Seite:Die Gartenlaube (1892) 178.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

da Gama am 20. Mai 1498 mit seinem Geschwader in dem Hafen von Calicut an der ostindischen Halbinsel anlangte.

Die Entdeckerarbeit der Portugiesen beruhte auf einem wohldurchdachten und sicheren Erfolg versprechenden Plane, aber sie schritt nur langsam vorwärts, denn erst im Laufe der Jahrzehnte wuchs mit den Erfolgen der Muth der Seefahrer. Das Problem des Seeweges nach Indien beschäftigte lebhaft die Gelehrten und die Handelsleute, und da der Weg um Afrika herum so beschwerlich war, so dachte man darüber nach, ob es nicht einen andern geben könnte, und Kosmographen fanden einen, der sich aus der Kugelgestalt der Erde ergab. Im fünfzehnten Jahrhundert zweifelte kein Gebildeter an der Kugelgestalt der Erde, die ja schon den Gelehrten des Alterthums bekannt war; nur über die Größe dieser Kugel war man nicht einig.

Etwa zweihundert Jahre vor unserer Zeitrechnung wurde von dem Alexandriner Gelehrten Eratosthenes die erste Gradmessung zwischen Syene, dem heutigen Assuan am Nil, und Alexandrien ausgeführt. Eratosthenes berechnete aus derselben die Größe des Erdumfangs auf 5323 geographische Meilen (252000 Stadien), eine Zahl, die der wirklichen später ermittelten (5400 Meilen) sehr nahe kommt. Wenn dieser Erfolg schon allein als eine Glanzleistung der Naturwissenschaft im Alterthum angesehen werden muß, so wurde er noch bedeutungsvoller durch die Lage, welche Eratosthenes der alten damals bekannten Welt auf der Erdkugel anwies. Die Entfernung von den Küsten Spaniens landeinwärts in östlicher Richtung bis zu den Küsten Ostasiens betrug nach seiner Berechnung 120 Grade. Da die Erde aber in 360 Grade eingetheilt wurde, so bedeckte die Ländermasse der alten Welt 1/3 der Erdkugel; 2/3 derselben waren unbekannt; auch diese Rechnung kam, wie sich jeder leicht auf einem Globus überzeugen kann, den thatsächlichen Verhältnissen sehr nahe. Eratosthenes wußte aus dieser Thatsache noch andere Schlüsse zu ziehen; er erörterte die Möglichkeit einer Erdumschiffung und erklärte, daß man recht wohl von Spanien nach Indien unter dem Breitengrade von Rhodus oder Thinä segeln könne, wenn es nicht die große Ausdehnung des Atlantischen Meeres verhindere; denn die bewohnte Erde bedecke nur ein Drittel des ganzen Erdumfanges. „Die bewohnte Erde,“ fügt Eratosthenes hinzu, „heißen wir nur den Welttheil, den wir bewohnen und kennen. Doch mag es in derselben gemäßigten Zone noch einen zweiten, ja mehrere bewohnbare Welttheile geben.“

So war die Frage des Seewegs nach Indien schon vor zweitausend Jahren theoretisch gelöst und zwar in meisterhafter Weise mit dem Hinweis auf die Möglichkeit der Entdeckung eines neuen Welttheiles!

Die Ansichten von Eratosthenes blieben aber für die Nachwelt nicht maßgebend. Spätere Geographen machten die Erde etwas kleiner und vergrößerten die Ausdehnung Asiens und Europas derart, daß Spanien von Japan nur durch ein verhältnißmäßig schmales Stück Meer getrennt erschien. In dem Jahre der Entdeckung Amerikas zeichnete der Deutsche Martin Behaim, der „große Kosmograph“, „aus fürbitt und beger der fürsichtigen erbarn und weisen als der obersten Haubtleut der löblichen Reichsstat Nürnberg“ ebendaselbst seinen „Erdapfel“, den ältesten Globus, auf welchem er die Anschauungen seiner Zeit über die Ländervertheilung auf der Erdkugel wiedergab. So wie die Länder auf diesem Globus vertheilt sind, waren sie auch nach der Ansicht aller Kosmographen jener Zeit, Kolumbus nicht ausgenommen, gelagert. Meinungsverschiedenheiten bestanden wohl in Betreff dieser oder jener Insel, in Betreff der großen Länderumrisse herrschte Uebereinstimmung.

Wir haben den Globus Martin Behaims in einer Nachbildung bereits im Jahre 1884 (Seite 176) den Lesern der „Gartenlaube“ vorgeführt. Heute fügen wir unserem Artikel nur den Theil desselben bei, welcher den Ocean zwischen Europa und Asien darstellt. Die Lage Amerikas und die richtige Gestalt der europäischen und afrikanischen Küste sind durch Umrißlinien angegeben.[1]

Aus dieser Zeichnung ersehen wir klar, daß es auf der Erde, wie sie im Zeitalter des Kolumbus in den Köpfen der Forscher sich ausnahm, keinen Raum für einen neuen Welttheil gab. Die Canarischen und Cap Verdischen Inseln sowie die Azoren waren längst bekannt und besiedelt. Das nächste Ziel, dem der Seefahrer, der von Spanien nach Westen segelte, zustreben mußte, war die Insel Cipangu. Zwischen ihr und der bekannten Welt lagen aber nach dem Glauben der Gelehrten noch zwei räthselhafte Inseln, die Insula Antilia und die Insel des heiligen Brandan.

