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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


Hugo aber, der sich von manchem Wörtlein der ganz harmlos gesprochenen Rede im geheimen getroffen fühlen mochte, sagte nach einem kurzen Nachdenken:

„Und wer soll da ändern und bessern? Die Schule, die heute schon ohnehin mit allen möglichen Aufgaben überlastet ist?“

„Das Haus!“ sagte der alte Herr mit starker Stimme, „die Familie, für die wir Deutsche, mögen wir sonst noch so viel Fehler besitzen, Eigenschaften haben wie kein andres Volk. Auch sie ist ja vom Streberthum nicht unberührt geblieben, sie muß erst wieder aus einer Assekuranz für Lebensgenuß und gegenseitige Beweihräucherung zur Stätte der Pflichttreue und Bescheidenheit werden. Die wohlhabenden Eltern sollen aus Weisheit ihren Kindern die Beschränkungen auferlegen, die früher unsere größere Armuth erheischte. Beschränkung ist Glück, und der Mensch erhebt sich nicht ungestraft aus ihr ins Maßlose! Soll er später die wahren Güter des Lebens erwerben und genießen, so muß seine Jugend nicht im Getriebe von Vergnügen und Aufregungen verflossen sein. Wer seine Kinder in Wald und Feld führt, in ihnen die Liebe zur Natur, zur Thier- und Pflanzenwelt erweckt, ihre fleißige Arbeit mit einfachen Freuden lohnt, ihren Blick auf große Vorbilder richtet, der erzieht tüchtige und bescheidene Menschen statt der kleinen Ehrsüchtigen, die zur Pistole greifen, wenn das Klassenexamen nicht günstig ausfiel.“

„Er hat gut reden,“ dachte Walter. „Sie haben keine Familie gehabt!“ fügte er dann in einem vielsagenden Tone hinzu.

„Leider! Ich habe mir wohl da und dort Ersatz dafür zu schaffen gesucht, allein was will das heißen gegen das Glück, ein paar Söhne zu erziehen, sich an ein paar rosigen Töchterchen zu erfreuen, wie das Ihnen jetzt beschieden ist!“

„Ja,“ sagte Emmy, „Sie dürfen uns glücklich preisen, die Kinder machen uns viele Freude.“

„Und allerhand Sorgen,“ setzte ihr Gatte hinzu.

„Das ist ja natürlich. Aber offenbar gehen Sie mit ihnen den richtigen Weg. Sie haben sie nicht in eine elegante Sommerfrische gebracht –“

„Wir wissen, warum!“ dachte Emmy.

„– sondern in dieses einfache Fischerdorf, wo sie unter Ihren Augen spielen, lernen und bei jedem Gange in den Wald ihren Anschauungskreis erweitern.“

     Felddiaconen.

Uebung einer freiwilligen Sanitätskolonne.
Zeichnung von O. Gerlach.

Walter fühlte sich entschieden uberschätzt. Im Walde war er mit seinen Söhnen noch nicht gewesen, sie liefen gewöhnlich allein. Es fiel ihm jetzt auch ein, daß er eigentlich Fritz in der letzten Woche, außer bei den Mahlzeiten, kaum zu Gesicht bekommen hatte, er nahm sich vor, heute abend einmal gründlich nach seinen Aufgaben zu sehen.

Während sie so sprachen, war unten am Strande das Dampfboot gelandet. Jetzt sah man zwei Damen langsam über die Wiese heraufsteigen, eine kurze, dicke am Arme einer schlanken und großen.

„Ist das nicht –“ fragte Professor Mayer mit einem gewissen Schauder.

„Ihre Nichte, Frau von Düring, ja, so scheint es mir auch,“ antwortete Walter. „Mit Paula allein! Wo mag die reizende Vilma sein?“

„Ich glaubte sie alle in Kissingen,“ versetzte der Professor merklich niedergeschlagen. „Nun – da heißt es also, sie begrüßen!“ Er erhob sich, das Ehepaar ebenfalls. „Wollen Sie nicht noch etwas bleiben?“

„Nein, wir begleiten Sie bis zu den Damen und gehen dann vollends hinunter und heim,“ sagte Emmy.

Die Ankömmlinge waren bald erreicht. „Guten Abend, lieber Onkel,“ rief Frau von Düring, das Taschentuch schwenkend, mit dem sie sich das erhitzte Gesicht getrocknet hatte, „guten Abend! Nicht wahr, das heißt eine Ueberraschung? Kannst Du uns brauchen in Deinem Häuschen? Das ist es ja wohl dort oben – Gott, wie bescheiden! Guten Abend, meine Herrschaften! Er ist ein Philosoph – nicht wahr? Der reine Philosoph. ich sage es immer! Aber fürchte nur nichts, Onkelchen, wir sind genügsam und werden uns einrichten!“

„Ihr seid mir willkommen,“ sagte er, beiden die Hand bietend. „Meine alte Fanny wird es Euch so bequem als möglich zu machen suchen. Vorlieb nehmen müßt Ihr freilich. Paula, mein liebes Kind, ich freue mich sehr, Dich zu sehen. Was treibst Du?“

„Was wird sie treiben? Ihrer Mama das Leben sauer machen!“ erwiderte, ehe Paula zum Wort kommen konnte, Frau von Düring gereizt. „Deshalb komme ich ja eben, Du mußt ihr den Kopf einmal gründlich zurecht setzen. Ich bin ganz fertig mit meinen Nerven, ganz kaput – oh!“ Sie stöhnte mit halbgeschlossenen Augen, fuhr aber gleich darauf lebhaft gegen Emmy herum.

„Ihre Freundin Wiesner läßt Sie grüßen, sie will nächstens einmal herauf kommen.“

„Ist Fräulein Vilmas Bild fertig?“

„Ja, deliciös, sage ich Ihnen! Das heißt, ein gewisses Etwas, den feinsten Charme hat sie nicht ganz herausgebracht, aber der ist eben auch unerreichbar bei Vilma. – Wenn nur der Rahmen nicht so theuer wäre!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 192. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_192.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2020)