark riechende Namen zu geben. So hieß ein anderer „Abu Müsk“ – „Vater des Moschus“, noch ein andrer „Abu atr urdi“ = „Vater der Rosenessenz“ u. s. w.
  3. Rumi wörtlich übersetzt: Römer, d. h. Europäer.
  4. Madjun ist ein Konsekt, das in der Hauptsache aus Zucker, Haschisch (canabis indica) und etwas Cantharidentinktur besteht.
  5. „Bu Medfa“, „Vater der Kanone“, nennen die Marokkaner die spanischen Thaler, da das Wappen der Spanier bekanntlich von zwei Herkulessäulen flankiert wird.