Was lehrt uns diese Karte?

Messen wir die Entfernungen von den Azoren nach Spanien und von den Azoren nach der Insel Cipangu! Sie sind sich annähernd gleich. Nach dieser Karte schien somit eine Fahrt von den Azoren nach der Insel Cipangu kein so tollkühnes Wagniß. Durch diese Irrthümer mußte der Muth der Seefahrer gestärkt werden.

Als sich die Portugiesen mit ihren Fahrten die Küste von Afrika entlang abmühten, gab ihnen ein Italiener den guten Rath, die Westfahrt zu versuchen. Aber dieser Italiener war nicht der berühmte Genuese Christoph Kolumbus, sondern ein Florentiner Arzt, Paolo Toscanelli. Dieser Mann kannte die Schriften Marco Polos und verkehrte mit Nicolo da Conti, der in der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts Indien und die Sundainseln besucht hatte. Er war auch der Meinung, daß Asien sich ungeheuer weit ausdehnen müsse, und er entwarf eine Karte und einen Plan der Westfahrt, die er dem Kanonikus Martinez in Lissabon sandte, damit sie dieser dem König von Portugal vorlege. Das geschah aller Wahrscheinlichkeit nach bereits im Jahre 1474. Die Portugiesen, die an ihrem ursprünglichen Plane der Umsegelung Afrikas festhielten, gingen auf die Vorschläge Toscanellis nicht ein. Einige Jahre darauf trat Kolumbus mit seinen Plänen auf.

*      *      *

Die romanhafte Ausschmückung der Lebensschicksale des Entdeckers der Neuen Welt erstreckt sich auch auf seine Jugendjahre. Seine späteren Verehrer wissen von Universitätsstudien, Kämpfen mit Seeräubern und weiten Fahrten in das nördliche Polarmeer zu berichten. Die strengen wahrheitsliebenden Forscher sehen sich dagegen genöthigt, alle jene Studien und Abenteuer in das Reich der Fabel zu verweisen. Nach ihren Erhebungen gestalteten sich die ersten Lebensjahre des großen Seefahrers viel einfacher.

Christoph Kolumbus wurde in der zweiten Hälfte des Jahres 1446 oder im Frühjahr 1447 als Sohn des Wollwebers Domenico Colombo höchst wahrscheinlich in Genua, und zwar in der Vorstadt vor der Porta San Andrea, geboren. Außer der Wollweberei befaßte sich sein Vater noch mit Handelsgeschäften, in denen er aber kein Glück hatte, so daß er schließlich verarmte. Der junge Christoph betrieb das Gewerbe des Vaters, wobei er in dessen frühzeitig Seereisen unternahm, um Weingeschäfte zu machen; zu diesem Zwecke besuchte er z. B. im Jahre 1474 die Insel Chios.

Im Jahre 1477 kam Domenico Colombo in seinen Verhältnissen derart zurück, daß er sein zweites und letztes Haus in Genua verkaufen mußte. Dieser Umstand veranlaßte den Sohn, der damals dreißig Jahre alt war, die Heimath gänzlich zu verlassen, und da um jene Zeit Portugal eine große Anziehungskraft auf junge unternehmende Ausländer ausübte, so folgte Christoph Kolumbus dem Zuge der Zeit und ging nach Lissabon. Hier gewann er das Herz eines Edelfräuleins Namens Philippa Perestrello, die er heirathete. Der Vater des Edelfräuleins, der um jene Zeit nicht mehr am Leben war, stammte gleichfalls aus Italien und war der erste Lehnsherr der kleinen Insel Porto Santo bei Madeira gewesen. Durch diese Heirath kam Kolumbus in die engsten Beziehungen zu den portugiesischen Kolonisten und Seefahrern, mit ihnen unternahm er Seereisen nach Guinea im Süden und nach England im Norden. Er lernte den Ocean kennen. Aus dem Munde der portugiesischen Kolonisten und Seefahrer vernahm er auch zuerst die dunklen Nachrichten, die über die unbekannten Inseln und Länder jenseit des Atlantischen Oceans verbreitet wurden, über die indischen Pflanzen und Bäume, welche das Meer an die Ufer der Azoren brachte. In Lissabon, dem Sitze aller hervorragenden Kosmographen, der Werkstätte, in welcher Entdeckungspläne ausgearbeitet wurden, lernte er die Bedeutung Indiens kennen und sah, daß die Entdeckerlaufbahn Ruhm, Gewinn und Ansehen bringen könne. Sein Ehrgeiz erwachte; er begann, die Geographie oder, wie man die Wissenschaft damals nannte, die „Kosmographie“ zu studieren. Vor allem fesselte ihn das im Jahre 1410 erschienene Werk

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1892, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_178.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2021)
  1. Wir entnehmen dieses Kärtchen dem Werke „Christoph Kolumbus“ von Sophus Ruge, einem der vortrefflichsten Kenner des Zeitalters der Entdeckungen. Die Schrift ist als vierter Band der von Dr. Anton Bettelheim herausgegebenen Sammlung von Biographien „Führende Geister“ soeben im Verlag von L. Ehlermann in Dresden erschienen.