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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

freilich nicht bemerkt, wie die Zeit vergeht, aber meine Frau – sie ist das lange Ausbleiben nicht mehr gewohnt – ich denke, wir gehen, liebes Kind.“

„Haben Sie sich gut unterhalten, Helenchen?“ fragte Emmy.

„O ja,“ versicherte diese lebhaft. „Es war wirklich ganz reizend.“

Und die Mutter nickte zufrieden ihrem Töchterlein zu, welches die Hauptkunst im Frauenleben so schnell und richtig begriffen hatte.




9.

Die Märzsonne schien hell in das gemüthlich warme Eßzimmer herein und gerade auf die lange Weißbrotschnitte, welche Francis Weston langsam und ausgiebig mit Butter bestrich. Er war ein grundsätzlicher Feind des Frühaufstehens und erschien erst im Frühstückszimmer, wenn die Walterschen Kinder längst in der Schule saßen und deren Mutter auch schon den anstrengendsten Theil ihrer Morgenpflichten hinter sich hatte. Dann war ihr eine kleine Ruhepause ganz willkommen, sie setzte sich als Zuschauerin zu seinem umständlichen Theetrinken; Klein-Maja kam auch herbei, freilich nicht zum bloßen Zugucken. Francis hatte sie bereits tüchtig verzogen, wie Emmy regelmäßig bemerkte, aber sie hatte doch ihr Vergnügen an der lustigen Fütterung, hörte und antwortete zwischendurch auf alles, was der ehrliche Junge in seiner überseeischen Offenheit an Gedanken und Erlebnissen vor ihr auskramte, und hatte dadurch bald sein ganzes Herz gewonnen. Er selbst war weit entfernt, zu ahnen, in welchem Maß seine Gegenwart das Leben im Walterschen Hause erleichtert und verbessert hatte. Emmy jedoch vergaß das niemals, sie hatte sich gelobt, ihm dafür zu geben, was durch Geld nicht bezahlt werden kann: Geduld, Liebe und mütterliche Sorge. So fühlte sich denn der junge Mann bald gründlich wohl; wie gleichgültig er dem Hausherrn war, merkte er in seiner Unbefangenheit nicht, er hielt sich hauptsächlich an Emmy und die Kinder, die ihn zärtlich liebten und als unermüdlichen Spender außerordentlicher Freuden in Gestalt von Theatern und Cirkusbilleten verehrten. Besonders Fritz sah in ihm ein unbedingtes Vorbild – er hatte schon mehrmals versucht, seinem umgeschlagenen Hemdkragen eine stramme Richtung nach aufwärts zu geben, sowie einen Mittelscheitel durch sein struppiges Haar zu erzwingen. Da er aber in beiden Fällen als einzige Wirkung ein Hohngelächter von Moritz erzielte, in welches sogar die gutmüthige Elisabeth mit einstimmte, so lief er wüthend hinaus und ergab sich ferner mit stummer Entrüstung in die auch schon von Francis mehrfach hervorgehobene Thatsache, daß man in Deutschland die jungen Leute allzu lange als Kinder behandle. Rauchen aber hatte er im stillen bei dem Freunde gelernt, das war wenigstens ein Trost!

Francis Weston also war eben damit beschäftigt, sein Weißbrot mit Butter schmackhafter zu machen. Jetzt hatte er die sorgsame Beschäftigung beendet und goß sich die große Tasse voll Thee, schlug das Ei auf, reichte der kleinen Maja das erste eingetunkte Schnittchen, warf dem Schinkenteller einen liebevollen Blick zu und sagte dann zu Emmy gewandt, in Fortsetzung des begonnenen Gespräches:

„Es ist wohl wahr, ich mache Fortschritten in Deutsch, aber es ist doch eine sehr schwere Sache. Sie haben so viele Hauptworte, die man nicht kann finden in Dictionary.“

„Warum nicht gar, lieber Francis! Jedes Hauptwort muß im Wörterbuch stehen.“

„O ja, aber man kann nichts machen damit. Ich lese neulich irgendwo ‚Siebenkäs‘. Ich suche ‚sieben‘, ich suche ‚Käs‘ und weiß doch nicht, was heißt beides zusammen.“

„Das war eben ein Eigenname,“ lachte Emmy, „der hat ja auch keinen Artikel.“

„O, bitte, es giebt auch solche mit Artikel, die nicht Sinn haben. Was ist zum Beispiel ein ‚Klopstock‘?“

„Das ist der Name eines deutschen Dichters.“

„Nein, es kann nicht sein, es steht dort mit dem Artikel.“

„Dann bedeutet es einen Stock zum Ausklopfen.“

„Nein, auch nicht, es ist ein Vers und heißt:

‚Wer wird nicht einen Klopstock loben,
Doch wird ihn jeder lesen? Nein –‘

Was ist also ein Klopstock?“

Ein Amerikaner kann mehr fragen, als zehn deutsche Frauen zu beantworten wissen, das merkte Emmy jetzt auf einmal. Sie hätte ihrer schnell herausgesprochenen Antwort: „Das ist nur poetische Ausdrucksweise!“ eine gute grammatikalische Begründung gewünscht, war indessen außer stande, eine solche aufzufinden, und mußte es dulden, daß jetzt Francis mit betrübtem Kopfschütteln sagte:

„O, es ist sehr schwer, sehr schwer – das Deutsche. Und es fehlt Logik darin. Warum sagt man: der Muth, die Wehmuth, der Hochmuth?“

Die schmerzliche Antworte „Ich weiß es nicht!“ blieb Emmy erspart, denn in demselben Augenblick erschien das Mädchen, um sie abzurufen, es sei Besuch im Salon. Drüben fand sie die kleine Frau Hoffmann, die sich tausendmal entschuldigte, so früh lästig zu fallen, aber sie habe in einer sehr wichtigen Angelegenheit Frau Walter durchaus zu Hause treffen wollen. Nämlich ihre neueste Köchin – hier that Emmy einen tiefen Athemzug und lehnte sich ergebungsvoll ins Sofa zurück, denn nun war alles weitere für die nächste halbe Stunde selbstverständlich.

Wer Frau Malchen ein beschränktes Haushuhn nannte – und es gab leider viele, welche diese Auffassung hatten – that ihr doch großes Unrecht. Auch sie strebte nach dem Höheren – sie suchte zeitlebens nach dem Ideal einer Köchin und hatte dabei, wie es den Idealisten zu gehen pflegt, die grausamsten Enttäuschungen zu überwinden.

„Du hast gehofft, Dein Lohn ist abgetragen“ ... schien ihr ein unerbittliches Schicksal jedesmal zuzurufen, wenn sie nach den besten Anfangsaussichten eben doch wieder „Symptome“ merkte, welche ihr Gemahl mehr fürchtete als die seiner schwersten Patienten, besonders wenn die betreffende gut kochte. Aber – er war zwanzig Jahre verheirathet und kannte Malchens Eigenthümlichkeiten. Sie war ja sonst eine vorzügliche Frau, die es fertig brachte, mit drei Dienstboten und vielem Gelde das Hauswesen so zu führen, daß das Essen jeden Tag rechtzeitig auf den Tisch kam und alle zur entsprechenden Jahreszeit ihre gehörigen Kleider hatten. Mehr von einem weiblichen Gehirn zu verlangen, etwa den Einfluß auf Charakter und Bildung ihrer Kinder, das wäre nach Hoffmanns Ueberzeugungen unbillig gewesen, und er war nicht der Mann, sich eine Unbilligkeit zu schulden kommen zu lassen. So hätte es Frau Malchen sehr gut haben können, wäre eben nur das besagte Streben nach dem Ideal nicht gewesen.

Heute stellte sich der Fall in ungewöhnlich düsterem Lichte dar. Frau Walter selbst hatte ihr damals das Mädchen als treu und zuverlässig empfohlen und nun waren nach anfänglicher großer Zufriedenheit wieder sehr verdächtige „Symptome“ an Zucker und Butter zum Vorschein gekommen, „gerade wie bei jener hübschen Marie, Sie erinnern sich doch?“

Emmy erinnerte sich nicht; sie hörte ergeben dem Redestrom zu, sah zwischendurch nach dem vorrückendem Zeiger der Uhr, suchte zu begütigen, machte dadurch das Uebel ärger und konnte schließlich nichts thun, als Verwahrung gegen mögliche künftige Veränderungen der von ihr Empfohlenen einlegen.

Frau Hoffmann sah sie enttäuscht an, sie schien auf bessere Trostgründe gehofft zu haben. Außerdem ärgerte sie Emmys kaum verhüllte Gleichgültigkeit, sie ging also mit dem Ahnungsvermögen, das auch weniger begabte Frauen besitzen, auf einen andern Gegenstand über und fragte mit theilnehmendem Ausdruck:

„Wie sind Sie denn jetzt mit Fritz zufrieden?“

„Ganz gut,“ erwiderte Emmy etwas erstaunt. „Warum fragen Sie?“

„O, ich dachte nur, er halte sich vielleicht jetzt doppelt daran, um doch noch mitzukommen. Freilich, nach seinem letzten Zeugniß sollte man an der Möglichkeit zweifeln.“

Emmy war es gewohnt, Frau Hoffmann stets erstaunlich genau uber ihre häuslichen Verhältnisse unterrichtet zu finden, hier stutzte sie aber doch:

„Welches Zeugniß meinen Sie?“

„Nun, das von Weihnachten. Da hatte er ja nur ein paar ‚Mittelmäßig‘ und sonst lauter ‚Schlecht‘, sollten Sie das wirklich nicht wissen, liebste Frau?“ Die runden Käferaugen bohrten sich funkelnd vor Neugier in Emmys Gesicht fest. „Unser Hermann brachte es gleich mit heim. Ja wir bedauerten damals beide

Ihre gestörte Festfreude, aber mein Mann sagte doch auch: ‚Das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 156. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_156.jpg&oldid=- (Version vom 21.1.2020)